Sein und Wahrnehmung II

Säkularismus
Geistliches und Weltliches verbinden
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Savonlinna
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#1 Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von Savonlinna » Do 19. Nov 2015, 20:23

Thema wegen Überlänge aus Sein und Wahrnehmung abgetrennt.


closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Ich möchte aber in diesen Thread Tillich einbringen.
In Deiner Interpretation.
Nee, im Zitat. "Intepretiert" hast nur Du.
Indem Du sagtest: 'Damit kann ja Tillich nur gmeint haben...', und dann sagtest Du eine der closs Formeln auf.
Einen anderen Satz hast Du von ihm gar grammatisch verändert, um Tillich an den Leib rücken zu können.

closs hat geschrieben:Aber meine doch nicht, dass Du selber interpretations-frei wärest. - Deine Zitate Tillichs passen bisher sehr gut in mein Weltbild - und nu?
Ja, und nu.
Ich habe mich in Abständen seit meiner Schulzeit mit Tillich beschäftigt, Du hast nur ein paar Fetzen gelesen, die Du auch gleich umdeuten musstest, damit sie closs-konform werden.
Das sagt natürlich nichts, ich wollte es nur mal erwähnt haben.

Aber in unserer postmodernen Zeit gilt "anythin goes". Jeder darf in Texte, die er kaum kennt, Beliebiges hineininpretieren. Belegen muss er nichts. Es genügt zu sagen: "Ich lese das so."
Du hast Dich auf diese Seite geschlagen, und gegen "und nu" bin ich ohnmächtig.

Der, der nicht belegt, aber behauptet, bleibt immer Sieger im Disput. Er hat keine kulturelle Bildung, hat nie gelernt, wie man sorgfältig Texte untersucht - oder hat es über Bord geworfen -, und kulturelle Bildung ist Voraussetzung für einen sinnvollen Dialog.
Wenn "anything goes" gilt, sind unsere Klassiker verloren. Sie sind nur noch das, was jeder Kenntnislose da hineinzulesen wünscht.
Und damit wird die Kultur zum Klamauk. Jeder kann darauf rumpinkeln und fragt frech: 'Und nu?'
Ich gebe Dir die Antwort, closs: Wir weichen der Gewalt. Pinkelt weiter, und wir anderen "gehen" weiter.

closs
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#2 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Do 19. Nov 2015, 20:28

Pluto hat geschrieben:Deine seltsam anmutende These, man könne Realität nicht wahrnehmen, erklärt nicht warum die Menschheit eine so erfolgreiche Art ist.
Die Setzung lautet: "Es kann Realität geben, die nicht für den Menschen wahrnehmbar ist" - das ist das eine.

Der Erfolg des MEnschen kann ausreichend mit dem begründet, was der Mensch an Realität wahrnehmen kann. - Das, was an Wahrnehmung fehlen könnte, ist nicht relevant für das Bestehen im Überlebenskampf.

Pluto hat geschrieben:Welche begründete Alternative hast du, zur Wahrnehmung um die Realität richtig zu erkennen?
Es ist vollkommen unabhängig davon. - Es gibt geistige Alternativen, die einem ein Mehr bringen - aber selbst, wenn es NICHT der Fall ist: Obiger erkenntnis-theoretischer Satz bleibt.

Pluto hat geschrieben:Dann würde mich brennend interessieren, wie du andere Realitäten beschreiben willst.
Ist nur logisch/dialektisch vermittelbar (= Lektüre großer Denker ist hier gefragt) ODER (und viel wichtiger) über Erleben bei sich selbst oder bei anderen.

Pluto hat geschrieben:Die Frage ist, wie erklärst du, dass die Menschheit erfolgreich war, wenn Wahrnehmung die Realität nicht sehr genau wiedergibt?
Siehe oben: Das, was zum Überlebenskampf gebraúcht wird, wird ausreichend genau wiedergegeben.

closs
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#3 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Do 19. Nov 2015, 20:30

Savonlinna hat geschrieben:Wenn "anything goes" gilt, sind unsere Klassiker verloren. Sie sind nur noch das, was jeder Kenntnislose da hineinzulesen wünscht.
Und damit wird die Kultur zum Klamauk. Jeder kann darauf rumpinkeln und fragt frech: 'Und nu?'
Da sprichst Du mir aus dem Herzen. - Und beziehst es auf mich. :shock: - Schon echt schwierig.

