Götz Werner - Einkommen für das Individuum statt für Arbeit

Politik und Weltgeschehen
closs
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#21 Re: Götz Werner - Einkommen für das Individuum statt für Arb

Beitrag von closs » Do 12. Dez 2013, 00:55

piscator hat geschrieben:Der nachmittägliche Rundgang Media-Markt -> Deichmann -Kik -> Trinkhalle entfällt
Du magst in einem großstädtischen Problemviertel leben (es klingt so) - in meinem Umfeld ist das ganz anders:

Hartz bekommen bei uns meistens alleinerziehende Mütter, Aufstocker im Niedriglohn-Sektor und Rentner (meistens -innen), deren Rente unter Hartz ist.

Wären wir eine Leistungsgesellschaft, würden Mütter leistungsgerecht bezahlt werden, Niedriglohn-Bezieher leistungsgerecht bezahlt werden und Rentner (innen) eine leistungsgerechte Rente bekommen (das hat NICHTS mit "Grundeinkommen" zu tun, sondern mit Leistungs-Einkommen).

Fast ALLE (ehemals west-deutschen) Rentner (wenn sie nicht gerade 100 Jahre alt werden) bekommen weniger Rente, als sie eingezahlt haben. Auch ich habe bis vor wenigen Jahren gedacht, dass der Rentenbeitrag eine Sparsumme (+ Verzinsung) ist (so wie Vermögendere OHNE Rentenversicherungspflicht ihre Rente bei einer Bank ansparen). - Dass es beim Staat ein Umlageverfahren gibt, hat für mich dabei keine Rolle gespielt, weil der Vermögensverwalter der Rentenbeträge (also der Staat) treuhänderisch mit unserem Geld verfahren kann, wie erwill - Hauptsache er lässt die Finger vom Angesparten seiner Kunden (!). - Viele Menschen fallen noch heute aus allen Wolen, wenn sie hören, dass genau DAS passiert.

Lieber Piscator, Du kannst beruflich rechnen: Heute kam ein Fall im TV, wo einem Angestellten ausgerechnet wurde, dass er nach 45 Einzahljahren bei 2.500 Euro netto pm nun mit 990,- Euro Rente netto zu rechen hat. - Rechne mal 45 Jahre (meinetwegen beginnend mit - umgerechnet - 1500 Euro brutto und jetzt 3500 Euro brutto) hoch - incl. Arbeitgeber-Anteil - und ermittle den Betrag, den dieser Kunde (!) seitdem incl. Zins und Zinseszins angespart hat (also heute auf seinem Sparbuch haben müsste) - ein paar Prozent Versicherungsanteil wegen Frühverrentung kann man ja abziehen. - Auf wieviel Euro pro Monat käme er, wenn er seine statistisch noch folgenden 15 Jahre leben würde (incl. weiterlaufenden Vermögenszins und Verzehr). - Sicher weit, weit über 990,- Euro netto (= so um die 1500 netto, schätze ich).

Ich halte es - um zum Thema zurückzufinden - für einen Ausbund an Heuchelei, überhaupt noch bei uns von "LEistungsgesellschaft" zu sprechen. - Insofern taugt dieses Argument auch nicht zum Thema Götz Werner.

Um nicht in den Verdacht zu geraten, ein verbitterter Rentner zu sein: Meine staatliche Rente begann ebenfalls 3-stellig - da ich aber privilegiert genug war, finanziell vorsorgen zu können, habe ich heute ziemlich genauso viel pro Monat wie früher. - Ich spreche hier also nicht für mich, sondern für die Abermillionen Verarschten im Volk.

