Wie würde eine Welt ohne Religion und Spiritualität aussehen?

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fin
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#91 Re: Wie würde eine Welt ohne Religion und Spiritualität aussehen?

Beitrag von fin » Mi 5. Jul 2017, 17:16

-- Pyramidables Eldorado --

Novalis hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben: "Mein Herz hat sich allen Formen geöffnet, es ist eine Weide für die Gazellen ...~ Ibn Arabi
Das, mein Lieber, sind zwar blumige Worte, aber sie sagen nichts aus.
Weshalb argumentierst Du gegen die Idee eines barmherzigen Gottes...?

Seine Barmherzigkeit zeigt sich m.E. in der simplen Tatsache unsrer Existenz. Der Koran beschreibt die Barmherzigkeit Gottes sogar als absolut, grenzenlos und allumfassend. Da heißt es : „Meine Barmherzigkeit umfasst alle Dinge“ (7. Sure, 156)

Tatsächlich?


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Thaddäus
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#92 Re: Wie würde eine Welt ohne Religion und Spiritualität aussehen?

Beitrag von Thaddäus » Mi 5. Jul 2017, 20:50

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Man ist doch kein Materialist, weil man davon ausgeht, dass Naturgesetze wirken und Tote nicht mehr lebend zurückkommen ...
Jeder Christ denkt genauso, weil er glaubt (siehe Descartes), dass die Natur keine Illusion ist und mit der Schöpfung auch Naurgesetze mitgegeben wurden. - Aber er weiß genauso, dass dies kann Muss ist, wenn Gott eingreift - das ist keine glühende Glaubensaussage, sondern nüchterner logischer Schluss, wenn man weiß, dass man im Grunde nichts weiß.

Wer garantiert Dir, dass Gott NICHT eingreift?
Das garantiert unsere alltägliche und wissenschaftliche Erfahrung. Es ist noch niemals in der Geschichte der Menschheit unter Laborbedingungen nachgewiesen worden, dass jemals ein uns bekanntes Naturgesetz außer Kraft gesetzt worden wäre. Daran kann man nur in einem Mirakelglauben eben glauben. Es ist zwar nicht auszuschließen, dass Naturgesetze irgendwann einmal durch irgend etwas durchbrochen werden könnten oder sie morgen früh aufhören zu wirken. Aber solange dies nicht geschieht, ist es so berechtigt wie sinnvoll davon auszugehen, dass genau dies nicht geschehen wird. Wir benötigen keinen "Glaubensentscheid" für die ERwartung, dass losgelassene Gläser nicht nach oben fallen und Tote tot bleiben. Nur jede Abweichung hiervon bedeutet einen Glaubensentscheid.

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Thaddäus
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#93 Kant und "göttliche Vernunft"

Beitrag von Thaddäus » Mi 5. Jul 2017, 20:51

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Es gibt nur eine Vernunft wie es nur eine Rationalität gibt.
Die Frage ist, was das ist. - Woher willst Du sicher sein, dass Deine anthropozentrische Definition sicher ist? - Sogar Kant sieht das anders: " In der Kritik der reinen Vernunft wird der Begriff <hier ist vom 'Archetyp' die Rede> im Sinne der göttlichen Vernunft (intellectus archetypus) verwendet im Gegensatz zur menschlichen Vernunft (intellectus ectypus). Durch die göttliche Anschauung und durch das Selbstverständnis Gottes seien alle Gegenstände selbst gegeben (KrV B 68, 72, 135, 138 f., 145, 159, 723). Die menschliche Vernunft (intellectus ectypus) sei nur diskursiv (begrifflich), nicht anschauend (Prolegomena § 57)."(wik)

Welche Vernunft meinst DU? Intellectus archetypus oder Intellectus ectypus? - Wie auch immer und worauf ich hinaus will: Woher willst Du wissen, dass Du mit DEINEM Vernunft-Vermögen göttliche Vernunft als solche wahrnehmen kannst?
Dein Hinweis auf Kant ist jedenfalls der interessanteste Einwand, den du bislang in dieser "Diskussion" vorgebracht hast. Es lohnt sich, darauf einzugehen.

