Naturwissenschaft und Religion

Philosophisches zum Nachdenken
closs
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#151 Re: Naturwissenschaft und Religion

Beitrag von closs » Di 12. Nov 2013, 09:24

Pluto hat geschrieben:Realität ist Dasein.
Das Dasein ist (möglicherweise) eine Teilmenge der Realität. - Wir stellen fest, dass es unterschiedliche Realitätsbegriffe gibt. :lol:

Nach wie vor plädiere ich dafür, dass man Realität als das definiert, was der Fall ist - und nicht als Teilmenge davon. - Lieber Münek, was meinst Du?

Oder anders gefragt: WENN Realität deckungsgleich mit Dasein wäre: Als was würde man das bezeichnen, was (möglicherweise) außerhalb des Daseins (also außerhalb des menschlichen Wahrnehmungs-Horizonts) "der Fall ist"?

dagegen
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#152 Re: Naturwissenschaft und Religion

Beitrag von dagegen » Di 12. Nov 2013, 09:47

closs hat geschrieben:Nach wie vor plädiere ich dafür, dass man Realität als das definiert, was der Fall ist

Thomas von Aquin macht darauf aufmerksam, dass "Sein" zwei unterschiedliche Bedeutungen haben kann. Im Sinne von "es gibt" und im Sinne von "es ist der Fall, dass". Was es gibt, gliedert sich in die aristotelischen Kategorien. Was der Fall ist, sagen uns wahre Aussagen. Es ist wichtig zu sehen, dass Thomas sich darüber klar war, dass solchen wahren Aussagen ("es ist der Fall, dass" - Sätze) nichts entsprechen muss, welches sich darüber hinaus in die 10 aristotelischen Kategorien einordnen lässt, Realem also nicht entsprechen muss. Beispiel: "Es ist der Fall, dass auf dem Meer keine Bäume wachsen"

Wenn Du, closs, Realität als das definierst, was der Fall ist, dann bist du in einem viel weiteren Universum als jeder Naturalist. Was ich damit zaghaft andeuten möchte ist, daß Du einen Realitätsbegriff zugrundelegst, der seinen Ursprung in der Hochscholastik hat. Nicht, dass ich diesen Realitätsbegriff ablehne. Nur muss man sich darüber klar sein, dass man über verschiedene Dinge spricht, wenn über "Realität" spricht.

closs
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#153 Re: Naturwissenschaft und Religion

Beitrag von closs » Di 12. Nov 2013, 11:58

dagegen hat geschrieben:Nur muss man sich darüber klar sein, dass man über verschiedene Dinge spricht, wenn über "Realität" spricht.
Das ist exakt der Punkt - man spricht hier (und woanders) über "Realität" und meint Unterschiedliches.

dagegen hat geschrieben:"Es ist der Fall, dass auf dem Meer keine Bäume wachsen"
OK - das wäre jetzt NICHT in meinem Sinne. Man dürfte "das, was der Fall ist" nicht als Negation verstehen - bin jetzt überfragt, ob sich Wittgenstein nur auf positive Befunde bezieht, wenn er von dem spricht, was "der Fall" ist. - Folgerichtig wäre es.

dagegen hat geschrieben:dann bist du in einem viel weiteren Universum als jeder Naturalist.
Kann sein - eigentlich geht es nur darum, dass man "Realität" nicht (nur) als das versteht, was naturalistisch messbar ist. - Konkret auf Gott bezogen:

Wenn Gott "ist", hat er auch als Realität gesehen zu werden. - Wenn man daran zweifelt, dass es Gott gibt (was für einen Naturalisten naheliegend ist), muss man Gott zumindest als potentielle Realität anerkennen - im Sinne von: "Wenn es Gott gibt, ist er Realität". - Man kann aber NICHT sagen: "Da Gott nicht messbar ist, ist er keine Realität".

Denn es gibt die Marotte in der "aufgeklärten" Denkweise, dass man Nicht-Messbares als Illusion, also als Nicht-Realität versteht. - Dem ist entgegen zu setzen, dass Realität das ist, das vollkommen unabhängig von unserer Wahrnehmung existiert. - Wenn also Gott "ist", ist er es auch, wenn ihn niemand erkennen oder messen würde.