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Demian
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#22 Re: Götz Werner - Einkommen für das Individuum statt für Arb

Beitrag von Demian » Do 12. Dez 2013, 02:05

Sehr richtig. Wer unsre Gesellschaft für eine Leistungsgesellschaft hält, muss schon
eine ordentlich selektive Wahrnehmung betreiben. ;) Diese Perspektive funktioniert recht gut, solange das System einigermaßen dicht hält. Dann kommt man mit dieser Anpassungsstrategie gut zurecht - die Situation sieht für viele Menschen nur eben ganz anders aus. Wenn man die Anpassung der „Bessergestellten“ bedenkt, dann muss man sich nicht wundern, wenn die weniger gut gestellten … sich auch … ihren Möglichkeiten nach … anpassen. Welcher unsrer Politiker würde wohl für einen Billiglohn arbeiten, während sie selbst prekäre Beschäftigungsverhältnis im Namen der Arbeitsmarktflexibilisierung
anpreisen? Ich weiß von einer Person, die HartzIV bezieht und nebenbei zusätzlich schwarz arbeitet, um einen sinnvollen Lohn zu erhalten ... diese Person PFLEGT eine hilfsbedürftige Freundin ... wüsste das Arbeitsamt von diesem Geld, dann würde man die Sozialhilfe kürzen. Auf diese Weise wird zwar die derzeitige Gesetzgebung unterlaufen, aber so ist der Lohn menschenwürdig. Ist das nun „kriminell“ oder einfach nur verständlich, wenn man die viel größere Abzocke der Wirtschaft bedenkt?
Um auf das BGE zurück zu kommen: wenn es soetwas geben würde, könnte Jeder jederzeit einen anderen Menschen pflegen ... eine Partei gründen ... eine Bürgerinitiative starten ... ehrenamtlich arbeiten ... mit Gleichgesinnten ein Unternehmen gründen ... eine Zeit lang sich weiterbilden oder künstlerisch arbeiten. Das wäre dann eine freie Marktwirtschaft und Leistungsgesellschaft jenseits von Kapitalismus und Staatssozialismus - „jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder nach seinen Bedürfnissen.“
NOCH ist das eine Utopie, aber es braucht Visionen.

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#23 Re: Götz Werner - Einkommen für das Individuum statt für Arb

Beitrag von piscator » Do 12. Dez 2013, 10:25

Demian hat geschrieben: Die üblichen Vorurteile gegen sozial weniger gut Begünstigte ... man hat ja mal von der römischen Dekadenz der Unterschicht gesprochen ... und ganz vergessen, dass die römische Dekadenz in der Oberschicht begonnen hat. HartzIV ist offener Strafvollzug ... ich weiß nicht, wie du dir das vorstellst ... kannst du dir das denn irgendwie angenehm vorstellen?

Demian, ich übe seit über 30 Jahren den Beruf eines Steuerberater aus, und nein, ich berate nicht die Klientel ala Hoeness oder Götz Werner mit seinem Drogerieimperium. Meine Mandanten sind Privatleute, kleine und mittlere Unternehmen in ganz Deutschland und im angrenzenden Ausland.

Es ist schlimm, dass Rentner nach 45 Jahren Arbeit kaum Rente bekommen, dass alleinerziehende Mütter ums Überleben kämpfen müssen und dass Unternehmer kurz vor dem Rentenalter Haus und Hof verlieren und in Hartz IV landen, nur weil sie mal einen unternehmerischen Fehler gemacht haben.

Aber seltsamerweise rufen diese Menschen nicht nach einem BGE, sondern eher Menschen, die noch nie etwas Sinnvolles gearbeitet und auch sonst noch nie etwas für die Gesellschaft getan haben.

Um auf das BGE zurück zu kommen: wenn es so etwas geben würde, könnte Jeder jederzeit einen anderen Menschen pflegen ... eine Partei gründen ... eine Bürgerinitiative starten ... ehrenamtlich arbeiten ... mit Gleichgesinnten ein Unternehmen gründen ... eine Zeit lang sich weiterbilden oder künstlerisch arbeiten. Das wäre dann eine freie Marktwirtschaft und Leistungsgesellschaft jenseits von Kapitalismus und Staatssozialismus - „jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder nach seinen Bedürfnissen.“

Man kann auch mit Hartz IV etwas Sinnvolles tun, Menschen pflegen, eine Partei gründen, ehrenamtlich arbeiten, usw.. Nur wo sind denn diese Leute? Gut, ich kenne jemanden persönlich, der mit 63 in Insolvenz ging und jetzt von Hartz IV lebt. Der Mann lernt jedes Jahr eine neue Fremdsprache und verbringt seine Zeit sinnvoll. Das ist gerade mal einer von vielen.

