Kruzifixe in bayrischen Behörden

Politik und Weltgeschehen
Benutzeravatar
sven23
Beiträge: 23476
Registriert: Fr 10. Mai 2013, 15:55

#31 Re: Kruzifixe in bayrischen Behörden

Beitrag von sven23 » Sa 28. Apr 2018, 17:39

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Das war bei Adolf Hitler so, das ist bei Putin so oder bei Erdogan und Trump, der konservative Wählerschichten im Bible Belt mobilisierte. Selbst die AFD beruft sich auf "christliche Werte", wobei ihre Ausländerfeindlichkeit alles andere als dem Vorbild des barmherzigen Samariters folgt.
Auch Potentaten oder Halb-Demokraten versuchen, dem Volk mit dem zu begegnen, was dort gut ankommt. - Hitler wollte die Schmach von Versailler tilgen
Und er wollte die jüdische Rasse in Europa ausrotten, was auch gut ankam. Hier haben 2000 Jahre christlich-kirchlicher Antijudaismus ihre Wirkung voll entfaltet.

closs hat geschrieben: - Putin steht für ein starkes Russland gegen die westliche Bedrohung - das kommt gut an.
Putin versichert sich der Unterstützung durch die orthodoxe Kirche, was seinem Machterhalt dienlich ist. Es muss sozusagen aus Eigenschutz an der Macht bleiben, weil er sich nie sicher sein kann, welche Regierungen nach ihm kommen. Vielleicht kämen ja welche an die Macht, die mal kritisch nachfragen, wie er an seine Milliarden gekommen ist.

closs hat geschrieben: - Erdogan steht für Nationalstolz und eigene muslimische Identität - komtt gut an.
Erdogan hat das zarte Pflänzchen von Demokratie, Laizismus und Rechtsstaatlichkeit brutal zertreten, wohl auch zum Eigenschutz und Schutz seines Familienclans, der sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichert hat.

closs hat geschrieben: - Trump steht für die global Abgehängten - kommt gut an. -
Der Milliardär Trump ist aus Sicht der Wohlstandsevangelium-Anhänger der beste Beweis dafür, dass Gott die Gläubigen belohnt, und zwar materiell.


closs hat geschrieben: Wir haben aber eine Demokratie und sollten nicht mit Potentaten verglichen werden. - Wenn Söder ein Zeichen setzen will, dass das Volk nicht nur aus Randgruppen, sondern auch aus einer Mitte besteht, kann man das gut oder schlecht finden - aber undemokratisch ist es nicht.
Nein, es ist nicht undemokratisch, dem Volk nach dem Maul zu reden, nur populistisch.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#32 Re: Kruzifixe in bayrischen Behörden

Beitrag von closs » Sa 28. Apr 2018, 19:09

sven23 hat geschrieben:Nein, es ist nicht undemokratisch, dem Volk nach dem Maul zu reden, nur populistisch.
Wenn Du "Demokratie" so definierst, dass eine Minderheit die Mehrheit bevormundet, hast Du recht. - Wir sollten uns aus meiner Sicht lieber daran gewöhnen, dass es auch eine Mitte der Bevölkerung gibt - das hat nichts mit "populistisch" zu tun.

Benutzeravatar
SamuelB
Beiträge: 3740
Registriert: Sa 30. Sep 2017, 17:02

#33 Re: Kruzifixe in bayrischen Behörden

Beitrag von SamuelB » Sa 28. Apr 2018, 19:50

Detlef hat geschrieben:Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Demokratie, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, das waren keine religiösen Werte, sondern Werte, die gegen die Religion erkämpft werden mussten.
Jetzt können wir für den Erhalt dieser Werte kämpfen. Neulich sollten in einem türkischen Restaurant meine Kolleginnen in der hintersten Ecke sitzen, weil "Frauen sitzen immer hinten"!!! Er sprach auch nicht mit ihnen, sah sie nicht an, sondern nur mit mir. Der Tag war natürlich gelaufen.

Das sagt Jürgen Domian zu solchen Entwicklungen:
https://www.ksta.de/kultur/kolumne-von- ... mcid=sm_fb

Da hilft es auch nicht, ein paar Kreuze in Behörden aufzuhängen. Was soll das überhaupt aussagen? Das Christentum steht nämlich nicht für diese Werte.