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Thaddäus
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#4 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Thaddäus » Do 19. Nov 2015, 20:40

closs hat geschrieben: So wie ich Descartes verstanden habe, unterscheidet er (wie das Christentum) zwischen unsterblicher Seele und materiellem Körper. - Dass er mit seinem Zirbeldrüsen-Unfug kommt, ist halt ein Irrtum. - Aber richtig ist: Während der körperlichen Zeit muss beides (Seele und Körper) verschmolzen sein. - Wie das sein kann, wissen wir (physikalisch) nicht.
Nein, wir wissen das nicht nur physikalisch nicht, wir wissen es überhaupt nicht, weil es schlicht nicht geht. Du definierst zwei Sachverhalte als sich gegenseitig ausschließend (immateriell-transzendent vs. materiell-physisch) und willst sie dann zu einem Ding verschmelzen. Das bedeutet, zu behaupten, plus und minus könne zusammengedacht werden als etwas, das beides gleichzeitig ist, - und das geht nicht. Weder physikalisch, noch logisch.

closs hat geschrieben: Einen Ansatz habe ich versucht, darzulegen. - Egal wie: Wir können Descartes'/den christlichen Ansatz nicht dadurch wegbürsten, dass wir nicht wissen, wie er funktioniert.
Doch. Wenn man etwas behauptet, dann muss man erklären können, wie es funktionieren soll. Kann man das nicht, muss es verworfen werden. Es gibt heute keinen ernst zu nehmenden Philosophen mehr, der einen Substanzdualismus von Körper und Geist/Seele annimmt. Dieses Verständnis ist philosophisch endültig gescheitert, obwohl Eccles und Swinburne noch letzte Rettungsversuche unternommen haben.

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Nun soll aber die Seele/das Denken/der Geist auf die körperlichen Vorgänge kausal wirken können.
Das kann auch immanent sein.
[/quote]
Was sollte "immanent" denn an dieser Stelle bedeuten? "Immanent erklärt gar nichts.

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#5 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Do 19. Nov 2015, 21:02

Thaddäus hat geschrieben:Das bedeutet, zu behaupten, plus und minus könne zusammengedacht werden als etwas, das beides gleichzeitig ist, - und das geht nicht. Weder physikalisch, noch logisch.
Aber dialektisch. - Man muss beides nur "aufheben". - Und somit geht es auch logisch.

Verallgemeinern wir mal die Frage: Wie wäre darstellbar, dass das Ich an sich immateriell ist, jedoch zu einer Zeit materiell sein kann? - Ganz allgemein gefragt - ganz ohne Descartes oder andere.

Thaddäus hat geschrieben:Wenn man etwas behauptet, dann muss man erklären können, wie es funktionieren soll. Kann man das nicht, muss es verworfen werden.
Das ist das typische zeitgenössische methodische Gedöns. - Als ob etwas Angeregtes nicht sein könne, selbst wenn man es nicht oder noch nicht erklären kann.

Dass man solche Dinge methodisch verwerfen kann, ist doch unbenommen. - Aber spürst Du nicht die Schere im Kopf?

Thaddäus hat geschrieben:Es gibt heute keinen ernst zu nehmenden Philosophen mehr, der einen Substanzdualismus von Körper und Geist/Seele annimmt.
Das kann heute so sein und morgen ganz anders. - Es kann ja gut sein, dass das, was man heute darunter versteht, falsch ist (und zu recht in den Müll wirft), es aber eine ganz andere Lösung gibt.