Kant spricht in den Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik die als Wissenschaft wird auftreten können in der Tat von einer "göttlichen Vernunft". Kant bestimmt diese "göttliche" Vernunft aber nicht etwa so, wie du dir das denkst, nämlich als eine Eigenschaft Gottes. Stattdessen stimmt Kant der Kritik David Humes (und meiner) zu, dass wir Gott überhaupt keine Eigenschaften zusprechen können, weil das immer schon anthropozentrisch wäre, da nur Menschen mit ihrem Wissen und Verstandesvermögen eine solche Zuordnung vornehmen können.

Zusammengefasst besimmt Kant "göttliche" Vernunft stattdessen so (aus Rudolf Eislers Kantlexikon zum Stichwort "göttliche Vernunft):
Vernunft, göttliche.
Die mit unserer Vernunft unzertrennlich verbundene Idee größter, systematischer Einheit ist für uns gesetzgebend, "und so ist es sehr natürlich, eine ihr korrespondierende gesetzgebende Vernunft (intellectus archetypus) anzunehmen, von der alle systematische Einheit der Natur, als dem Gegenstande unserer Vernunft, abzuleiten sei", KrV tr. Dial. Anh. V. d. Endabsicht... (I 585—Rc. 731 f.). Gottes Handlung ist in seiner "ewigen Vernunft" bestimmt, Prol. § 53 Anm. (III 113). Nicht auf das "Urwesen" selbst wird der Begriff der Vernunft übertragen, nur "auf das Verhältnis derselben zur Sinnenwelt", nur nach der Analogie (s. d.); wir denken uns die Welt so, "als ob sie von einer höchsten Vernunft... abstamme", ibid. § 58 (III 131 ff.); vgl. Gott, Zweckmäßigkeit, Verstand, Anthropomorphismus.
Dieser Absatz ist nicht leicht zu verstehen, weil er viel Wissen über die kantische Erkenntnistheorie (Kritik der reinen Vernunft) voraussetzt.

Warum erschafft die menschliche Vernunft die "Idee größter, systematischer Einheit", die für die Vernunft gesetzgebend ist?
Nach Kant strömt beständig ein unaufhörlicher Strom von Sinnesreizungen auf unsere (fünf) Sinne ein. Das ist im Grunde ein endlose Menge roher, völlig unstrukturierter Sinnesdaten. Es ist das, was unsere Sinne überhaupt erst reizt und anregt (Kant nennt das: "was unsre Sinne affiziert"). Erst unser Verstand (der nicht mit Vernunft gleichzusetzen ist), strukturiert diese ungeordneten Sinnesreizungen nach gewissen Regeln (den Verstandeskategorien) zu all den Dingen der Welt, die wir wahrnehmen.
Raum und Zeit, die Kant "reine Anschauungsformen a priori" nennt, verlagert Kant in das Subjekt. Raum und Zeit sind also keine Kategorien, die außerhalb des Subjektes vorfindbar wären in der Natur oder in der Welt oder eben außerhalb unseres Erkenntnisvermögens. Kant argumentiert, dass Raum und Zeit nicht außerhalb des Subjektes und seines ordnenden Verstandes vorkommen können, weil wir überhaupt nichts irgendwie strukturiert wahrnehmen könnten, wenn dies nicht immer schon innerhalb der Anschauungsformen Raum und Zeit geschähe. Die Wahrnehmung innerhalb von Raum und Zeit kann man nicht "lernen" (was so ein müsste, wenn sie außerhalb des Subjektes angesiedelt wären). Wir müssen sie schon haben, damit wir den Sinnesreizungsstrom, der auf uns einströmt, überhaupt in irgendeine räumliche und zeitliche Ordnung bringen können.

Aus dieser Ultrakurzzusammenfassung kantischer Erkenntnistheorie folgt, dass wir mit unserem menschlichen Erkenntnisapparat immer nur Erscheinungen der Dinge konstruieren können: Erscheinungen, die so sind wie sie sind, weil unser Erkenntnisapparat immer schon filtert und die Verstandeskategorien und die Anschauungsformen Raum und Zeit, unsere Sinnesreizungen zu sinnvollen Wahrnehmungen der Dinge strukturieren und konstruieren. Wie die Dinge an sich sind, können wir deshalb niemals wissen. Nicht einmal, ob außerhalb unseres Sinnesapparates überhaupt "Dinge" sind (weil Dinge streng genommen nur innerhalb von Raum und Zeit existieren können). Das nennt Kant "das Ding an sich" (von dem wir niemals etwas wissen können). Das, was unsere Sinne affiziert, die einströmenden Sinnesreizungen, haben - nach Kant - keine raum-zeitliche Einordnung. Diese leistet erst das Subjekt.

