Rechthaberei

Säkularismus
Geistliches und Weltliches verbinden
erbreich
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#1 Rechthaberei

Beitrag von erbreich » Mo 14. Mär 2016, 19:55

Der Palikanon (Buddhismus) definiert 16 Herzenstrübungen, eine von diesen ist die RECHTHABEREI. In den Diskussionsforen, auch in diesem hier - so ist mein Eindruck - springt einen diese Herzenstrübung aus allen Ecken und Enden fortwährend entgegen und um die Ohren (oder Augen).

Und, bei bewusster und aufmerksamer Beobachtung nicht nur dessen, was ich lese, sondern auch meines eigenen Herzens während des Lesens und Schreibens, wird mir immer wieder bewusst, wie auch ich in diese Falle tappe und dass es dann einer rücksichtsvollen Zurückhaltung bedarf, um meine Posts möglichst frei zu halten von dieser trüben Angelegenheit.

Der Impuls zu diesem Thread hier ist mir im Allversöhnungs-Thread gekommen, aber da Rechthaberei ein allgemeines, also nicht ausschliesslich religiöses sondern auch ein säkulares Phänomen ist, poste ich das Thema mal hier. Zum Einstieg ein (stark gekürztes) Zitat zum Thema aus dem Buch "Meditation nach dem Buddha" von Paul Debes (Buddhistisches Seminar Blindlach):

Rechthaberei heisst, den anderen mit Argumenten übertreffen wollen; ein Wort gibt das andere. Dem Rechthaberischen geht es darum, in der Debatte den Sieg davonzutragen. (...) So ist Rechthabrei eine Art von Gewaltsamkeit, die nie zur Eintracht, zur Beruhigung und zum klaren Sehen führen kann. (...) Ich sollte immer bereit sein, zuerst nach eigenen Fehlern zu suchen. (...) wo der andere die Wahrheit nicht fassen kann oder will, da würde das Beharren auf der eigenen Aussage nicht der Wahrheit, nur dem Rechthaben dienen.

Mich würden vor allem persönliche Statements dazu interessieren: Nehmt ihr die Tendenz zur Rechthaberei bei euch selber auch wahr? Oder nur bei den anderen? Wie geht ihr mit der Tendenz zur Rechthaberei um, wenn ihr sie bei euch selber erkennt? Und wie, wenn ihr sie bei euren Diskussionspartnern erkennt?

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Halman
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#2 Re: Rechthaberei

Beitrag von Halman » Mo 14. Mär 2016, 21:13

Vielen Dank für dieses meiner Meinung nach wichtige Thema. Auch mein "Herz" ist nicht frei von der Herzenstrübung der Rechthaberei, aber natürlich nehme ich sie auch bei anderen wahr und dies stört mich sehr.
Ganz allgemein behaupte ich, dass wir in der Regel davon ausgehen, im Recht zu sein, wenn wir eine Meinung vertreten (sei es zur politischen Lage, der Interpretation eines Bibeltextes oder was auch immer), denn ansonsten würden wir diese Meinung nicht vertreten. Nun weiß ich aber aus Erfahrung, dass ich mich häufiger geirrt hatte, als mir liebt ist und zwar in den allermeisten Fällen für mich völlig überraschend. Der Normalfall ist also der, dass ich bspw. zwei Meinungen vertrete, die ich für richtig halte, von der aber eine falsch ist. Nun zeigen mir die Diskussionspartner dies auch und nun kann ich entweder rechthaberisch reagieren und damit alles noch schlimmer machen, oder einsichtig und die Korrektur zu meinen Nutzen annehmen. So vernünftig Letzteres auch ist, so schwer mag dies aufgrund des Egos fallen, dies ist nur zu menschlich.
Mohandas Karamchand Gandhi sagte mal: "Wenn du im Recht bist, kannst du dir leisten, die Ruhe zu bewahren, und wenn du im Unrecht bist, kannst du dir nicht leisten, sie zu verlieren." (Zitatquelle) Darum gibt es im Grunde keinen Grund, den vermeindlich Irrenden "hart" entgegenzutreten, denn wenn man sich irrt, ist es peinlich und wenn man Recht hat, hat man allen Grund gelassen zu bleiben.
Warum fällt es so schwer, zuzugeben, dass man irrt? Mir fällt es schwer, wenn mir mein Irrtum auf unnötig harte Weise vor Augen geführt wird. Dies weckt bei mir den Geist der Rebellion. Wenn wir wollen, dass der Andere seinen Irrtum zugibt, sollten wir ihm seinen Fehler nicht auf eine herabwürdigende Weise beibringen, denn dann regt sich das Ego. Ein Appell sollte immer mit angemessener Empathie erfolgen und der Wunsch, dass der Gesprächsparter einen Fehler korrigiert ist ja ein Appell zur Korrektur. Lass uns daher nicht wie DiskussionsGEGNER einander behandeln, sondern wie DiskussionsPARTNER. :) Diest ist mein Appell, den ich auch an mich selbst richte.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