Benutzeravatar
1Johannes4
Beiträge: 710
Registriert: Fr 10. Mär 2017, 19:17

#34 Re: Kruzifixe in bayrischen Behörden

Beitrag von 1Johannes4 » Sa 28. Apr 2018, 22:28

Hallo zusammen,

interessant ist in diesem Zusammenhang die Begründung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes im sogenannten „Kruzifix-Urteil“ von 1995:
Aus der Glaubensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG folgt im Gegenteil der Grundsatz staatlicher Neutralität gegenüber den unterschiedlichen Religionen und Bekenntnissen. Der Staat, in dem Anhänger unterschiedlicher oder gar gegensätzlicher religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen zusammenleben, kann die friedliche Koexistenz nur gewährleisten, wenn er selber in Glaubensfragen Neutralität bewahrt. Er darf daher den religiösen Frieden in einer Gesellschaft nicht von sich aus gefährden. Dieses Gebot findet seine Grundlage nicht nur in Art. 4 Abs. 1 GG, sondern auch in Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 1 sowie Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 1 und 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV. Sie verwehren die Einführung staatskirchlicher Rechtsformen und untersagen die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse ebenso wie die Ausgrenzung Andersgläubiger (vgl. BVerfGE 19, 206 [216]; 24, 236 [246]; 33, 23 [28]; st. Rspr.). Auf die zahlenmäßige Stärke oder die soziale Relevanz kommt es dabei nicht an (vgl. BVerfGE 32, 98 [106]). Der Staat hat vielmehr auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung der verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu achten (vgl. BVerfGE 19, 1 [8]; 19, 206 [216]; 24, 236 [246]). Auch dort, wo er mit ihnen zusammenarbeitet oder sie fördert, darf dies nicht zu einer Identifikation mit bestimmten Religionsgemeinschaften führen (vgl. BVerfGE 30, 415 [422]).
[url]sorminiserv.unibe.ch:8080/tools/ainfo.exe?Command=ShowPrintVersion&Name=bv093001[/url]

es wird wohl nicht lange dauern bis Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss Söders eingereicht werden wird - und hoffentlich wird das Bundesverfassungsgericht auch heute noch die Religionsfreiheit wie im Jahr 1995 auslegen.

Grüße,
Daniel.
Da der hiesige Admin willkürlich meine Beiträge löscht, lohnt es sich nicht hier noch mitzulesen bzw. sich mit Kommentaren einzubringen. Wünsche Euch alles Gute.

Benutzeravatar
sven23
Beiträge: 23476
Registriert: Fr 10. Mai 2013, 15:55

#35 Re: Kruzifixe in bayrischen Behörden

Beitrag von sven23 » So 29. Apr 2018, 09:19

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Nein, es ist nicht undemokratisch, dem Volk nach dem Maul zu reden, nur populistisch.
Wenn Du "Demokratie" so definierst, dass eine Minderheit die Mehrheit bevormundet, hast Du recht. - Wir sollten uns aus meiner Sicht lieber daran gewöhnen, dass es auch eine Mitte der Bevölkerung gibt - das hat nichts mit "populistisch" zu tun.
Zur "Mitte" der Bevölkerung gehört auch die größte Gruppe, nämlich die der Konfessionslosen/nicht-Gläubigen.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#36 Re: Kruzifixe in bayrischen Behörden

Beitrag von closs » So 29. Apr 2018, 11:08

sven23 hat geschrieben:Zur "Mitte" der Bevölkerung gehört auch die größte Gruppe, nämlich die der Konfessionslosen/nicht-Gläubigen.
Söder ist Ministerpräsident in Bayern, wo es anders ist. - Nun wissen wir, dass nicht jeder Kirchensteuerzahler ein überzeugter Christ ist, aber offenbar gibt es trotzdem nach wie vor ein größes Bedürfnis, sich zum Umkreis des Christentums zu bekennen. - Übrigens: Auch in Bayern kann man jederzeit austreten.

Benutzeravatar
1Johannes4
Beiträge: 710
Registriert: Fr 10. Mär 2017, 19:17

#37 Re: Kruzifixe in bayrischen Behörden

Beitrag von 1Johannes4 » So 29. Apr 2018, 11:21

Hallo closs,

closs hat geschrieben:aber offenbar gibt es trotzdem nach wie vor ein größes Bedürfnis, sich zum Umkreis des Christentums zu bekennen.

ein solches „Bedürfnis“ ist leicht auch ohne jeglichen Glauben zu erklären: beispielsweise gibt es einige Berufsgruppen, deren einzige Arbeitgeber in Bayern der römisch-katholischen Kirche angehören und daher aufgrund des sogenannten „Tendenzschutzes“ Arbeitsverhältnisse zu Leuten ablehnen dürfen, die keiner Kirche angehören.

Ebenso kann man annehmen, dass Eltern, die in Bayern ihr Kind in einen Kindergarten stecken wollen, auch eher Mitglied der Kirche bleiben - nicht-konfessionelle Kindergärten könne schon mal zig Kilometer weit weg sein.

Bei vielen Leuten gehe ich außerdem davon aus, dass sie lediglich in Bayern in der Kirche Mitglied bleiben, weil sie die soziale Ächtung in ihrer Dorfgemeinschaft fürchten.

