Warum Leben wir?

Evolution vs. Schöpfung Debatte, Alter der Erde
Geologie, Plattentektonik, Archäologie, Anthropologie
Benutzeravatar
Halman
Beiträge: 4016
Registriert: Di 25. Feb 2014, 20:51

#1 Warum Leben wir?

Beitrag von Halman » Mo 13. Apr 2015, 16:47

Gestern bin ich im Internet zufällig auf ein hochinteressantes Video (Aufzeichung einer TV-Sendung) mit dem Biochemiker Prof. Gottfried Schatz gestoßen. Der Professor für Biochemie spricht sehr sympathisch, tief fundiert und mit glaubwürdiger Bescheidenheit über Biologie und Naturwissenschaft im Allgemeinen. Dabei streift er auch die Geisteswissenschaft. Die Sendung mag etwas lang sein, doch seine Ausführungen sind sehr komplex und daher empfehle ich, ihnen in Gänze zu folgen - meiner Meinung nach lohnt es sich.

Sein Spezialgebiet sind die Mitochondrien, die gewissermaßen in Symbiose mit unseren Zellen leben und höchst Bedeutsam für unsere Zellatmung sind.

Prof. Schatz räumt ein, dass Naturwissenschaften Grenzen gesetzt sind. Die Warum-Frage kann sie nur im naturwissenschaftlichen Sinn beantworten. Am Ende betont er, dass unser kulturrelles Erbe uns zum Menschen macht und wir vermutlich nicht total-gen-determiniert sind, sondern über Freiheitsgrade verfügen, im Rahmen unserer genetischen Anlagen.
In der Epigentik scheint er, sofern ich ihn richtig verstanden habe, ähnliche Ansichten zu vertreten wie Prof. Johannes Huber. Er war so ehrlich, zu erwähnen, dass diese Ansichten auf diesem noch sehr neuem Gebiet nicht von allen Kollegen geteilt werden - ein spannendes Forschungsgebiet.

Sofern ihr Teile oder gar das ganze Video gesehen habt, würde ich mich über Feeback freuen (schaut doch einfach mal rein, vielleicht gefällt es euch ja). Dieses Feeback darf auch geisteswissenschaftlich über den Tellerrand hinausblicken. Und da wir hier in unserem Religionsforum sind, dürfen natürlich auch religiöse Überlegungen einfließen :), auch wenn der Fokus hier auf der biologischen Perspektive liegt.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

Pluto
Administrator
Beiträge: 43975
Registriert: Mo 15. Apr 2013, 23:56
Wohnort: Deutschland

#2 Re: Warum Leben wir?

Beitrag von Pluto » Mo 13. Apr 2015, 18:07

Halman hat geschrieben:In der Epigentik scheint er, sofern ich ihn richtig verstanden habe, ähnliche Ansichten zu vertreten wie Prof. Johannes Huber. Er war so ehrlich, zu erwähnen, dass diese Ansichten auf diesem noch sehr neuem Gebiet nicht von allen Kollegen geteilt werden - ein spannendes Forschungsgebiet.
Die Mechanismen der Epigenetik sind in den letzten Jahren (seit dem Video) gut erforscht. Epigenetische Veränderungen wirken sich auf die "Expression" der Gene aus. Eine Veränderung der molekularen Struktur der DNA wird aber nicht beobachtet. Auch wenn sie einen sehr großen Einfluss auf die Merkmale der Individuen zeigen (Schatz erwähnt das genetisch identische Würmer die sich ganz unterschiedlich verhalten, sind epigenetische Prägungen flüchtig"; sie verschwinden nach wenigen Generationen wieder.

Halman hat geschrieben:Sofern ihr Teile oder gar das ganze Video gesehen habt, würde ich mich über Feeback freuen...
Mich beeindruckt die offensichtliche Bescheidenheit in den Aussagen von Prof. Schatz zu erkennen ist.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Samantha

#3 Re: Warum Leben wir?

Beitrag von Samantha » So 8. Mai 2016, 17:20

Pluto hat geschrieben:Die Mechanismen der Epigenetik sind in den letzten Jahren (seit dem Video) gut erforscht. Epigenetische Veränderungen wirken sich auf die "Expression" der Gene aus. Eine Veränderung der molekularen Struktur der DNA wird aber nicht beobachtet. Auch wenn sie einen sehr großen Einfluss auf die Merkmale der Individuen zeigen (Schatz erwähnt das genetisch identische Würmer die sich ganz unterschiedlich verhalten, sind epigenetische Prägungen flüchtig"; sie verschwinden nach wenigen Generationen wieder.
Ich halte es für möglich, dass einige Veränderungen dauerhaft sein können. Wir können dies zwar nicht wissen, da wir die Veränderungen noch nicht über Generationen beobachten und untersuchen konnten, aber es gibt Völker oder Gruppen, die gewisse Eigenschaften möglicherweise dauerhaft vererben, z. B. die Veranlagung zu Übergewicht und Diabetes. Können Gene durch dauerhafte Störungen des Stoffwechseln nicht evtl. mutieren?

