Sein und Wahrnehmung II

Säkularismus
Geistliches und Weltliches verbinden
SilverBullet
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#191 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von SilverBullet » Mi 9. Dez 2015, 19:47

JackSparrow hat geschrieben:"Mental" ist kein eindeutig definierter Begriff. "mens" heißt "Absicht", "Wille" und "Verstand"
Wir hatten hierzu zwei Beispiele: das Lesen und das Schreiben von Textbeiträgen.

Das Gehirn ist auch Teil des Körpers, aber für die „mentalen Fähigkeiten“, um die es hier gehen soll, scheint es der richtige Teil zu sein.

(ich will mich aber nicht vordängen: wer den kleinen Zeh beim Textentwurf ins Spiel bringen möchte, darf das gerne tun)

JackSparrow hat geschrieben:Der Hypothalamus und die Leber haben für Glukose eigene Rezeptoren. Man könnte sagen, da wirkt Glukose selbst wie ein Hormon. Der Hypothalamus befindet sich schon im Gehirn. Die Leber ist über den Vagusnerv ans Gehirn angeschlossen.
OK, also sagen wir, das zentrale Nervensystem verfügt über eine Schnittstelle (Sinneszellen) auf der, Daten einer Ist-Situation (in Form von Impulsen) verarbeitet werden können.

Leider überspringst du diese Verarbeitung und steigst viel später bei den (vermutlich durch Motoneuronen) angeregten Muskeln wieder ein.

Damit übergehst du aber exakt den Bereich, der die ganze Spannung verursacht:
die Auswertung und das „irgendwie geartete Stattfinden“ eines „Hungergefühls“, also eines „phänomenalen Etwas“.

Aus was ist die „mentale Fähigkeit“ gemacht, „Hunger zu fühlen“?

JackSparrow
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#192 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von JackSparrow » Mi 9. Dez 2015, 23:33

SilverBullet hat geschrieben:Damit übergehst du aber exakt den Bereich, der die ganze Spannung verursacht:
die Auswertung und das „irgendwie geartete Stattfinden“ eines „Hungergefühls“, also eines „phänomenalen Etwas“.
Im Normalzustand würden wir einfach das tun, worauf wir Lust haben. Zum Beispiel innerhalb geschlossener Ortschaften ordentlich aufs Gaspedal treten. Dazu brauchen wir kein Bewusstsein.

Weil wir aber in sozialen Gruppen leben, könnte unter Umständen jemand etwas dagegen haben, dass wir aufs Gaspedal treten. Also brauchen wir einen speziellen Mechanismus, der diese Handlung bei Bedarf verhindert. Das nennen wir "Bewusstsein".

Wenn man bedenkt, dass wir einen Zustand von Bewusstlosigkeit gar nicht bemerken würden, ist das nicht sonderlich mysteriös. Die bewussten Momente entstehen einfach immer dann, wenn wir die Wahl haben, ob wir eine Aktion ausführen oder ablehnen wollen.

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Thaddäus
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#193 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von Thaddäus » Fr 11. Dez 2015, 19:29

Ich finde, der Fortgang eurer Diskussion, zeigt sehr schön, worin das große Problem besteht, wenn man versucht, mentale Fähigkeiten, Bewusstsein, Geist und "geistige Inhalte" etc. rein naturwissenschaftlich/biologisch fassen zu wollen (Achtung! Wenn ich im Folgenden diese Vorgehensweise kritisiere, will ich damit ausdrücklich nicht für einen Humunculus im Hirn oder eine Geistseele oder dergl. plädieren und halte das auch nicht für eine Konsequenz einer solchen Kritik!).

Nehmen wir als Beispiel (aus euren diversen Antworten) das Gefühl des Hungers und wie es biologisch und chemisch zustande kommt.

Selbstverständlich gibt es bestimmte biologische und chemische Vorgänge im Körper, die das Hungergefühl in uns kausal auslösen. Sie sind eine notwendige Bedingung dafür, ein Hungergefühl überhaupt haben zu können. Werden alle Aspekte des Hungers/des Hungerns hinreichend erklärt, indem man ihn bio-chemisch erklärt?

Offenbar nicht, denn wir kennen z.B. Menschen, die in einen Hungerstreik treten, weil sie damit ein bestimmtes Ziel verfolgen oder auch einfach eine Idee durchsetzen wollen. Es gibt Fälle, wo Menschen so lange hungern, bis sie sterben, weil sie z.B. bessere Haftbedingungen erzwingen wollen oder aus religiösen Gründen. Offenbar wird das, was diese Menschen (bewusst) tun (ob es sinnvoll ist oder nicht sei dahingestellt) in keiner Weise dadurch erfasst, dass wir bio-chemisch erklären können, wie ihr Hungergefühl entsteht.