Es muss klar werden, dass Wahrnehmung eine Teilmenge der Realität ist und nicht, dass Realität eine Folge von Wahrnehmung ist. - Sehr aktuell in unseren Zeiten.

dagegen
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#154 Re: Naturwissenschaft und Religion

Beitrag von dagegen » Di 12. Nov 2013, 12:09

Hallo closs

closs hat geschrieben:Kann sein - eigentlich geht es nur darum, dass man "Realität" nicht (nur) als das versteht, was naturalistisch messbar ist. - Konkret auf Gott bezogen:

Wenn Gott "ist", hat er auch als Realität gesehen zu werden.

Nach meinem Dafürhalten vermengst du hier zwei Dinge, die nicht zusammengehören. Die Ansicht, dass nur das ist, was messbar ist, dürfte ernsthaft nur noch von einigen Betonköpfen vertreten werden. Wie aus einer solchen messbaren und nichtmessbaren Realität Gott abgeleitet werden kann, erschliesst sich mir nicht. Gott wird nicht durch die Welt erklärt und kann nicht aus dieser abgeleitet werden. Würde man dies zu tun versuchen, hätte man eine Ideologie, oder in der Sprache des AT, einen hölzernen Götzen, der nicht reden kann und getragen werden muss. Bestenfalls können wir hinweisend ("analog", wie die Scholastik sagte) von Gott sprechen, im Sinne der via affirmativa, der via negativa und der via emminentiae.

closs hat geschrieben:... dass Wahrnehmung eine Teilmenge der Realität ist und nicht, dass Realität eine Folge von Wahrnehmung ist.

Sagt die evolutionäre Erkenntnistheorie (z.B. Gerhard Vollmer) nicht genau das?

gruss dagegen

closs
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#155 Re: Naturwissenschaft und Religion

Beitrag von closs » Di 12. Nov 2013, 12:46

dagegen hat geschrieben:Die Ansicht, dass nur das ist, was messbar ist, dürfte ernsthaft nur noch von einigen Betonköpfen vertreten werden.
Dein Wort in meinem Ohr. - Ich höre oft eben dieses.

dagegen hat geschrieben: Wie aus einer solchen messbaren und nichtmessbaren Realität Gott abgeleitet werden kann, erschliesst sich mir nicht.
Mir auch nicht. - Weder das eine noch das andere kann Grundlage sein. - Wichtig ist, dass man sein Gottesbild nicht davon abhängig macht, ob es naturalistisch objektivierbar ist.

dagegen hat geschrieben: Gott wird nicht durch die Welt erklärt und kann nicht aus dieser abgeleitet werden.
Ja - umgekehrt kann die Welt über Gott erklärt und abgeleitet werden. Deshalb immer wieder der Hinweis, dass Materie Folge von Geist un NICHT Geist Folge von Materie ist.

Allerdings darf man davon ausgehen, dass das Ebenbildliche des Menschen Anlagen dazu hat/haben kann, mit seinem Ursprung verbunden zu sein. Insofern glaube ich schon an den Satz Goethes: "Und wär' das Aug' nicht sonnenhaft, die Sonne könnt' es nicht erblicken". - Genau das definiert doch den Begriff der Ebenbildlichkeit - oder nicht?

dagegen hat geschrieben:Sagt die evolutionäre Erkenntnistheorie (z.B. Gerhard Vollmer) nicht genau das?
Kenne ich nicht. - Wenn sie es tut, um so besser. - Frage: Versteht das Vollmer quantitativ ("Wir können nie all das wahrnehmen, was prinzipiell wahrnehmbar ist") oder qualitativ ("Es gibt Phänomene, die prinzipiell nicht für uns wahrnehmbar sind, aber existieren")?