Aber glaubst du ernsthaft, dass der verfettete, stiernackige, großmäulige Jungtürke, der es in einem Leben nur zu einem steinalten 3-er BMW mit krassem Auspuff gebracht hat, plötzlich ein Paradebürger wird, wenn sein Hartz IV zu einem BGE umgewandelt wird.

Oder der Neonazi, der die Schuld für sein Versagen bei anderen, vorzugsweise Ausländern sucht, mit einem BGE zum vorbildlichen Demokaten wird?

Vin den christlichen Sektierern bei mir im Schwäbischen Wald mit zehn oder elf Kindern ganz zu schwiegen, die mit einem BGE mehr plötzlich Geld hätten, als der größte Unternehmer am Ort?

Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass der Zausel, der eine Internetseite mit Thema Chemtrails, Haarp, Gegen Stuttgart 21 und Aufstieg in die fünfte Dimension mit einem BGE vernünftig wird.

Für alle diese Leute wäre das BGE ein gefundenes Fressen, denn dann könnten sie sich komplett aus der Gesellschaft auskoppeln. Vielleicht werde ich dann nicht mehr beschimpft, weil ich ein 10 Jahre altes Auto fahre und ungläubig angeschaut, weil ich mir nicht permanent das neueste Handy oder die neueste Glotze leiste.

Das BGE nehme ich in dem Augenblick ernst, wenn diese Leute in Vorleistungen gehen. Ich muss das nicht, nach meiner letzten Steuererklärung konnten rund 656 Personen Unterhalt nach Hartz IV beziehen, im Prinzip bin ich auch stolz auf diese Leistung, aber irgendwo kotzt es mich auch an. nur die Melkkuh zu spielen.

Die Befürworter des BGE erinnern mich stark an die alten, stinkreichen, evangelikalen, weltfremden Societyschnepfen in den Staaten., die bei ihren Wohltätigkeitsdinnern davon faseln, dass mit der Einführung von Schulgebeten schlagartige Jungenkriminalität und Armut in den USA beseitigt würden.
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#24 Re: Götz Werner - Einkommen für das Individuum statt für Arb

Beitrag von Demian » Do 12. Dez 2013, 12:02

piscator hat geschrieben: Es ist schlimm, dass Rentner nach 45 Jahren Arbeit kaum Rente bekommen, dass alleinerziehende Mütter ums Überleben kämpfen müssen und dass Unternehmer kurz vor dem Rentenalter Haus und Hof verlieren und in Hartz IV landen, nur weil sie mal einen unternehmerischen Fehler gemacht haben.
Aber seltsamerweise rufen diese Menschen nicht nach einem BGE, sondern eher Menschen, die noch nie etwas Sinnvolles gearbeitet und auch sonst noch nie etwas für die Gesellschaft getan haben.

Das kann ich so nicht bestätigen ... weshalb sollten Menschen die solche alternativen Ideen entwickeln „noch nie etwas Sinnvolles“ gearbeitet haben? - und was ist für dich „sinnvoll“? Ich persönlich kenne einige Menschen, die mit diesen Ideen stark sympathisieren … und alle davon haben viel sinnvolles in ihrem Leben gemacht. Auch ist es nicht so, dass die Menschen unreflektiert und irre nach einem BGE „rufen“ - es ist einfach eine IDEE. :thumbup:
Es wäre besser, in meinen Augen, wenn man über die INHALTE reden würde, eine gesellschaftliche Diskussion darüber und über andere Themen führen würde ... anstatt die Personen schlecht zu machen. Heutzutage reduziert man wichtige Diskussionen gerne auf Personen, aber Person und Inhalt sind zweierlei. Mein Eindruck ist, dass das einfach Ablenkungsmanöver sind, weil man sich nicht die Mühe machen möchte eine andere Perspektive einzunehmen.

