Wie Fronten durch falsche Fragen verhärtet werden

Evolution vs. Schöpfung Debatte, Alter der Erde
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ThomasM
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#1 Wie Fronten durch falsche Fragen verhärtet werden

Beitrag von ThomasM » Mo 13. Nov 2017, 13:01

Auch in den Diskussionen hier im Forum scheiden sich bei der Frage, wie das Leben entstanden ist, die Geister zwischen Kreationismus, ID und Evolutionstheorie.
Ich habe jetzt eine Umfrage von der Forschungsgruppe Weltanschauung entdeckt, wo diese Frage 2005 in Deutschland das Thema war.

https://fowid.de/meldung/evolution-und-kreationismus

Die Meldung, die sich daraus ergab (und die mich auf die Umfrage aufmerksam machte) war alarmistisch.
"ein Drittel aller Deutschen lehnen die Evolutionstheorie ab"
Oder anders ausgedrückt: Deutschland ist auf dem Weg in einen Gottesstaat.

Aber wie war die Frage? Sie lautetet wie folgt
Sagen Sie bitte, welcher der folgenden Aussagen Sie am ehesten zustimmen:
(1) Gott hat das Leben auf der Erde mit sämtlichen Arten direkt erschaffen, so, wie es in der Bibel steht

(2) das Leben auf der Erde wurde von einem höheren Wesen bzw. von Gott erschaffen, durchlief aber einen langwierigen Entwicklungsprozess, der von einem höheren Wesen bzw. von Gott gesteuert wurde

(3) das Leben auf der Erde ist ohne Einwirken einer höheren Macht entstanden und hat sich in einem natürlichen Entwicklungsprozess weiterentwickelt.
Position (1) wird mit dem Kreationismus identifiziert.
Position (2) mit ID
Position (3) mit der Evolutionstheorie.

Offensichtlich hat die Forschungsgruppe in ihrem Bemühen, die Sache zu vereinfachen, übersehen, dass (2) weder die ID Position korrekt wiedergibt, noch dass sich zwischen (2) und (3) von der Naturwissenschaft her kein Widerspruch ergibt.
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

closs
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#2 Re: Wie Fronten durch falsche Fragen verhärtet werden

Beitrag von closs » Mo 13. Nov 2017, 13:24

ThomasM hat geschrieben:Offensichtlich hat die Forschungsgruppe in ihrem Bemühen, die Sache zu vereinfachen, übersehen, dass (2) weder die ID Position korrekt wiedergibt, noch dass sich zwischen (2) und (3) von der Naturwissenschaft her kein Widerspruch ergibt.
Du sprichst hier einen extrem wichtigen Punkt an - dazu habe ich an anderer Stelle andere Beispiele zitiert, bei denen, jeweils auf wissenschaftlicher Basis, einmal eine SChachtel Zigarette 40 oder 4 Euro kosten müsste und 38% oder 1% der inländischen Moslems "extremistisch" sind. - Dasselbe Muster.

Jetzt fehlt nur noch in Deinem Fall eine Forschungsgruppe, die ebenfalls wissenschaftlich "nachweist", dass nur 1% die ET ablehnt oder 90% - wie es halt kommt. Dann fehlt nur noch ein geeigneter Vertriebskanal in die Öffentlichkeit hinein, die EINES dieser Ergebnisse als "wissenschaftlich nachgewiesen" in der Öffentlichkeit vertreibt - und schon werden diejenigen, die sagen, dass dies doch nicht sein könne, als "postfaktisch" hingestellt.

Vielleicht merkt man es: Ich bin diesbezüglich hoch emotional, weil mir gelegentlich meine diesbezüglichen Hinweise als "Wissenschaftsfeindlichkeit" ausgelegt werden, wo ich doch genau das Gegenteil will: Eine seriöse Vermittlung von Wissenschaft - wozu allerings auch gehört, dass man vermittelt, was Wissenschaft kann und was sie nicht kann.

Ob es bei dieser Forschungsgruppe ein "Bemühen, die Sache zu vereinfachen", gab, kann ich nicht beurteilen - der Antwort auf diese Frage kommt man eventuell dadurch näher, dass man mal guckt, wer diese Studie gemacht hat bzw. in wessen Auftrage sie gemacht wurde. - Unanbhängig davon: Wenn ein Wissenschaftler solche Studien macht, müsste er philosophisch fit genug sein, die Fallstricke zu erkennen - dies wurde hier versäumt.