Ob sinnvoll oder nicht wird durch das Verhalten eines Menschen, der in einen Hungerstreik tritt, eine Sinndimension eröffnet, die durch eine bio-chemische Erklärung des Hungergefühls in keiner Weise erfasst wird. Offenbar befinden sich diese Menschen in bestimmten mentalen Zuständen, die etwas anderes sind, als die bio-chemische Erklärung ihres Hungers. Und natürlich sind die Verhaltensmotive, die Gründe, die Ideen etc., warum jemand in einen Hungerstreik tritt, Hervorbringungen seines Gehirns. Das Gehirn ist wiederum eine notwendige Bedingung dafür, dass jemand Motive und Überzeugungen haben kann, die ihn in einen Hungerstreik treten lassen. Aber ein Hirnscan solcher Menschen gibt wiederum keinen Aufschluss darüber, was diese Motive und Überzeugungen SIND.

Wir verstehen einen Hungerstreikenden nicht schon dadurch, dass wir die bio-chemischen Vorgänge in seinem Körper kennen und wir können seine Motive und Überzeugungen, z.B. damit bessere Haftbedinungen durchsetzen zu wollen, nicht über die bio-chemischen Ursachen verstehen, die in ihm das Gefühl des Hungers auslösen.

Wenn jemand aus bestimmten politischen, religiösen oder sonstigen Gründen in einen Hungerstreik (vielleicht bis zum Tode) tritt, dann haben wir es auf der Sinnebene seines Verhaltens sogar mit dem Freiheitsbegriff zu tun. Meines Wissens gibt es kein anderes Tier, welches sich freiwillig zu Tode hungern kann, um ein bestimmtes Ziel bewusst zu verfolgen. Es ist zweifellos eine Form von Freiheit, die Nahrungsaufnahme aus bestimmten Gürnden zu verweigern. Außer dem Menschen kann das kein anderes Tier. Ein ausgehungertes Tier kann nur mit Gewalt daran gehindert werden, zu fressen, wenn ihm Fressen hingestellt wird. Nur ein Mensch vermag - obwohl er heißesten Hunger verspürt - die Nahrungsaufnahme dennoch zu verweigern.

SilverBullet hat geschrieben:Zum Körper (insgesamt):
Es geht um die Behauptung, dass die „mentalen Fähigkeiten“ (lesen und schreiben von Textbeiträgen) durch den gesamten Körper zustande kommen, dass wir also mit „dem gesamten Körper denken“ können sollen.
Das habe ich eigentlich nicht gemeint.
Ich meine nicht, dass der ganze Körper denkt. Ich meine vielmehr, dass wir immer nur den ganzen Menschen mit seinem ganzen Körper dabei beobachten können, wie er etwas tut. Wir sehen nicht das Gehirn von jemandem, der das Kreuzworträtsel in der Tageszeitung löst. Wir sehen den ganzen Menschen, seinen Körper dabei zu, wie er das tut (indem er mit seinen Armen, Händen und Fingern Buchstaben in Kästchen kritzelt.

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#194 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von Pluto » Fr 11. Dez 2015, 20:02

Thaddäus hat geschrieben:Offenbar nicht, denn wir kennen z.B. Menschen, die in einen Hungerstreik treten, weil sie damit ein bestimmtes Ziel verfolgen oder auch einfach eine Idee durchsetzen wollen. Es gibt Fälle, wo Menschen so lange hungern, bis sie sterben, weil sie z.B. bessere Haftbedingungen erzwingen wollen oder aus religiösen Gründen. Offenbar wird das, was diese Menschen (bewusst) tun (ob es sinnvoll ist oder nicht sei dahingestellt) in keiner Weise dadurch erfasst, dass wir bio-chemisch erklären können, wie ihr Hungergefühl entsteht.
Schließlich haben wir eine Verstand und können aufkommende Hungergefühle unterdrücken und/oder ignorieren. Ich weiß von Leuten die fasten, dass es ihnen manchmal (vor allem in der ersten Zeit) unheimlich schwer fällt, das Hungergefühl zu unterdrücken. Dass dies gelingt beweist nur, die Kraft unseres Bewusstseins und unserer Ratio.