Mich stört, wenn man aus methodischen Gründen meint, Sicherheit darüber haben zu können, dass die Religionen der Welt nicht alle Tassen im Schrank haben, weil sie die geistige Existenz des Menschen von dessen Körperlichkeit getrennt sehen. - Das ist sehr mutig. :|

Thaddäus hat geschrieben:Was sollte "immanent" denn an dieser Stelle bedeuten? "Immanent erklärt gar nichts.
Es ist aus meiner Sicht ein denkbares Modell, dass mit der Materialisierung des Menschen dessen Geist in der Materie ist - und zwar nicht nur als mechanisch verursachte Größe, sondern als durch die Materie offenbar gemachte Größe. - Dies setzt allerdings ein sehr weitläufiges Weltbild voraus, das "Fügung" und "Über-Zeitlichkeit" miteinbezieht.

Somit wäre es ein spirituelles Thema, von dem ich nicht weiss, wie man es kritisch-rationalistisch überhaupt verwerten soll. - Somit kann es methodisch verworfen werden. :lol:

JackSparrow
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#6 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von JackSparrow » Do 19. Nov 2015, 23:10

closs hat geschrieben:Umgekehrt wird ein Schuh draus: Ist jegliche "Realität" für uns wahrnehmbar?
Was wir nicht wahrnehmen können, bezeichnen wir nicht als "Realität". Weil für solche Dinge in unserer Sprache bereits ausreichend viele andere Bezeichnungen existieren.

Es ist durch nichts begründbar, dass "Realität" durch Wahrnehmung "gebildet" sein MUSS.
Das ist dadurch begründbar, dass wir für die Dinge, die wir wahrnehmen können, eine spezielle Bezeichnung erfunden haben, welche zufälligerweise "Realität" lautet.


Savonlinna hat geschrieben:Deine Threadaussage mag auf die Frage, ob die Naturwissenschaft das alleinige Recht habe, "Realität" zu definieren, mit "nein" zu beantworten sein.
Die Naturwissenschaft definiert prinzipiell keine Wörter. Das macht die Linguistik. Und dann werden sie im Duden veröffentlicht, damit sich auch andere Menschen daran erfreuen können.

Manchmal werden Wörter etwas zweckentfremdet. So wie das Wort "Geist" in den Religionen oder das Wort "Körper" in der Mathematik. Aber das betrifft dann ja immer nur eine kleine Teilmenge aller Muttersprachler.

closs
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#7 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Do 19. Nov 2015, 23:43

JackSparrow hat geschrieben:Was wir nicht wahrnehmen können, bezeichnen wir nicht als "Realität".
Das macht wirklich niemand. - Es geht hier erkenntnis-theoretisch darum, dass etwas "Realität" sein KANN, obwohl es nicht für den Menschen wahrnehmbar ist.

JackSparrow hat geschrieben:Das ist dadurch begründbar, dass wir für die Dinge, die wir wahrnehmen können, eine spezielle Bezeichnung erfunden haben, welche zufälligerweise "Realität" lautet.
Du weichst auf die Sprachebene aus.

Pluto
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#8 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Pluto » Fr 20. Nov 2015, 00:04

closs hat geschrieben:Der Erfolg des MEnschen kann ausreichend mit dem begründet, was der Mensch an Realität wahrnehmen kann. - Das, was an Wahrnehmung fehlen könnte, ist nicht relevant für das Bestehen im Überlebenskampf.
Aha! :idea: So kommen wir vielleicht weiter, denn deine Aussage führt uns direkt zur Frage nach dem Sinn des Lebens.

Besteht der Sinn des Leben aus mehr als die Weitergabe unserer Gene? Oder ist es das was Biologen Homöostase nennen (Erhalt und Steigerung des eigenen Wohlbefindens)?

Wenn es mehr ist, worin besteht dieses "Mehr"?
Und vor allem, wie will man es begründen?