Fundierte (und das heißt empirische) Urteile können wir - nach Kant - ausschließlich über Aussagen treffen, die auf unserer empirischen, also sinnlichen, Erfahrung beruhen. Deshalb können wir insbesondere über "Gott", "Unsterblichkeit" und "Freiheit" sowie über andere metaphysische Inhalte niemals wirklich fundierte Aussagen machen und Urteile fällen.

Die Vernunft ist aber in der Lage, sozusagen über sich hinaus zu denken und "regulative Ideen" zu postulieren, die angenommen werden müssen, damit die Welt, so wie wir sie erfahren, Sinn ergibt. So postuliert Kant "Gott" als eine regulative Idee, die garantiert, dass unsere Erscheinungskonstruktion der Wirklichkeit, also die Aktivität unseres Verstandes und unserer urteilenden Vernunft, überhaupt irgend etwas Sinnvolles ergeben kann (Kant nennt das die "Einheit der Apperzeption": dass also unser Verstand aus einem Chaos an Sinnesreizungen überhaupt so etwas Sinnvolles konstruieren kann, wie eine "systematische Einheit der Natur"). Gott kann nach Kant niemals per Gottesbeweis bewiesen werden, und wir können auch niemals bestimmen, was Gott eigentlich ist und welche göttlichen Eigenschaften er hat. Er ist ausschließlich eine regulative Idee der Vernunft.

Deshalb steht oben im rot gesetzten Absatz: "Nicht auf das "Urwesen" selbst wird der Begriff der Vernunft übertragen, nur "auf das Verhältnis derselben zur Sinnenwelt" und: "wir denken uns die Welt so, "als ob sie von einer höchsten Vernunft... abstamme".

Mittels unserer über sich selbst hinausdenkenden Vernunft können wir also - nach Kant - per Analogie eine "höhere" Vernunft annehmen, die die Einheit unserer (für alle Menschen gleichen) Wirklichkeitskonstruktion und Weltwahrnehmung erst ermöglicht. Wir können diese aber nicht als eine Eigenschaft Gottes bestimmen, weil das schon wieder anthropzentrisch und Metaphysik wäre. Es ist nur eine regulative Idee, die wir folgerichtig annehmen können, vielleicht müssen. Ganz gewiss hat aber dieser kantische "intellectus archetypus" nichts mit dem zu tun, was Katholiken unter "göttlicher Vernunft" verstehen!

Novas
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#94 Re: Wie würde eine Welt ohne Religion und Spiritualität aussehen?

Beitrag von Novas » Mi 5. Jul 2017, 22:39

ThomasM hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben: Religion und Spiritualität lehren im Gegensatz dazu höhere Werte der Gerechtigkeit. Wer die Welt als göttliche Schöpfung und somit heiligen Organismus begreift, der kann die Umweltzerstörung nicht gut heißen, wie Papst Franziskus mit der Umwelt-Enzyklika „Laudato si“ deutlich machte. Das beinhaltet den mitfühlenden Umgang mit allen Lebewesen, auch den Tieren und Pflanzen:
Letzteres war nicht immer so.
Es gab Zeiten (ist noch nicht so lange her), da wurde aus den höheren Werten der Gerechtigkeit ein Machtanspruch der Menschen über die Natur abgeleitet.

Ebenso führten die höheren Werte der Gerechtigkeit regelmäßig in eine Machtposition, in der diese Gerechtigkeit als irdische Gerechtigkeit ausgeübt wurde.
Was damit gemacht wurde, brauche ich dir hoffentlich nicht zu sagen

Das ist mir bekannt. Doch es soll ja vorkommen, dass Menschen ab und zu etwas dazu lernen. :thumbup:

Übrigens: Auch im fernen Osten, den du ja als spirituell überlegen ansiehst.