Pluto
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#3 Re: Wie Fronten durch falsche Fragen verhärtet werden

Beitrag von Pluto » Mo 13. Nov 2017, 13:40

ThomasM hat geschrieben:Aber wie war die Frage? Sie lautetet wie folgt
Sagen Sie bitte, welcher der folgenden Aussagen Sie am ehesten zustimmen:
(1) Gott hat das Leben auf der Erde mit sämtlichen Arten direkt erschaffen, so, wie es in der Bibel steht

(2) das Leben auf der Erde wurde von einem höheren Wesen bzw. von Gott erschaffen, durchlief aber einen langwierigen Entwicklungsprozess, der von einem höheren Wesen bzw. von Gott gesteuert wurde

(3) das Leben auf der Erde ist ohne Einwirken einer höheren Macht entstanden und hat sich in einem natürlichen Entwicklungsprozess weiterentwickelt.
Position (1) wird mit dem Kreationismus identifiziert.
Position (2) mit ID
Position (3) mit der Evolutionstheorie.

Offensichtlich hat die Forschungsgruppe in ihrem Bemühen, die Sache zu vereinfachen, übersehen, dass (2) weder die ID Position korrekt wiedergibt, noch dass sich zwischen (2) und (3) von der Naturwissenschaft her kein Widerspruch ergibt.
Eine Frage: Was ist der objektive Unterschied zwischen Kreationismus und ID?

Die katholische Kirche vertritt eine 4. Variante, die allgemein als "theistisch gelenkte Evolution" bekannt ist. Das bedeutet, dass Gott hin und wieder eingegriffen hat, um den Menschen als Endprodukt hervorzubringen. Diese These kann aber aus fünf Gründen nicht stimmen.
1.) Niemand kann die Interventionspunkte Gottes definieren. Wann und wo hat Gott eingegriffen?
2.) Die Evolution ist beim Menschen nicht zu Ende. Mutationen finden statt und der Mensch entwickelt sich bekanntlich weiter.
3.) Der Mensch (Homo sapiens) ist bekanntlich ein Affe, genau gesagt der Gattung Homo, in der Familie der Menschenaffen.
4.) Die Lebensdauer der menschlichen Art ist begrenzt. Es gibt gute Gründe daran zu zweifeln, dass der Mensch nicht ewig weiter bestehen wird.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.


ThomasM
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#5 Re: Wie Fronten durch falsche Fragen verhärtet werden

Beitrag von ThomasM » Mo 13. Nov 2017, 15:35

Pluto hat geschrieben: Eine Frage: Was ist der objektive Unterschied zwischen Kreationismus und ID?
Die Definition der Forschungsgruppe hast du ja gelesen. Sie ist meines Erachtens aber falsch.

Nach meiner Wahrnehmung vertreten Kreationisten den Standpunkt "Kurzzeit Kreationismus", d.h. neben dem Eingreifen Gottes auch noch eine Lebensdauer des Universums von maximal 10.000 Jahren.
Die ID Vertreter (hier im Forum Roland) halten sich bei der Frage der Lebensdauer des Universums bedeckt, können also eine lange Lebensdauer des Universums akzeptieren.
Sie behaupten lediglich eine Unvollständigkeit der naturwissenschaftlichen Beschreibung, also ein Eingreifen von Gott ab und zu, das, was du als Standpunkt der katholischen Kirche siehst. Ich glaube aber, dass die Meinungsvielfalt in der katholischen Kirche größer ist.

Pluto hat geschrieben: Die katholische Kirche vertritt eine 4. Variante, die allgemein als "theistisch gelenkte Evolution" bekannt ist.
Das vertrete ich ja auch, allerdings greift Gott nicht ab und zu ein, sondern immer und ständig.

Pluto hat geschrieben: Diese These kann aber aus fünf Gründen nicht stimmen.
1.) Niemand kann die Interventionspunkte Gottes definieren. Wann und wo hat Gott eingegriffen?
Es gibt kein einziges Ereignis, bei dem Gott nicht eingreift.

Pluto hat geschrieben: 2.) Die Evolution ist beim Menschen nicht zu Ende. Mutationen finden statt und der Mensch entwickelt sich bekanntlich weiter.
Na und? Ist ja auch biblisch. Gott arbeitet weiter mit den Menschen. Allerdings sehe ich kein Heil in der Biologie. Das Heil ist etwas Geistliches.