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#156 Re: Naturwissenschaft und Religion

Beitrag von dagegen » Di 12. Nov 2013, 13:19

servus closs,

ich stelle fest, dass wir nicht weit auseinanderliegen mit unseren Ansichten.

zu deiner letzten Frage. Nach Auffassung der evolutionären Erkenntnistheorie haben sich unsere Sinnesorgane und unser Gehirn co-evolutionär mit ihrer Umgebung entwickelt. Sprich: auf einem anderen Planeten, auf dem Leben möglich wäre, sähen unsere Erkenntnisapparate wohl anders aus.

closs hat geschrieben:Frage: Versteht das Vollmer quantitativ ("Wir können nie all das wahrnehmen, was prinzipiell wahrnehmbar ist") oder qualitativ ("Es gibt Phänomene, die prinzipiell nicht für uns wahrnehmbar sind, aber existieren")?

Vermutlich würde Vollmer Deine Frage so beantworten: wir können nur das wahrnehmen, wozu wir evolutionär imstande sind. Und daraus folgt: ja es gibt Phänomene, die prinzipiell für uns nicht wahrnehmbar sind, aber dennoch für andere Organismen existieren (d.h. wahrgenommen werden können; irgendwelche Farben oder Töne, die wir mit unseren Sinnen nicht wahrnehmen, z.B.)

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#157 Re: Naturwissenschaft und Religion

Beitrag von closs » Di 12. Nov 2013, 13:59

dagegen hat geschrieben:aber dennoch für andere Organismen existieren
Gehst Du davon aus, dass es Leben sonstwo im Universum gibt? - Aus naturalistischer Sicht wäre das mehr als wahrscheinlich.

Allerdings habe ich die Vermutung, dass auch unsere Wahrnehmung von Zeit und Raum eine anthropozentrische Variante ist, die Zeit und Raum vollkommen relativiert - das gilt auch für objektiv naturwissenschaftliche Beobachtung ("Alpha Centauri = 4 Lichtjahre weg"). Denn auch Objektives aus unserer Sicht ist anthropozentrisch. - Das wäre jetzt aber ein neues Faß, das man aufmachen müsste - wie gesagt: Reiner Instinkt meinerseits, der naturwissenschaftlich NICHT belegbar ist (weil Naturwissenschaft hier ja nicht nur Subjekt, sondern auch Objekt ist).

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#158 Re: Naturwissenschaft und Religion

Beitrag von dagegen » Di 12. Nov 2013, 14:01

Warum sollte es der Allmacht Gottes widersprechen, wenn es mehr als einmal im Universum Leben gibt?

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#159 Re: Naturwissenschaft und Religion

Beitrag von closs » Di 12. Nov 2013, 14:16

dagegen hat geschrieben:Warum sollte es der Allmacht Gottes widersprechen, wenn es mehr als einmal im Universum Leben gibt?
Würde es nicht. - Jede Schöpfung, die nach ihrem Woher und Wohin fragen kann, ist ebenbildlich - egal wo. - Damit hätte ich kein Problem.

Ungeachtet dessen halte ich es für denkbar, dass unsere (auch naturwissenschaftliche) Wahrnehmung des Kosmos anthropozentrisch in DEM Sinne ist, also Projektion sein kann. "Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis" (Faust II, Goethe).

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#160 Re: Naturwissenschaft und Religion

Beitrag von Demian » Di 12. Nov 2013, 14:23

dagegen hat geschrieben:Warum sollte es der Allmacht Gottes widersprechen, wenn es mehr als einmal im Universum Leben gibt?

Mehr noch, es verhält sich genau umgekehrt: wenn es nur diesen einen bewohnten Planeten gibt, dann widerspricht das der spirituellen Perspektive. Denn entweder dieser Kosmos ist beseelt, auf Leben und Bewusstsein hin ausgerichtet, oder aber unser Leben ist ein tragischer Zufall, völlig vergänglich und hinfällig, Gewalten ausgeliefert, die wir aus blindem Zufall und nicht aus Wohlwollen überstanden hätten. "Ich glaube an ein unendliches Universum, als Schöpfung der unendlichen Allmacht, da ich es der göttlichen Güte und Macht für unwürdig erachte, wenn sie unzählige Welten schaffen kann, nur eine endlich begrenzte Welt geschaffen zu haben." ( Giordano Bruno )

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