Es gibt die Theorie, dass der Westen wissenschaftlich-technologisch, überlegen ist, während der Osten dagegen die spirituelle Zivilisation höher entwickelte. Menschen wie Vivekananda und Rabindranath Tagore konnten mit dem einseitigen westlichen Materialismus nicht viel anfangen. Ich auch nicht, da hast Du sicher Recht. So wie der Mensch neben seiner materiellen Natur auch eine spirituelle Natur besitzt, so gibt es eine materielle und spirituelle Dimension der ganzen zivilisatorischen Entwicklung.

Meiner Ansicht nach, sollte das Beste von beiden Bereichen miteinander verbunden werden.
Zuletzt geändert von Novas am Mi 5. Jul 2017, 22:56, insgesamt 1-mal geändert.

closs
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#95 Re: Wie würde eine Welt ohne Religion und Spiritualität aussehen?

Beitrag von closs » Mi 5. Jul 2017, 22:54

Thaddäus hat geschrieben:Das garantiert unsere alltägliche und wissenschaftliche Erfahrung. Es ist noch niemals in der Geschichte der Menschheit unter Laborbedingungen nachgewiesen worden, dass jemals ein uns bekanntes Naturgesetz außer Kraft gesetzt worden wäre.
Wer sagt denn, dass göttliches Eingreifen mit Aufhebung von Naturgesetzen verbunden sein MUSS?

Das ist das eine - das andere: Würde ein Wissenschaftler feststellen, dass ein bekanntes Naturgesetz außer Kraft gesetzt wäre, würde er daraus schließen, dass unser bisheriges Verständnis erweitert werden müsste. - Er würde nie auf die Idee kommen, dass er ein "Wunder" entdeckt hätte.

Thaddäus hat geschrieben:Dein Hinweis auf Kant ist jedenfalls der interessanteste Einwand, den du bislang in dieser "Diskussion" vorgebracht hast.
Dieser Einwand ist aus Deiner Perspektive interessant - was hoch-erfreulich ist. - Glaube mir, dass es bereits andere interessante Einwände gab, denen jedoch nicht gegönnt war, in den Genuß Deines perspektivischen Wohlwollens zu kommen.

Thaddäus hat geschrieben:Nicht auf das "Urwesen" selbst wird der Begriff der Vernunft übertragen, nur "auf das Verhältnis derselben zur Sinnenwelt", nur nach der Analogie (s. d.); wir denken uns die Welt so, "als ob sie von einer höchsten Vernunft... abstamme"
Das heißt dann doch:
* Es gibt ein "Urwesen" (irgendwas muss "Archetypus" ja sein, wenn es gerade NICHT anthropozentrisch sein soll).
* "Intellectus archetypus" ist nicht in seinem Urwesen gemeint, sondern in dem, was davon bei uns ankommt.
Einverstanden?

Falls ja: Kann man so sehen (typisch emanzipatorisches Element der Aufklärung) - DAS aber gibt es in der Theologie ebenfalls - unter dem Namen "Offenbarung": "Etwas ersichtlich werden lassen" - hier: "kompatibel mit unserem Vernunft-Vermögen machen".

Thaddäus hat geschrieben:Aus dieser Ultrakurzzusammenfassung kantischer Erkenntnistheorie folgt, dass wir mit unserem menschlichen Erkenntnisapparat immer nur Erscheinungen der Dinge konstruieren können
Genau so. - Und hier ist genau die Frage, die offensichtlich auch zwischen uns strittig ist:
1) Sind diese uns offenbaren Erscheinungen das Maß ("anthropozentrisch")?
2) Ist das, aus dem diese Erscheinungen "sind", das Maß ("theozentrisch" - "ontologisch" - oder finde Du ein Wort, Du weißt jetzt, was damit gemeint ist).

Das ist exakt DER Punkt, um den es hier ständig in verschiedensten Threads geht. - BItte tue mir den Gefallen, diese Fragestellung zu verstehen und nach Möglichkeit zu beantworten.

Um nochmal an "Hiob" zu erinnern: Der Plot von "Hiob" ist, dass das der Maßstab ist, was jenseits der durch uns konstruierbaren Erscheinungen der Dinge "ist". - Oder sagt Kant, dass das, woraus ein Verhältnis zur Sinneswelt geknüft wird, selbst Nichts ist? Wohl nicht.