"Es sind halt die Gene" behaupten dicke Kinder von dicken Eltern gern. Eine Aussage, die oft als Ausrede gewertet wird. Eine neue Studie des Instituts für experimentelle Genetik am Helmholtz-Zentrum München belegt nun aber, dass das stimmen kann. Zwar gibt es kein spezielles Gen für Fettleibigkeit, das von Generation zu Generation weitergegeben wird. Eizellen wie Spermien tragen den Forschern zufolge aber bestimmte, epigenetisch genannte Informationen weiter, die die Anfälligkeit fürs Dicksein erhöhen.
mdr-Religion und Gesellschaft: Wie der Lebensstil Spuren im Erbgut hinterlässt

Pluto
Administrator
Beiträge: 43975
Registriert: Mo 15. Apr 2013, 23:56
Wohnort: Deutschland

#4 Re: Warum Leben wir?

Beitrag von Pluto » So 8. Mai 2016, 17:55

Samantha hat geschrieben:Ich halte es für möglich, dass einige Veränderungen dauerhaft sein können.
Und wie begründest du deinen Verdacht?

Samantha hat geschrieben:Wir können dies zwar nicht wissen, da wir die Veränderungen noch nicht über Generationen beobachten und untersuchen konnten, aber es gibt Völker oder Gruppen, die gewisse Eigenschaften möglicherweise dauerhaft vererben, z. B. die Veranlagung zu Übergewicht und Diabetes.
Da gebe ich dir Recht. Das Gebiet (Übergewicht und die Folgen) ist in den letzten 20-30 Jahren sehr intensiv erforscht worden.

Die Ursache solcher Krankheiten scheint tatsächlich eine Folge epigenetischer Veränderungen zu sein. Wenn du googeln willst, Stichwort: DNA-Methylierung.

Samantha hat geschrieben:Können Gene durch dauerhafte Störungen des Stoffwechseln nicht evtl. mutieren?
Mutation ist ein nicht aufzuhaltender Prozess der Veränderung in unseren Genen.
Damit eine Veränderung dauerhaft wirkt, muss man aber den Mechanismus der Vererbung genau unter die Lupe nehmen.
Mutationen müssen in den haploiden Zellen (Ei-, bzw. Samenzellen) stattfinden. Haploide Zellen sind spezielle Zellen, die nur die Hälfte der Gene enthalten. Normale (diploide) Zellen machen aber den allergrößten Teil des Körpers aus. Veränderungen in den diploiden Zellen des Körpers können aber nicht vererbt werden.
Deshalb spielt die DNA-Methylierung in den haploiden Zellen eine so wichtige Rolle in der Vererbung. Wenn haploide Samenzellen gebildet werden, unterlaufen sie einen Prozess der "Entmethylierung". Da dieser Prozess nicht perfekt wird, bleiben einige Methyl-Gruppen in der Erbsubstanz hängen und werden so mit vererbt. Dieser Mechanismus ist vermutlich für Übergewicht verantwortlich. Entzieht man dem Organismus die Nahrung, so wird der Einfluss der Methylierung in den nachfolgenden Generationen immer weniger. In der Praxis verschwindet sie nach 3-4 Generationen vollständig.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Samantha

#5 Re: Warum Leben wir?

Beitrag von Samantha » So 8. Mai 2016, 18:24

Pluto hat geschrieben:
Samantha hat geschrieben:Ich halte es für möglich, dass einige Veränderungen dauerhaft sein können.
Und wie begründest du deinen Verdacht?
Die Menschen werden immer dicker, größer und klüger.


Wenn haploide Samenzellen gebildet werden, unterlaufen sie einen Prozess der "Entmethylierung".
Kann nicht genau da auch eine Mutation aufgrund der "Epigene" erfolgen?


Entzieht man dem Organismus die Nahrung, so wird der Einfluss der Methylierung in den nachfolgenden Generationen immer weniger. In der Praxis verschwindet sie nach 3-4 Generationen vollständig.
Dann werden die Menschen wieder schlanker, kleiner und vielleicht dümmer? :lol:

Samantha

#6 Re: Warum Leben wir?

Beitrag von Samantha » So 8. Mai 2016, 18:49

Hier steht ein Satz, den ich nicht ganz verstehe:
In Krebszellen werden Tumorsuppressorgene durch DNA-Methylierung im Promotorbereich abgeschaltet, sodass die Zellen schneller proliferieren können.
Heißt dies, dass Krebs durch eine Veranlagung entstehen kann, obwohl man gesund lebt?

Pluto
Administrator
Beiträge: 43975
Registriert: Mo 15. Apr 2013, 23:56
Wohnort: Deutschland

#7 Re: Warum Leben wir?

Beitrag von Pluto » So 8. Mai 2016, 19:00

Samantha hat geschrieben:Kann nicht genau da auch eine Mutation aufgrund der "Epigene" erfolgen?
Nein.
Das ist aufgrund des Mutationsmechanismus ausgeschlossen.