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Welche begründete Alternative hast du, zur Wahrnehmung um die Realität richtig zu erkennen?
Es ist vollkommen unabhängig davon.
Ich verstehe nicht. Was ist unabhängig wovon?

closs hat geschrieben:Es gibt geistige Alternativen, die einem ein Mehr bringen...
Okay. Dann nenne mir bitte einige davon, und begründe sie.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Dann würde mich brennend interessieren, wie du andere Realitäten beschreiben willst.
Ist nur logisch/dialektisch vermittelbar...
Genau diese sog. Dialektik habe ich nicht verstanden. Was hat Dialektik mit Realität zu tun? Wie kann sie unshelfen, der Realität näher zu kommen?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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Savonlinna
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#9 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » Fr 20. Nov 2015, 00:35

Pluto hat geschrieben: Besteht der Sinn des Leben aus mehr als die Weitergabe unserer Gene? Oder ist es das was Biologen Homöostase nennen (Erhalt und Steigerung des eigenen Wohlbefindens)?

Wenn es mehr ist, worin besteht dieses "Mehr"?
Und vor allem, wie will man es begründen?
Wenn ein Kind auf eine vielbefahrene Straße läuit:
Was machst Du: springst dem Kind nach, unter Einsatz Deiner eigenen körperlichen Unversehrtheit -
oder bespringst eine Frau unter den Gaffern, um Deine Gene weiterzugeben bzw. Dein Wohlbefinden zu stärken?

Da es Menschen gibt, die sich sogar ins Wasser stürzen, um einen Fremden zu retten und dabei umkommen, könnte man sich dieses "mehr" vielleicht zusammenreimen, wenn man Mensch ist.
Muss man so etwas begründen, ansonsten es eine Fiktion sei, dass Leute hinterherspringen?

closs
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#10 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Fr 20. Nov 2015, 01:15

Pluto hat geschrieben:Wenn es mehr ist, worin besteht dieses "Mehr"?
Dieses "Mehr" kann in der Suche nach den Grundlagen der eigenen Existenz bestehen. - Woher kommen ich? - Wohin gehe ich? - Was bin ich zwischen diesem, Woher und Wohin?

Pluto hat geschrieben:Ich verstehe nicht. Was ist unabhängig wovon?
Ich müsste jetzt selber zurückblättern ... - Dass man "Realität" physikalisch/sinnlich richtig erkennt, ist vollkommen unabhängig davon, ob es sonstige "Realität" gibt, die man nicht "richtig" oder gar nicht erkennt.

Pluto hat geschrieben: Dann nenne mir bitte einige davon, und begründe sie.
Wahrnehmungs-Alternativen? - Es gibt Menschen auch in meinem Umfeld, die via Herz und Instinkt aus Situationen weit mehr rausholen, als dies vordergründig physikalisch möglich wäre. - Dasselbe gilt für Musik: Zwar HÖRT man Musik (= "normal" sinnlich) - aber WAS man gelegentlich hören kann, ist nur über geistige Wahrnehmung begründbar.

Pluto hat geschrieben:Genau diese sog. Dialektik habe ich nicht verstanden. Was hat Dialektik mit Realität zu tun?
Das kommt darauf an, was man unter "Realität" versteht.

Wenn Du "Realität" lediglich physikalisch verstehst, nützt eine Dialektik gar nichts. - Glaubt man dagegen bspw. an Gott, ist dieser ebenfalls "Realität", soweit der eigene Glaube einen nicht täuscht. - Für diesen Fall ist Dialektik nützlich, um dies zu verstehen und zu begründen. - Allerdings betrifft das "nur" die philosophische Ebene.

Pluto hat geschrieben: Wie kann sie unshelfen, der Realität näher zu kommen?
In der PRaxis selten - eben weil "Dialektik" ein philosophisches Erklärungs-Instrument ist.

In der PRaxis ist aus meiner Sicht das pure Gegenteil das Mittel der Wahl: "Werdet wie die Kinder". - Jeden Tag so beginnen, als sei er der letzte. - Auf jede menschliche Regung des anderen reagieren. - Sich befreien von Dingen, die man nicht ins Grab nehmen kann. - Reduce to the Maximum.

Nicht, dass Du denkst, ich könnte das - aber ich sehe an anderen, die mir hierin sehr überlegen sind, dass es funktioniert. - Das hat NICHTS mit "normaler" "Realität" zu tun - das kommt vom Geist.

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