piscator hat geschrieben: ↑Di 25. Okt 2022, 09:53
Glaubende haben kein Wissen, sondern Gewissheit. Wer etwas weiß, muss nicht glauben.
Da hast du auf eine viel tiefgründigere Weise recht, was du vermutlich gar nicht vermutest, aber du liegst auch ein bisschen falsch.
"Glaubende haben kein Wissen" ist korrekt. Glauben und Wissen schließen sich gegenseitig formal gesehen sogar aus. Wenn ich etwas weiß, dann glaube ich es eben gerade nicht nur, und wenn ich etwas glaube, dann weiß ich es eben gerade nicht. Formal eine Kontravalenz:
A ↮ B (A genau dann nicht, wenn B und B genau dann nicht, wenn A)
Die angebliche "Gewissheit" von Gläubigen (nicht von Glaubenden!), basiert immer auf der Einbildung, man verfüge über eine Art exklusives Erleuchtungswissen. Das ist aber ein spezifisches Merkmal von "Gläubigen", nicht von Glaubenden. Gläubige und Glaubende unterscheiden sich fundamental. Wenn ich zu dir sage: "Ich
glaube, morgen wird den ganzen Tag die Sonne scheinen" und du erwiderst: "Nö, ich
glaube nicht. Morgen wird es regnen, so bedeckt, wie der Himmel heute Abend ist", dann hätten wir zwar eine Meinungsverschiedenheit als an etwas Unterschiedliches
Glaubende, aber wir würden das beide nicht als besonders erheblich empfinden. Wenn es schön wird, würde ich sagen: "Habe ich doch gesagt!" und wenn es regnet, würdest du sagen: "Siehst du, da habe ich doch 'mal wieder recht gehabt!" Wir würden uns damit lächelnd und freundschaftlich aufziehen.
Wenn jemand aber sagt: "Ich
glaube, dass Jesus für die Sünden der Welt gestorben ist" und du antwortest: "Das
glaube ich von Herzen nicht", dann tut sich sofort ein unüberwindlicher und unüberbrückbarer Graben auf. Wittgenstein hat festgestellt, dass Gläubige das Wörtchen "glauben" völlig anders verwenden als es normalsprachlich verwendet wird (
glauben). Er meinte, dass Gläubige es deshalb anders verwenden, weil sie ihr gesamtes Leben und den ganzen Sinn ihres Lebens davon anbgängig machen, das tatsächlich zutrifft, woran sie (ernsthaft und aufrichtig)
glauben (und nicht nur
glauben). Das ist das, was du oben als "Gewissheit" bezeichnest, was aber keine "Gewissheit im Sinne einer Gewissheit eines sicheren Wissens ist! Dieser Graben ist - nach Wittgenstein - tatsächlich unüberbrückbar, weil er Ausdruck zweier unterschiedlicher Lebensformen ist: der religiösen Lebensform und der nicht-religiösen Lebensform.
Wenn du schreibst: "Wer etwas weiß, muss nicht glauben", dann ist das absolut korrekt!
Es gilt in der Modallogik das Faktivitätsprinzip:
W(s,φ) ⟶ φ
Wenn s weiß (W) dass φ, dann IST φ!
Wenn ich also weiß, dass etwas so und so ist, dann IST es auch so und so. Stellt sich mein vermeintliches Wissen nachträglich als falsch heraus, tja, - dann habe ich es eben doch nicht gewusst. Die Zeugen Jehovas berechnen seit 150 Jahren zuverlässig Datums des Weltuntergangs, die nachweislich nicht eintreffen. Sie behaupten im Brustton der Überzeugung:
W(s,φ) ⟶ φ
Aber sie irren sich jedesmal. Sie verfügen eben gerade nicht über ein Wissen darüber, wann die Welt vergeht. Und damit beweisen sie sich als in ihrem Glauben, für den sie Gewissheit beanspruchen, Irrende.