Naturwissenschaft und Religion

Philosophisches zum Nachdenken
closs
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#181 Re: Naturwissenschaft und Religion

Beitrag von closs » Mi 13. Nov 2013, 18:39

Demian hat geschrieben: Alles Seiende ist demnach nicht nur eine Ableitung, sondern eine Manifestation dieses Seins
Das schließt sich nicht aus - im Gegenteil. - Der Kreisschatten ist eine nieder-dimensionale Manifestation der Kugel.

Demian hat geschrieben:Dualistisches Denken beruht auf dem Gedanken, dass diese Einheit nicht gegeben ist
Das gilt auch bei der Ableitung: Es ist ein Unterschied, ob die Kreisfläche den Schnitt der Kugel darstellt (also in der Kugel ist), oder als Schatten herausgeworfen ist. - Letzeres ist in der Tat im Christentum der Fall: Die (notwendige!) Abwendung des Menschen von seinem Ursprung zugunsten einer Orientierung am herausgeworfenen Ich ("Sündenfall") führt zum Aufbrechen der Einheit. Folge davon sind teleologische Größen wie Leid und Wille.

Demian hat geschrieben:aber es erschwert in die Erfahrung dieser geistigen Tiefe zu kommen.
Wenn man es richtig macht, führt dieser christliche Ansatz exakt in diese geistige Tiefe. - Frage: Wie sind nach Deinem Denksystem Leid und Wille erklärbar?

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Demian
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#182 Re: Naturwissenschaft und Religion

Beitrag von Demian » Do 14. Nov 2013, 12:49

closs hat geschrieben:Letzeres ist in der Tat im Christentum der Fall: Die (notwendige!) Abwendung des Menschen von seinem Ursprung zugunsten einer Orientierung am herausgeworfenen Ich ("Sündenfall") führt zum Aufbrechen der Einheit. Folge davon sind teleologische Größen wie Leid und Wille.

Meiner Auffassung nach, kann man sich von diesem Ursprung gar nicht abwenden. Denn alles ist eingetaucht in das selbe Sein; selbst das, was wir das Böse nennen. Darum sind Nächsten- und Feindesliebe für mich keine Gebote, sondern notwendige Erfahrungen, die man macht, wenn man mit diesem Sein in Berührung kommt. Gnade kommt für mich aus der innerseelischen Erfahrung, nicht aus der äußeren Theologie. Die kann einen sinnvollen Rahmen - über Rituale, Bildsprache, Traditionen - für eine initiatorische Praxis schaffen. Aber ebenso hinderlich kann sie werden, wenn sie sich selbst für das Eigentliche hält.

Demian hat geschrieben:Wenn man es richtig macht, führt dieser christliche Ansatz exakt in diese geistige Tiefe.

Nicht ohne Grund orientieren sich heutzutage viele Menschen an anderen Weisheitslehren, wie dem Buddhismus. Dort ist sofort die meditative Praxis im Vordergrund. Das Ritual der Taufe wäre mir völlig unverständlich, wenn ich es nicht als ein Bild für einen inneren Verwandlungsweg begreifen würde, der nicht nur über das einzelne Ritual, sondern sogar weit über mein eigenes Leben hinausweist. Es gibt natürlich ebenso im Christentum den inneren Erfahrungsweg, sodass man im Prinzip gar nicht woanders suchen müsste, doch kann es bei der theologischen Überfrachtung rein intellektuell bleibender Glaubenssätze - und aus einem umfassenden spirituellen Interesse heraus - sicher gut tun das christliche Weltbild zu hinterfragen, neu zu interpretieren und auf den Menschen hin "aufzubrechen". Was das Leiden angeht, so würde ich Meister Eckhart zustimmen, der sagte, dass uns am schnellsten das Leiden zur Vollkommenheit bringen würde. Das Leiden ist ein unausweichlicher Teil der Menschwerdung - schon rein sprachlich bedeutet "Krise" übersetzt so viel wie Wahl und Entscheidung.

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#183 Re: Naturwissenschaft und Religion

Beitrag von closs » Do 14. Nov 2013, 13:27

Demian hat geschrieben: Denn alles ist eingetaucht in das selbe Sein
ICh stelle fest, dass wir insgesamt am selben Brett boren, aber von verschiedenen Seiten aus.

Deinem Satz stimme ich zu, spüre aber gleichzeitig Interpretations-Gefahren - denn es ist durchaus "modern", mit "dem selben Sein" ausschließlich das materialistische Ich zu verstehen.

Demian hat geschrieben:Das Ritual der Taufe wäre mir völlig unverständlich, wenn ich es nicht als ein Bild für einen inneren Verwandlungsweg begreifen würde
Die RKK versteht das so - aber als Eingriff von außen. - Also NICHT als bewussten Prozess im Ich. - Da könnten sich die Geister scheiden.

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Demian
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#184 Re: Naturwissenschaft und Religion

Beitrag von Demian » Do 14. Nov 2013, 14:31

closs hat geschrieben:Ich stelle fest, dass wir insgesamt am selben Brett boren, aber von verschiedenen Seiten aus. Deinem Satz stimme ich zu, spüre aber gleichzeitig Interpretations-Gefahren - denn es ist durchaus "modern", mit "dem selben Sein" ausschließlich das materialistische Ich zu verstehen.Die RKK versteht das so - aber als Eingriff von außen. - Also NICHT als bewussten Prozess im Ich. - Da könnten sich die Geister scheiden.

Die Interpretationsgefahren gibt es wohl immer - deswegen setze ich grundsätzlich auf den persönlichen Weg. Es gibt im Grunde nur diesen. Manchen führt das zur katholischen Kirche, andere führt das von ihr weg; mich wiederum reizen die Übergänge.

* Oh glücklich, wer noch hoffen kann
Aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen.
Was man nicht weiß, das eben brauchte man
Und was man weiß, kann man nicht brauchen.
und
* Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust,
Die eine will sich von der andern trennen;
Die eine hält, in derber Liebeslust,
Sich an die Welt mit klammernden Organen.
Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust
Zu den Gefilden hoher Ahnen.

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#185 Re: Naturwissenschaft und Religion

Beitrag von closs » Do 14. Nov 2013, 14:52

Demian hat geschrieben:Oh glücklich, wer noch hoffen kann
Ja - der Dr. Faust. - Das Ende von Faust II ist diesbezüglich auch interessant:

„Alles Vergängliche Ist nur ein Gleichnis;
Das Unzulängliche, Hier wird's Ereignis;
Das Unbeschreibliche, Hier ist's getan;
Das Ewig-Weibliche, Zieht uns hinan“

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