Pluto hat geschrieben:Mit dieser Schöpfungsgeschichte ist das Christentum die deutlich anthropozentrischste Religion die die Welt jemals gesehen hat.
Ich verstehe Deinen Gedankengang, der auf der Ebene, in der Du ihn formulierst, durchaus richtig ist - die Ebene ist aber falsch. - Konkret:
Die Ausformung einer geistigen Wahrnehmung ist selbstverständlich anthropozentrischer als die Ausformung einer naturwissenschaftlichen Wahrnehmung - das heisst: Das Subjekt (= Mensch) geht methodisch bei geistigen Dingen anthropozentrischer ran als bei der Naturwissenschaft. - Das hat aber einen einfachen Grund:
Darstellung von Meta-Naturalistischem ("Geist"/"Gott") erfolgt IMMER anthropozentrisch, weil das Objekt nicht im Original darstellbar ist - man "Gott"/"Geist" als Entität nicht in den naturalistischen Raum "beamen" und ihm sagen: "So, wir vermessen Dich jetzt mal". - Bei Naturalistischem geht das viel besser, weil das Objekt auf selber Ebene ist wie das Subjekt - man muss es NICHT in den naturalistischen Raum "beamen", weil es schon da ist, und kann ihm folglich leicht sagen: "So, wir vermessen Dich jetzt mal".
Insofern ist Naturwissenschaft in der Tat weit weniger anthropozentrisch als Theologie - INSOFERN ist das so. - ABER: Auf höherer Ebene als der methodischen Ausformung, also oberhalb der operativen Ebene, gibt es eine andere Ebene, die ich hier zur Grundlage für das Urteil "anthropozentrisch - ja oder nein" macht.
Diese Ebene ist die Einordnungs-Ebene dessen, was ich ausfomungs-mäßig/operativ tue - und da ist der Naturalismus anthropozentrischer als die Theologie - also umgekehrt. - Denn:
Die (christliche) Theologie sagt:
"Wir wissen, dass das, was wir untersuchen, in seinem Wesen jenseits unseres Wahrnehmungs-Horizonts ist, weshalb wir unsere menschlich-armselige Wahrnehmung NICHT zum Maßstab machen. - Wir schließen vielmehr über Gefühl, Intellekt, Philosophie und Theologie auf das, was wir deutlich, aber nicht fassbar wahrnehmen. - Hermeneutisch ergibt sich dabei ein immer dichteres Gebilde, das in sich widerspruchsfrei und plausibel ist, aber trotzdem noch in seinem Wesen nicht Teil des naturalistischen Raums ist".
Die Naturwissenschaft/der Kritische Rationalismus sagt:
"Wir wissen beileibe nicht alles, beachten aber nur das, was nach unserer Methodik nachweisbar ist - alles andere ist irrelevant".
Der geistige Mensch macht also etwas zum Maßstab, was ein Naturalist aus methodischen Gründen nicht beachten kann. - Der geistige Mensch gibt den Maßstab weg in immer dichter Wahrgenommenes, aber trotzdem nicht Messbares - der Naturalist reißt den Maßstab an sich, in dem er nur das beachtet, was er mit menschlicher Methodik im Griff hat. - Deshalb ist Naturalismus/Materialismus substantiell anthropozentrisch.
Pluto hat geschrieben:Nur das mit dem Glauben dass Materie Ursprung von Geist sei, musst du revidieren. Die Fakten die für diese Theorie sprechen sind nämlich erdrückend, während das Postulat, dass Geist der Ursprung von Materie sei, von keiner einzigen Beobachtung gestützt wird.
Dasselbe in Grün. - Ich verstehe Deinen Gedankengang, der auf der Ebene, in der Du ihn formulierst, durchaus richtig ist - die Ebene ist aber falsch. - Konkret:
Naturwissenschaft kann per Definition nur die Natur beobachten - sie kann NICHT beobachten, WARUM es Natur gibt. - Weiterhin: Naturwissenschaft kann nicht unterscheiden, ob geistige Abläufe im Gehirn primäre Produktionen der Materie oder Umsetzung von Geist sind, die sich der Materie bedienen, um im materiellen Raum umgesetzt zu werden. - Warum? Weil sie exakt (!) dasselbe beobachten würde.
Insofern ist das alles Glaubenssache. Der eine glaubt, dass die Welt nur aus dem naturalistischen Raum besteht und erklärt alles auf dieser Basis. - Der andere glaubt, dass der naturalistische Raum nur eine Erscheinungsform einer "höheren Welt" ist, die ihrerseits NICHT naturalistischer Art ist.
Beide haben glaubens-konforme Begründungen. - Die eine Auffassung (nämlich die naturalistische) ist anthropozentrisch, weil sie das, was sie naturwissenschaftlich mit MENSCHLICHER Wahrnehmung begründet - die andere Auffassung (nämlich die spirituelle) ist NICHT anthropozentrisch, weil sie den Menschen und dessen Wahrnehmungs-Methoden NICHT als Maßstab setzt, sondern diesem an eine höhere und anthropozentrisch nicht verstehbare Instanz übergibt.
Nebenbei haben wir hier die Quintessenz des Buches "Hiob", in dem die Freunde Hiobs eine dem Naturalismus entsprechende Auffassung haben, wonach das, was ist, FÜR UNS kausal verständlich sein muss, maßstäblich zu sein hat - während Hiob eine spirituelle Auffassung hat, wonach es eine höhere Vernunft gibt, die auch dann maßstäblich ist, wenn wir sie nicht verstehen.
Ein weiteres "Nebenbei" ist:
Unter spirituellen Gesichtspunkten ist Hiob im tiefsten Sinne des Wortes "aufgeklärt" - und naturalistischen Gesichtspunkten würde man die Freunde Hiobs als aufgeklärter verstehen als Hiob. - Also genau umgekehrt.