Thaddäus hat geschrieben:Fundierte (und das heißt empirische) Urteile können wir - nach Kant - ausschließlich über Aussagen treffen, die auf unserer empirischen, also sinnlichen, Erfahrung beruhen. Deshalb können wir insbesondere über "Gott", "Unsterblichkeit" und "Freiheit" sowie über andere metaphysische Inhalte niemals wirklich fundierte Aussagen machen und Urteile fällen.
Bingo - genau so ist es. - Deswegen sagt man "Glaube". - "Glaube" ist die Bindung an den Ursprung, von dem durch uns konstruierbaren Erscheinungen der Dinge kommen (oder der Versuch dieser Bindung).

Thaddäus hat geschrieben:Gott kann nach Kant niemals per Gottesbeweis bewiesen werden, und wir können auch niemals bestimmen, was Gott eigentlich ist und welche göttlichen Eigenschaften er hat.
Das würde ein vernünftiger Theologe unterschreiben.

Thaddäus hat geschrieben: Er ist ausschließlich eine regulative Idee der Vernunft.
Das nicht. - Denn dieser Schluss ist willkürlich. - Man könnte genauso sagen: Das, was von Gott kommt, was wir "vernünftig" wahrnehmen können, ist eine Offenbarung für uns (damit wir halt was in unserer Welt kapieren) - das ist übrigens nicht weit entfernt vom cartesianischen "wohlwollenden Gott". - Aber das heißt doch nicht, dass Gott selbst deshalb eine anthropozentrische Größe "ist" - welch ein Trugschluss.

Thaddäus hat geschrieben:Deshalb steht oben im rot gesetzten Absatz: "Nicht auf das "Urwesen" selbst wird der Begriff der Vernunft übertragen, nur "auf das Verhältnis derselben zur Sinnenwelt" und: "wir denken uns die Welt so, "als ob sie von einer höchsten Vernunft... abstamme".
Das wiederum würde ein Theologe unterschreiben. - Nur würde er nicht daraus schließen, dass Ergebnisse UNSERER Vernunft(-Offenbarungen) den Intellectus archetypus verstehen könnten - eben weil Offenbarungen nichts anderes sind als Verständlichkeits-Einrichtungen auf UNSERER Ebene.

Thaddäus hat geschrieben:Mittels unserer über sich selbst hinausdenkenden Vernunft können wir also - nach Kant - per Analogie eine "höhere" Vernunft annehmen, die die Einheit unserer (für alle Menschen gleichen) Wirklichkeitskonstruktion und Weltwahrnehmung erst ermöglicht.
Das wiederum ist richtig. Theologisch heisst dies: Wir sind aus einer höheren Vernunft, die "ist", ohne dass wir sie mit unserem Maß messen können.

Aus Sicht der höheren Vernunft ist unsere Vernunft schlüssig - aus Sicht unserer Vernunft muss die höhere Vernunft jedoch noch lange nicht schlüssig erscheinen, selbst wenn sie es aus höherer Sicht ist.

Thaddäus hat geschrieben:Wir können diese aber nicht als eine Eigenschaft Gottes bestimmen, weil das schon wieder anthropzentrisch und Metaphysik wäre.
Moment: Der Mensch ist nicht anthropozentrisch (aber sehr wohl metaphysisch), wenn er sagt:
1) Unsere Vernunft ist eine Ableitung höherer/göttlicher Vernunft..
2) Unsere Vernunft kann insofern über sich selbst hinausdenken, dass sie eine höhere Vernunft postuliert, für die das menschliche Vernunft-Verständnis jedoch NICHT das Maß ist. - Unsere (zwangsläufig anthropozentrische) Vernunft kann sich also in ihrem Über-sich-Hinausdenken-Können de-anthropozentrieren.

Thaddäus hat geschrieben:Ganz gewiss hat aber dieser kantische "intellectus archetypus" nichts mit dem zu tun, was Katholiken unter "göttlicher Vernunft" verstehen!
Da bin ich mir gar nicht so sicher. Das klingt ziemlich deckungsgleich.