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#25 Re: Götz Werner - Einkommen für das Individuum statt für Arb

Beitrag von piscator » Do 12. Dez 2013, 12:53

Demian hat geschrieben: ...Es wäre besser, in meinen Augen, wenn man über die INHALTE reden würde, eine gesellschaftliche Diskussion darüber und über andere Themen führen würde ... anstatt die Personen schlecht zu machen. Heutzutage reduziert man wichtige Diskussionen gerne auf Personen, aber Person und Inhalt sind zweierlei. Mein Eindruck ist, dass das einfach Ablenkungsmanöver sind, weil man sich nicht die Mühe machen möchte eine andere Perspektive einzunehmen.

Nun, lieber Demian, was genau sind denn die Inhalte? Der einzige Inhalt, den ich sehe, ist der Ruf einiger Bürger nach einer umfassenden Alimentierung durch die Allgemeinheit.
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#26 Re: Götz Werner - Einkommen für das Individuum statt für Arb

Beitrag von Demian » Do 12. Dez 2013, 13:15

piscator hat geschrieben:
Demian hat geschrieben: ...Es wäre besser, in meinen Augen, wenn man über die INHALTE reden würde, eine gesellschaftliche Diskussion darüber und über andere Themen führen würde ... anstatt die Personen schlecht zu machen. Heutzutage reduziert man wichtige Diskussionen gerne auf Personen, aber Person und Inhalt sind zweierlei. Mein Eindruck ist, dass das einfach Ablenkungsmanöver sind, weil man sich nicht die Mühe machen möchte eine andere Perspektive einzunehmen.

Nun, lieber Demian, was genau sind denn die Inhalte? Der einzige Inhalt, den ich sehe, ist der Ruf einiger Bürger nach einer umfassenden Alimentierung durch die Allgemeinheit.

Der zentrale Inhalt des BGE ist ... ein Paradigmenwechsel in unsrer gesamten Arbeitsmoral ... konkret: nicht die Arbeit wird bezahlt, sondern die Ermöglichung der Arbeit. Es geht um eine praktische Umsetzung des 1 Artikels unsrer Verfassung: „die Würde des Menschen ist unantastbar.“ - unantastbar bin ich aber nur, wenn ich möglichst unabhängig von einem bestimmten Arbeitgeber bin. Die unternehmerische Initiative wird also von der Chefetage in jeden Einzelnen verlegt. Somit wird jedes Arbeitsverhältnis auf freiwilliger Basis ausgehandelt werden – was heute nur oberflächlich der Fall ist, schließlich arbeitet man heute um Geld zu verdienen, nicht weil man diese oder jene Arbeit wirklich (!) machen möchte. Manche Menschen haben zwar das Glück, aber das ist eher die Ausnahme.

Von der anderen Seite her gedacht:

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#27 Re: Götz Werner - Einkommen für das Individuum statt für Arb

Beitrag von piscator » Do 12. Dez 2013, 15:48

Wirklich interessant, was manche Menschen aus unserem Grundgesetz herauslesen. :lol:

Dann muss ich als Arbeitgeber mal meine Menschenwürde bei den Verhandlungen mit den Gewerkschaften
einfordern.
Tarifverträge verletzen meine Menschenwürde, ich möchte das Gehalt mit meinen Mitarbeitern frei
aushandeln können.

Auch in meiner Eigenschaft als Steuerzahler finde ich mich in meiner Menschenwürde verletzt, da ich der
Meinung bin, dass ich mit meinem Geld besser umgehen kann, als der Staat.
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