closs
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#3 Re: Rechthaberei

Beitrag von closs » Mo 14. Mär 2016, 21:16

erbreich hat geschrieben:Nehmt ihr die Tendenz zur Rechthaberei bei euch selber auch wahr? Oder nur bei den anderen?
Ich sehe es beidseitig - allerdings auf einer etwas anderen Ebene:

Nach meiner Einschätzung sind hier einige ziemlich intelligente Menschen unterwegs, die formulieren können, was sie meinen. - Weil dem so ist, sind diese Formulierungen Ausdruck eines jeweiligen Weltbildes. - Und jetzt das Interessante daran: Man kann dann aus Äußerungen relativ gut herauslesen, welches Weltbild dahinter steht - meistens, es gibt Ausnahmen.

Insofern sehe ich diese Diskussionen nicht unter dem Aspekt "Rechthaberei", sondern "Weltanschauungs-Darstellung" (egal, ob bewusst oder unbewusst). - Weltanschauungs-Darstellung verrät aber immer auch, welche Grundlagen man jeweils als gegeben annimmt - was man also nicht hinterfragt.

Allerdings kommt hier auch ein kritischer Punkt dazu:
Ich glaube feststellen zu können, dass dieses Nicht-Hinterfragen gar nicht bewusst stattfindet (was andererseits eigentlich auch wieder naheliegend ist - denn wie soll man eigenes Nicht-Hinterfragen hinterfragen? - Geht eigentlich gar nicht).

Und aus all diesen Puzzles gewinnt man ein Bild unserer heutigen Zeit und den Denkweisen ihrer Menschen - hoch interessant - manchmal auch depremierend.

Aber wie gesagt:
An "Rechthaberei" denke ich dabei nicht. - Es ist die Darstellung des eigenen Status Quo, den man nicht aufgeben will - hat wahrscheinlich etwas mit Überlebenstrieb zu tun.

erbreich
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#4 Re: Rechthaberei

Beitrag von erbreich » Mo 14. Mär 2016, 22:18

Halman hat geschrieben:Lass uns daher nicht wie DiskussionsGEGNER einander behandeln, sondern wie DiskussionsPARTNER. :) Diest ist mein Appell, den ich auch an mich selbst richte.
Ein Appell, dem ich mich gerne anschliesse! Danke Halman.

erbreich
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#5 Re: Rechthaberei

Beitrag von erbreich » Mo 14. Mär 2016, 22:41

closs hat geschrieben: "Weltanschauungs-Darstellung"
Interessantes Verständnis. Damit das Gespräch funktioniert, sollte dann aber auch jeder an der Darstellung des Gegenübers genauso interessiert sein, wie an seiner eigenen. Und daran hapert es öfters beträchtlich, wahrscheinlich eben gerade deshalb:

Weltanschauungs-Darstellung verrät aber immer auch, welche Grundlagen man jeweils als gegeben annimmt - was man also nicht hinterfragt.
(...)
Es ist die Darstellung des eigenen Status Quo, den man nicht aufgeben will - hat wahrscheinlich etwas mit Überlebenstrieb zu tun.
Wenn nun also meine Weltanschauungs-Darstellung auf eine trifft, die meiner geradezu zu widersprechen scheint, dann:

Halman hat geschrieben:...kann ich entweder rechthaberisch reagieren und damit alles noch schlimmer machen, oder einsichtig und die Korrektur zu meinen Nutzen annehmen. So vernünftig Letzteres auch ist, so schwer mag dies aufgrund des Egos fallen, dies ist nur zu menschlich.
Noch einmal dies:

closs hat geschrieben:Es ist die Darstellung des eigenen Status Quo, den man nicht aufgeben will...
Ich denke, den müssen wir auch nicht aufgeben. Es genügt schon, ihn nicht zu verabsolutieren: Meine Weltanschauung zwar als die für mich selber einzig sinnvolle und richtige sehen zu dürfen, nicht aber von meinen Dialogpartnern zu erwarten oder gar zu fordern, dass es für sie auch so sein müsste.

closs hat geschrieben:Und aus all diesen Puzzles gewinnt man ein Bild unserer heutigen Zeit und den Denkweisen ihrer Menschen - hoch interessant - manchmal auch depremierend.
Das allerdings.

Pluto
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#6 Re: Rechthaberei

Beitrag von Pluto » Di 15. Mär 2016, 00:20

closs hat geschrieben:Es ist die Darstellung des eigenen Status Quo, den man nicht aufgeben will
Im allgemeinen Sprachgebracuh nennt man das Besserwisserei. 8-)
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

closs
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#7 Re: Rechthaberei

Beitrag von closs » Di 15. Mär 2016, 01:42

Pluto hat geschrieben:Im allgemeinen Sprachgebracuh nennt man das Besserwisserei.
Man kann es auch nicht-wertend sagen - sonst gibt es hier auf dem Forum nur noch atheistische, naturalistische und christliche Besserwisser.

Insofern habe ich die feine englische Art vorgezogen - trotzdem hast Du recht: Jedes Weltbild meint, es besser zu wissen. - Und wiederum kann man es nicht-wertend sagen - etwa: Jeder Mensch erkennt die Welt nach seinem Vermögen.

Und Paulus reiht dies auch ein:
"Und wenn ich weissagen könnte und wüßte alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, also daß ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts" (1.Kor. 13).
Mit anderen Worten: Letztlich ist es wurscht, was der Mensch denkt - am Ende kommt es, wie es kommt.

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sven23
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#8 Re: Rechthaberei

Beitrag von sven23 » Di 15. Mär 2016, 06:55

closs hat geschrieben: Mit anderen Worten: Letztlich ist es wurscht, was der Mensch denkt - am Ende kommt es, wie es kommt.
Das trifft aber nur auf Dinge zu, die wir nicht beeinflussen können.
Ansonsten ist das Denken essentiell, weil es bestimmt, wie sich Gesellschaften entwickeln und gestalten.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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#9 Re: Rechthaberei

Beitrag von Pluto » Di 15. Mär 2016, 09:01

closs hat geschrieben:sonst gibt es hier auf dem Forum nur noch atheistische, naturalistische und christliche Besserwisser.
So ist es.
Allerdings mit dem kleinen Unterschied, dass die Einen ihre Aussagen empirisch untermauern können, während die anderen sich auf die Nicht-Falsifizierbarkeit ihrer Thesen berufen (sie wissen es einfach besser).
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#10 Re: Rechthaberei

Beitrag von closs » Di 15. Mär 2016, 09:47

sven23 hat geschrieben:Das trifft aber nur auf Dinge zu, die wir nicht beeinflussen können. Ansonsten ist das Denken essentiell, weil es bestimmt, wie sich Gesellschaften entwickeln und gestalten.
Es kommt trotzdem, wie es kommt. - Das wirklich Wichtige für das Individuum ist immer gleich.

Pluto hat geschrieben:sie wissen es einfach besser
Aber nur deshalb, weil sie innerhalb von Systemen denken, die nur das beinhalten, was im gewissen Rahmen wissbar ist. - Im Grunde handelt es sich nicht um eine Ausweitung, sondern ganz im Gegenteil um eine Selektion des systematisch Wissbaren.

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