Anselm Grün: Gnade und Schönheit

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Demian
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#1 Anselm Grün: Gnade und Schönheit

Beitrag von Demian » Sa 30. Aug 2014, 05:44

Gnade und Schönheit – Der Charme des Glaubens
Quelle

"Das Johannesevangelium verbindet die beiden Worte: Gnade und Schönheit. Gnade und Herrlichkeit. Im Prolog sagt Johannes: „Wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit.“ (Joh 1,14) In Jesus leuchtet Gottes Schönheit auf. Und diese Schönheit ist voller Gnade und Wahrheit.

Was meinen diese Begriffe? Das deutsche Wort schön kommt von schauen. Schön ist das, was ansehnlich ist, was gerne geschaut wird. Für Johannes und für die Griechen allgemein ist das Schauen der wichtigste Sinn. Gott (theos) kommt von theastai = Schauen. Das Gegenteil von schön ist für uns hässlich. Hässlich ist das Hassenswerte, das uns unangenehm ist, Kummer bereitet. Wer sich selbst ablehnt, der fühlt sich als hässlich.

Die griechische Philosophie sagte: Das Sein ist immer gut, wahr und schön. Wenn ich mit Augen des Glaubens und des Staunens auf die Natur schaue, schaue ich nur Schönes. Das Hässliche ist für die Griechen aoros, das Unzeitige, das, was den Rhythmus stört, was für den Augenblick nicht passend ist. Für den Neuplatoniker Plotin ist das Hässliche das Zerstückelte, das Brüchige. Das Schöne ist das Eine, das Ganze. Wenn wir eins sind mit Gott, sind wir schön.

Schönheit hat mit Gnade zu tun. Charis, das griechische Wort für Gnade meint: Geschenk, Gabe, aber auch Liebreiz, Anmut, das Erfreuliche, das von der Schönheit ausgeht. Der deutsche Dichter Friedrich Hölderlin übersetzt Charis mit „Freundlichkeit des Seins“, der Philosoph Martin Heidegger mit „Huld des Seins“ oder Gunst des Seins. Charis hat als das Angenehme und Anmutige auch mit Charme zu tun. Doch das Wort Charme kommt von carmen = Gesang, Zauberformel und von canere = singen, bezaubern.

Der Glaube ist also nicht nur die Kunst, das Schöne zu schauen, sondern er bezaubert auch durch das, was er uns zeigt. Er zeigt uns die Schönheit und Liebe Gottes. Das ist ein anderer Begriff von Glauben, der uns hier bei Johannes begegnet als der, den wir oft in uns tragen. Wir meinen, wir müssten glauben, oder wir müssten vertrauen. Glaube ist Schauen des Schönen. Und wer das Schöne schaut, der vertraut in die Güte des Seins, in die Huld des Seins. Er sieht das Schöne mitten in einer oft hässlich erscheinenden Welt.

Johannes zeigt uns Jesus als den, in dem Gottes Schönheit aufleuchtet. Der russische Dichter Dostojewski hat die Schönheit Jesu als den Weg der Heilung und Erlösung gesehen. In seinem Roman „Der Idiot“ hat er im Fürsten Myschkin ein Bild Jesu Christi gezeichnet. Heinrich Böll nennt diesen Roman einen ungeheuren Roman, „den einzigen Christus-Roman, den ich kenne“. Der Fürst ist ein Beispiel eines reinen Menschen. In ihm leuchtet die Schönheit und Klarheit und Reinheit Jesu Christi auf. Er verkündet den Menschen: „Schönheit wird die Welt retten“.

Schönheit, das ist für Dostojewski das Gegenteil von Nützlichkeit. Das Schöne ist einfach da. Wenn nur alles der Nützlichkeit unterworfen wird, wird der Mensch seiner Würde beraubt. Ohne Schönheit – so sagt Dostojewski – versinkt der Mensch in Schwermut. Und er versteht die erlösende Tat Jesu darin, dass er die Schönheit in die Seelen der Menschen verpflanzt: „Da Christus in sich und in seinem Wort das Ideal der Schönheit trug, beschloss er, es in die Seelen der Menschen zu verpflanzen, überzeugt, dass die Menschen mit diesem Ideal in der Seele untereinander Brüder werden.“

Es ist interessant, dass die Menschen Brüder und Schwestern werden, wenn sie das Schöne in sich und im andern entdecken. Da braucht es keinen Appell, den Nächsten zu lieben. Die Liebe erwächst aus der Schönheit in mir und im andern. Dostojewski meint, es gebe nur eine einzige positiv-schöne Gestalt: Christus, diese unendlich schöne Gestalt ist ohne Zweifel ein ewiges Wunder“ [...]"

Lena
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#2 Re: Anselm Grün: Gnade und Schönheit

Beitrag von Lena » Sa 30. Aug 2014, 20:33

Tut gut den Anselm zu lesen :).

Danke Demian. Schön, dass Du immer wieder positive Themen ins Forum stellst.

Anselm Grün hat geschrieben: Es ist interessant, dass die Menschen Brüder und Schwestern werden, wenn sie das Schöne in sich und im andern entdecken.

:Herz:
Kannst du mir helfen, dich richtig zu verstehen?
Erbreich 

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