Dazu eine Frage: Ist es Kant, der sagt, "Gott ist ausschließlich eine regulative Idee der Vernunft", oder sind es Interpreten von Kant? - Falls es von Kant selbst ist: Meint er diesen Satz menschlich-perspektivisch ("Unsere Vernunft projeziert etwas") oder meint er ontologisch im Sinne von "Gott IST nur eine regulative Idee der Vernunft"??? - Großer Unterschied!!!

Vielen Dank für Deinen wirklich sachlichen Beitrag - vielleicht sind wir zur Kernfrage vorgestoßen, die hier con variazione durch x Threads durchgeistert.

Novas
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#96 Re: Wie würde eine Welt ohne Religion und Spiritualität aussehen?

Beitrag von Novas » Mi 5. Jul 2017, 23:07

Novalis hat geschrieben:
ThomasM hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben: Religion und Spiritualität lehren im Gegensatz dazu höhere Werte der Gerechtigkeit. Wer die Welt als göttliche Schöpfung und somit heiligen Organismus begreift, der kann die Umweltzerstörung nicht gut heißen, wie Papst Franziskus mit der Umwelt-Enzyklika „Laudato si“ deutlich machte. Das beinhaltet den mitfühlenden Umgang mit allen Lebewesen, auch den Tieren und Pflanzen:
Letzteres war nicht immer so.
Es gab Zeiten (ist noch nicht so lange her), da wurde aus den höheren Werten der Gerechtigkeit ein Machtanspruch der Menschen über die Natur abgeleitet.

Ebenso führten die höheren Werte der Gerechtigkeit regelmäßig in eine Machtposition, in der diese Gerechtigkeit als irdische Gerechtigkeit ausgeübt wurde.
Was damit gemacht wurde, brauche ich dir hoffentlich nicht zu sagen

Das ist mir bekannt. Doch es soll ja vorkommen, dass Menschen ab und zu etwas dazu lernen. :thumbup:

Übrigens: Auch im fernen Osten, den du ja als spirituell überlegen ansiehst.

Es gibt die Theorie, dass der Westen wissenschaftlich-technologisch, überlegen ist, während der Osten dagegen die spirituelle Zivilisation höher entwickelte. Menschen wie Vivekananda und Rabindranath Tagore konnten mit dem einseitigen westlichen Materialismus nicht viel anfangen. Ich auch nicht, da hast Du sicher Recht. So wie der Mensch neben seiner materiellen Natur auch eine spirituelle Natur besitzt, so gibt es eine materielle und spirituelle Dimension der ganzen zivilisatorischen Entwicklung.

Meiner Ansicht nach, sollte das Beste von beiden Bereichen miteinander verbunden werden.


Eine Anmerkung noch dazu: die spirituelle Entwicklung ist notwendig. Denn entweder wird die Menschheit den nächsten Schritt in ihrer Evolution in Richtung geistiger Reife tun wird oder sie wird sich selbst vernichten. Eckhart Tolle schrieb ein Buch mit dem Titel "Neue Erde: Bewusstseinsprung oder Selbstvernichtung" und das trifft es eigentlich sehr gut.

Das Streben nach einer weltumspannenden Kultur, die materiellen und geistigen Wohlstand in sich vereint, verlangt nach einer gemeinsamen Entwicklung von geistig-spirituellen wie auch gesellschaftlichen Aspekten des Lebens. Durch das Zusammenwirken von Glaube und Vernunft wird es möglich, die Fähigkeiten und Kräfte, die sowohl im Einzelnen als auch in der Menschheit als Ganzem verborgen liegen, zu entfalten und umzusetzen. Wissenschaft und Religion sollten gemeinsam zum Wohlergehen für alle Bewohner der Erde beitragen.

‘Abdu’l-Bahá schreibt, „dass die materielle Zivilisation zwar ein Mittel zum Fortschritt der Menschenwelt ist, dass jedoch der gewünschte Erfolg – das Glück der Menschheit – erst dann zu erreichen ist, wenn die materielle Zivilisation mit der göttlichen Kultur vereinigt wird.”
http://www.bahai.de/woran-bahai-glauben ... de-kultur/
Zuletzt geändert von Novas am Mi 5. Jul 2017, 23:16, insgesamt 1-mal geändert.

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#97 Re: Wie würde eine Welt ohne Religion und Spiritualität aussehen?