Kurzum: wenn man in Bayern nicht gerade in einer größeren Stadt lebt, wird man nicht das Gefühl haben, dass das Mittelalter bereits Jahrhunderte zurück liegt.

Grüße,
Daniel.
Da der hiesige Admin willkürlich meine Beiträge löscht, lohnt es sich nicht hier noch mitzulesen bzw. sich mit Kommentaren einzubringen. Wünsche Euch alles Gute.

Benutzeravatar
sven23
Beiträge: 23476
Registriert: Fr 10. Mai 2013, 15:55

#38 Re: Kruzifixe in bayrischen Behörden

Beitrag von sven23 » So 29. Apr 2018, 13:41

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Zur "Mitte" der Bevölkerung gehört auch die größte Gruppe, nämlich die der Konfessionslosen/nicht-Gläubigen.
Söder ist Ministerpräsident in Bayern, wo es anders ist. - Nun wissen wir, dass nicht jeder Kirchensteuerzahler ein überzeugter Christ ist, aber offenbar gibt es trotzdem nach wie vor ein größes Bedürfnis, sich zum Umkreis des Christentums zu bekennen. - Übrigens: Auch in Bayern kann man jederzeit austreten.
Das Bundesverfassungsgericht hat ja schon mal ein Kruzifix Gebot als verfassungswidrig eingestuft. Ähnlich könnte es hier ausgehen, weil das verfassungsmäßige Neutralitätsgebot des Staates hier verletzt wird. Kruzifixe gehören in die Kirche und nicht in die Amtsstuben.
Ich persönlich sehe das eher entspannt. Ich brauche solche Sympbole nicht unbedingt, es stört mich aber auch nicht besonders.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#39 Re: Kruzifixe in bayrischen Behörden

Beitrag von closs » So 29. Apr 2018, 14:35

1Johannes4 hat geschrieben:Kurzum: wenn man in Bayern nicht gerade in einer größeren Stadt lebt, wird man nicht das Gefühl haben, dass das Mittelalter bereits Jahrhunderte zurück liegt.
Ich lebe zwar "nur" in Nord-Bayern, wo es recht gemischt (katholisch, evangelisch, agnostisch) zugeht, kann aber ziemlich sicher versichern, dass auch der Süden Bayern ziemlich liberal ist. - Wobei man mit "liberal" "Leben und leben lassen" meint und NICHT "allen Randgruppen eine große Bühne geben" heißt. - Mit anderen Worten: Wenn man homosexuell, preußisch, türkisch oder muslimisch ist, hat man keine Probleme - vor allem in ländlichen Gegenden, weil es dort keine kritischen Kumulationen von Randgruppen gibt.

Was das Mittelalter angeht: Vergiß nicht, dass das Mittelalter in geistigen Dingen fortschrittlich gewesen sein könnte als unsere Jetzt-Zeit.

sven23 hat geschrieben:Das Bundesverfassungsgericht hat ja schon mal ein Kruzifix Gebot als verfassungswidrig eingestuft. Ähnlich könnte es hier ausgehen, weil das verfassungsmäßige Neutralitätsgebot des Staates hier verletzt wird.
Das wird man herausfinden, weil es sicherlich Interesse gibt, dies höchstrichterlich prüfen zu lassen. - Wahrscheinlich werden die Kreuze hängen bleiben, weil auch das von Dir angesprochene "Kruzifix-Gebot" per Karlsruhe nicht zum "Kruzifix-Verbot" wurde.

sven23 hat geschrieben:Ich persönlich sehe das eher entspannt. Ich brauche solche Sympbole nicht unbedingt, es stört mich aber auch nicht besonders.
Geht mir genauso - allerdings sehe ich es positiv, wenn Maßnahmen ergriffen werden, die wieder mehr vom "Volk" verstanden und gutgeheißen werden.

Benutzeravatar
sven23
Beiträge: 23476
Registriert: Fr 10. Mai 2013, 15:55

#40 Re: Kruzifixe in bayrischen Behörden

Beitrag von sven23 » So 29. Apr 2018, 19:39

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Ich persönlich sehe das eher entspannt. Ich brauche solche Sympbole nicht unbedingt, es stört mich aber auch nicht besonders.
Geht mir genauso - allerdings sehe ich es positiv, wenn Maßnahmen ergriffen werden, die wieder mehr vom "Volk" verstanden und gutgeheißen werden.
Das sehe ich kritischer.
Gerade die Länder, die sich jetzt in Europa auf die sog. christlichen Werte berufen, wollen am wenigsten vom barmherzigen Samariter wissen und lehnen jede weitere Flüchtungsaufnahme ab.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

Antworten