Ich sehe nicht, wie eine solche bewusste Entscheidung zu fasten in irgendeiner Weise die Richtigkeit der Modelle des Entstehens von Hungergefühlen widerlegt.
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#195 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von Thaddäus » Fr 11. Dez 2015, 20:26

Pluto hat geschrieben: Ich sehe nicht, wie eine solche bewusste Entscheidung zu fasten in irgendeiner Weise die Richtigkeit der Modelle des Entstehens von Hungergefühlen widerlegt.
Nein, die bewusste Entscheidung, zu fasten oder sich aus irgendwelchen guten oder schlechten Gründen zu Tode zu hungern widerlegt natürlich nicht die Biochemie, die erklärt, wie es zum Hungergefühl kommt. Aber die Erklärung, wie es zum Hungergefühl kommt, erklärt eben nicht den mentalen Zustand, den jemand hat, weshalb er sich zum Fasten entschließt oder dazu, den eigenen Hungertod in Kauf zu nehmen.

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#196 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von Pluto » Fr 11. Dez 2015, 20:41

Thaddäus hat geschrieben:Nein, die bewusste Entscheidung, zu fasten oder sich aus irgendwelchen guten oder schlechten Gründen zu Tode zu hungern widerlegt natürlich nicht die Biochemie, die erklärt, wie es zum Hungergefühl kommt. Aber die Erklärung, wie es zum Hungergefühl kommt, erklärt eben nicht den mentalen Zustand, den jemand hat, weshalb er sich zum Fasten entschließt oder dazu, den eigenen Hungertod in Kauf zu nehmen.
Die Tatsache, dass man mit dem Verstand das Hungergefühl unterdrücken kann, beweist doch lediglich, das manche Menschen es schaffen, mehr nicht.

Worauf willst du eigentlich hinaus?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#197 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von Thaddäus » Fr 11. Dez 2015, 20:43

JackSparrow hat geschrieben: Wenn man bedenkt, dass wir einen Zustand von Bewusstlosigkeit gar nicht bemerken würden, ist das nicht sonderlich mysteriös.
Lustigerweise ist ja genau das der Beweis für Bewusstein!
Dass du überhaupt formulieren und unterscheiden kannst, dass wir nicht bemerken können, wenn wir bewusstlos sind bedeutet, dass wir (auch) bewusst sind.
Zuletzt geändert von Thaddäus am Fr 11. Dez 2015, 20:47, insgesamt 3-mal geändert.

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#198 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von Thaddäus » Fr 11. Dez 2015, 20:46

Pluto hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Nein, die bewusste Entscheidung, zu fasten oder sich aus irgendwelchen guten oder schlechten Gründen zu Tode zu hungern widerlegt natürlich nicht die Biochemie, die erklärt, wie es zum Hungergefühl kommt. Aber die Erklärung, wie es zum Hungergefühl kommt, erklärt eben nicht den mentalen Zustand, den jemand hat, weshalb er sich zum Fasten entschließt oder dazu, den eigenen Hungertod in Kauf zu nehmen.
Die Tatsache, dass man mit dem Verstand das Hungergefühl unterdrücken kann, beweist doch lediglich, das manche Menschen es schaffen, mehr nicht.

Worauf willst du eigentlich hinaus?
Wenn du bewusst entscheiden kannst, dein Hungergefühl zu unterdrücken (aus Gründen!), dann sind diese Gründe nicht erklärlich durch das Verständnis der Biochemie, wie es zu Hunger kommt. Das ist doch nicht schwer zu verstehen ... oder?!

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#199 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von Pluto » Fr 11. Dez 2015, 21:53

Thaddäus hat geschrieben:Wenn du bewusst entscheiden kannst, dein Hungergefühl zu unterdrücken (aus Gründen!), dann sind diese Gründe nicht erklärlich durch das Verständnis der Biochemie, wie es zu Hunger kommt. Das ist doch nicht schwer zu verstehen ... oder?!
Naja...
Ich denke, die Tatsache das unser Verstand in der Lage ist, die Signale des Körpers zu unterdrücken ist kein Beweis, dass es ein fehlendes "magisches Etwas" gibt wie es einst David Chalmers anzudeuten versuchte.

Wie sagte Wolf Singer (ehemaliger Chef des MPI für Hirnforschung in Frankfurt) sinngemäß?
"Unsere Kognitionsfähigkeit entsteht aus nichtlinearen Komplexitäten der neuronalen Netzwerke im Gehirn: Das Ergebnis ist mehr als die Summe der Einzelteile hergibt."
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#200 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von Münek » Fr 11. Dez 2015, 21:58

Thaddäus hat geschrieben:Wenn du bewusst entscheiden kannst, dein Hungergefühl zu unterdrücken (aus Gründen!), dann sind diese Gründe nicht erklärlich durch das Verständnis der Biochemie, wie es zu Hunger kommt. Das ist doch nicht schwer zu verstehen ... oder?!

Nee - das habe ich auch nicht verstanden.

Ich sehe keinen Zusammenhang zwischen der biochemischen Entstehung des Hungergefühls
und der bewussten Entscheidung, dieses Gefühl mit Willensanstrengung zu unterdrücken.

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