Samantha hat geschrieben:
Entzieht man dem Organismus die Nahrung, so wird der Einfluss der Methylierung in den nachfolgenden Generationen immer weniger. In der Praxis verschwindet sie nach 3-4 Generationen vollständig.
Dann werden die Menschen wieder schlanker, kleiner und vielleicht dümmer? :lol:
Wir wurden dank unserer Ernährung größer.
Dicker wurden wir aufgrund des Überflusses an Nahrungsmitteln, vor allem Zucker, der früher eher selten war.

Aber klüger, intelligenter... das glaube ich weniger.
Meinst du vielleicht den Flynn-Effekt?

Ich denke, unsere Ur-urgroßeltern waren nicht dümmer. Heute haben wir einfach eine andere Art der Bildung. Diese ist mE wesentlich wissenschaftlicher geworden.
IQ-Tests messen nicht unbedingt unsere Intelligenz, sondern viel mehr den Bildungsgrad, und die Richtung unserer Denkweise.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Samantha

#8 Re: Warum Leben wir?

Beitrag von Samantha » So 8. Mai 2016, 20:10

Pluto hat geschrieben:Aber klüger, intelligenter... das glaube ich weniger.
Meinst du vielleicht den Flynn-Effekt?
Ja, ich weiß, dass wir nicht wirklich klüger werden, nur gebildeter. Dennoch denken wir auf einer anderen Ebene, auch abstrakter.


IQ-Tests messen nicht unbedingt unsere Intelligenz, sondern viel mehr den Bildungsgrad, und die Richtung unserer Denkweise.
Dann müssten diese Tests ja an alle mögliche Bedingungen angepasst werden, damit sie aussagekräftig bleiben.

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#9 Re: Warum Leben wir?

Beitrag von closs » So 8. Mai 2016, 20:21

Pluto hat geschrieben:Auch wenn sie einen sehr großen Einfluss auf die Merkmale der Individuen zeigen (Schatz erwähnt das genetisch identische Würmer die sich ganz unterschiedlich verhalten, sind epigenetische Prägungen flüchtig"; sie verschwinden nach wenigen Generationen wieder.
Und was ist, wenn ein epigenetisch einmal gemachte Prägung, die sich dann auch nach außen zeigt, sozial weitervererbt wird?

Samantha hat geschrieben:Kann nicht genau da auch eine Mutation aufgrund der "Epigene" erfolgen?
Genau das vermute ich (über soziale Vererbung hinaus) - kann es aber selbstverständlich nicht beweisen.

Samantha hat geschrieben:Heißt dies, dass Krebs durch eine Veranlagung entstehen kann, obwohl man gesund lebt?
Unabhängig vom speziellen Hintergrund hier: Ja.

Unter Ärzten spielt seit einigen Jahren die Frage "Woran sind Ihre Großeltern und evt. Eltern gestorben oder erkrankt?" eine immer entscheidendere Rolle. Dies ging bei mir soweit, dass zwei völlig unabhängige Hausärzte (einer alt - meine neue jung) auf eine kassen-bezahlte Prophylaxe-Darmspiegelung verzichtet haben, weil sie sagen: "Die Wahrscheinlichkeit, dass Du an Magen-/Darm-Krebs stirbst, ist verschwindend gering".

Pluto
Administrator
Beiträge: 43975
Registriert: Mo 15. Apr 2013, 23:56
Wohnort: Deutschland

#10 Re: Warum Leben wir?

Beitrag von Pluto » Mo 9. Mai 2016, 01:05

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Auch wenn sie einen sehr großen Einfluss auf die Merkmale der Individuen zeigen (Schatz erwähnt das genetisch identische Würmer die sich ganz unterschiedlich verhalten, sind epigenetische Prägungen flüchtig"; sie verschwinden nach wenigen Generationen wieder.
Und was ist, wenn ein epigenetisch einmal gemachte Prägung, die sich dann auch nach außen zeigt, sozial weitervererbt wird?
Äh... das Zitat war nicht von mir.

Was meinst du mit "sozial weitervererbt".
Epigenetik ist chemische Vererbung über die DNA; soziale Vererbung nennt man "kulturelle Veränderung". ==> Zwei völlig unterschiedliche Baustellen.

closs hat geschrieben:
Samantha hat geschrieben:Kann nicht genau da auch eine Mutation aufgrund der "Epigene" erfolgen?
Genau das vermute ich (über soziale Vererbung hinaus) - kann es aber selbstverständlich nicht beweisen.
Du vermutest falsch, weil der Mechanismus ein völlig anderer ist.

closs hat geschrieben:
Samantha hat geschrieben:Heißt dies, dass Krebs durch eine Veranlagung entstehen kann, obwohl man gesund lebt?
Unabhängig vom speziellen Hintergrund hier: Ja.
Richtig. Aber was vererbt wird, ist die genetische Tendenz zu Krebs; NICHT die Krebszelle!

closs hat geschrieben:Unter Ärzten spielt seit einigen Jahren die Frage "Woran sind Ihre Großeltern und evt. Eltern gestorben oder erkrankt?" eine immer entscheidendere Rolle.
Woher weißt du das?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Antworten