Pluto hat geschrieben: 3.) Der Mensch (Homo sapiens) ist bekanntlich ein Affe, genau gesagt der Gattung Homo, in der Familie der Menschenaffen.
Das stört zwar so manchen, aber so ist nun mal die biologische Klassifizierung

Pluto hat geschrieben: 4.) Die Lebensdauer der menschlichen Art ist begrenzt. Es gibt gute Gründe daran zu zweifeln, dass der Mensch nicht ewig weiter bestehen wird.
Eine sehr biblische Einstellung, frag mal R.F. Lediglich um die Art des Endes mag es ein paar Meinungsverschiedenheiten geben.
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

ThomasM
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#6 Re: Wie Fronten durch falsche Fragen verhärtet werden

Beitrag von ThomasM » Mo 13. Nov 2017, 15:37

Janina hat geschrieben: Was mich am meisten erstaunt ist, dass es unter den Kreationisten auch Konfessionslose gibt. :o
Das erstaunt mich nicht.
Wenn alle Kirchen Häretiker sind (weil man allein die Wahrheit gepachtet habe, die keine Kirche so vertritt), muss man konsequenterweise aus allen Kirchen austreten.
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

JackSparrow
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#7 Re: Wie Fronten durch falsche Fragen verhärtet werden

Beitrag von JackSparrow » Mi 15. Nov 2017, 09:22

ThomasM hat geschrieben:"ein Drittel aller Deutschen lehnen die Evolutionstheorie ab"
Schulnoten sind binomialverteilt. Das heißt 70 % aller Deutschen verstehen die Evolutionstheorie schon in der Schule nur unzureichend.

noch dass sich zwischen (2) und (3) von der Naturwissenschaft her kein Widerspruch ergibt.
"gesteuert" und "ohne Einwirken" ist Widerspruch genug.

Das vertrete ich ja auch, allerdings greift Gott nicht ab und zu ein, sondern immer und ständig.
Wo ein Gott "immer und ständig" eingreifen muss, gelten die normalen physikalischen Regeln logischerweise niemals und zu keinem Zeitpunkt - sonst könnte man ja das Eingreifen dieses Gottes vorausberechnen.

ThomasM
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#8 Re: Wie Fronten durch falsche Fragen verhärtet werden

Beitrag von ThomasM » Mi 15. Nov 2017, 10:10

JackSparrow hat geschrieben: Wo ein Gott "immer und ständig" eingreifen muss, gelten die normalen physikalischen Regeln logischerweise niemals und zu keinem Zeitpunkt - sonst könnte man ja das Eingreifen dieses Gottes vorausberechnen.
Deine Logik ist ganz schön fehlerhaft.
Physikalische Regeln funktionieren nur, weil Gott sie beständig zum Funktionieren bringt.
Manchmal kann man so sein Eingreifen vorausberechnen, aber keineswegs immer, ja meistens nicht.

Beispiele:
- Nehme ein einzelnen radioaktiven Atomkern und berechne mal, wann der zerfällt.
- Lass mal einen Ball aus 10 Meter Höhe fallen. Jetzt berechne, wo er exakt aufkommt.
- Berechne mal für ein Baby, wann es sterben wird.
- ...

Kannst du alles nicht. Berechnungen werden in ihrer Macht weit überschätzt.
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

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#9 Re: Wie Fronten durch falsche Fragen verhärtet werden

Beitrag von Detlef » Mi 15. Nov 2017, 10:25

ThomasM hat geschrieben:
JackSparrow hat geschrieben: Wo ein Gott "immer und ständig" eingreifen muss, gelten die normalen physikalischen Regeln logischerweise niemals und zu keinem Zeitpunkt - sonst könnte man ja das Eingreifen dieses Gottes vorausberechnen.
Deine Logik ist ganz schön fehlerhaft.
Physikalische Regeln funktionieren nur, weil Gott sie beständig zum Funktionieren bringt.
Manchmal kann man so sein Eingreifen vorausberechnen, aber keineswegs immer, ja meistens nicht.
Beispiele:
- Nehme ein einzelnen radioaktiven Atomkern und berechne mal, wann der zerfällt.
- Lass mal einen Ball aus 10 Meter Höhe fallen. Jetzt berechne, wo er exakt aufkommt.
- Berechne mal für ein Baby, wann es sterben wird.
- ...
Kannst du alles nicht. Berechnungen werden in ihrer Macht weit überschätzt.
Also ist Gott eine absolut vernachlässigbare Größe !?
Die Wahrheit lässt sich pachten, mit dem Glauben an des Gottes Sohn, doch die Thesen sind vergänglich, allen Gläubigen zum Hohn! (Gert Reichelt)

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#10 Re: Wie Fronten durch falsche Fragen verhärtet werden

Beitrag von Janina » Mi 15. Nov 2017, 10:45

Pluto hat geschrieben:Position (1) wird mit dem Kreationismus identifiziert.
Position (2) mit ID
Position (3) mit der Evolutionstheorie.

Was ist der objektive Unterschied zwischen Kreationismus und ID?
ID ist Kreationismus ohne Quellenangabe.

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