Beitrag von fin » Mi 5. Jul 2017, 23:11

-- Stürmer Closs --

Thaddäus hat geschrieben:
closs hat geschrieben:zur Erinnerung: "Vernunft" als anthropozentrisch-generierte Größe ist etwas anderes als als ontologische Größe.
Es gibt nur eine Vernunft wie es nur eine Rationalität gibt.
Genau - und sie läßt sich auch nicht hochschalten oder steigern wie bei der Formel1, um schnell/er/sten ans Ziel zu kommen. Entweder man handelt vernünftig oder nicht! Clösschen kann daher auch nicht vernünftiger sein als jeder andere Mensch oder Gott, nur weil er ein paar Tricks :roll: in 1-99D drauf hat.

Ein vernünftiges Fußballspiel braucht nun mal 2 und nicht 12 Tore, dieser Sachverhalt liegt aber nicht in der Vernunft begründet, sondern jene zeigt lediglich das entsprechende Verständnis und die ensprechende Haltung zur jeweiligen (geistigen) Ordnung an!

Der Klassenerhalt für unseren Stürmer scheint dennoch gesichert, da Kreisklasse :D
Zuletzt geändert von fin am Mi 5. Jul 2017, 23:49, insgesamt 3-mal geändert.

Novas
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#98 Re: Wie würde eine Welt ohne Religion und Spiritualität aussehen?

Beitrag von Novas » Mi 5. Jul 2017, 23:21

fin hat geschrieben:-- Stürmer Closs --

Thaddäus hat geschrieben:
closs hat geschrieben:zur Erinnerung: "Vernunft" als anthropozentrisch-generierte Größe ist etwas anderes als als ontologische Größe.
Es gibt nur eine Vernunft wie es nur eine Rationalität gibt.
Genau - und sie läßt sich auch nicht hochschalten oder steigern wie bei der Formel1, um schnell/er/sten ans Ziel zu kommen. Entweder man handelt vernünftig oder nicht! Clösschen kann daher auch nicht vernünftiger sein als jeder andere Mensch oder Gott, nur weil er ein paar Tricks :roll: in 1-99D drauf hat.

Ein vernünftiges Fußballspiel braucht nun mal 2 und nicht 12 Tore, dieser Sachverhalt liegt aber nicht in der Vernunft begründet, sondern jene zeigt lediglich das entsprechende Verständnis und die ensprechende Haltung zur jeweiligen (geistigen) Ordnung an!

Der Klassenerhalt für unseren Stürmer scheint dennoch gesichert, da Kreisklasse :D

Hast Du schon irgendein ein großes Meisterwerk oder eine Erfindung hervorgebracht, womit Du die Menschheit bereicherst oder genügt Dir die Phrasendrescherei? :wave:

closs
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#99 Re: Wie würde eine Welt ohne Religion und Spiritualität aussehen?

Beitrag von closs » Mi 5. Jul 2017, 23:26

fin hat geschrieben: Entweder man handelt vernünftig oder nicht!
Eine komplett unzureichende These - vielleicht versuchst Du mal der Diskussion zwischen Thaddäus und mir zu folgen - verstehe, wer verstehen kann.

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#100 Re: Wie würde eine Welt ohne Religion und Spiritualität aussehen?

Beitrag von fin » Mi 5. Jul 2017, 23:39

-- Die Kunst der Verdichtung --

Novalis hat geschrieben: Hast Du schon irgendein ein großes Meisterwerk oder eine Erfindung hervorgebracht ... ?

Ich würde sagen, mein Dreizeiler wiegt an Klarheit und Humor den kaskadischen Kant auf ... :D
Das scheint mit in der Tat ein Geniestreich

closs hat geschrieben:
fin hat geschrieben: Entweder man handelt vernünftig oder nicht!
Eine komplett unzureichende These
Keine These, sondern Tatsache!

closs hat geschrieben:Vielleicht versuchst Du mal der Diskussion zwischen Thaddäus und mir zu folgen - verstehe, wer verstehen kann.
Thaddäus kann ich gut folgen und ich staune über ihren Langmut.
Zuletzt geändert von fin am Do 6. Jul 2017, 00:00, insgesamt 2-mal geändert.

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