closs hat geschrieben:Letzeres ist in der Tat im Christentum der Fall: Die (notwendige!) Abwendung des Menschen von seinem Ursprung zugunsten einer Orientierung am herausgeworfenen Ich ("Sündenfall") führt zum Aufbrechen der Einheit. Folge davon sind teleologische Größen wie Leid und Wille.
Meiner Auffassung nach, kann man sich von diesem Ursprung gar nicht abwenden. Denn alles ist eingetaucht in das selbe Sein; selbst das, was wir das Böse nennen. Darum sind Nächsten- und Feindesliebe für mich keine Gebote, sondern notwendige Erfahrungen, die man macht, wenn man mit diesem Sein in Berührung kommt. Gnade kommt für mich aus der innerseelischen Erfahrung, nicht aus der äußeren Theologie. Die kann einen sinnvollen Rahmen - über Rituale, Bildsprache, Traditionen - für eine initiatorische Praxis schaffen. Aber ebenso hinderlich kann sie werden, wenn sie sich selbst für das Eigentliche hält.
Demian hat geschrieben:Wenn man es richtig macht, führt dieser christliche Ansatz exakt in diese geistige Tiefe.
Nicht ohne Grund orientieren sich heutzutage viele Menschen an anderen Weisheitslehren, wie dem Buddhismus. Dort ist sofort die meditative Praxis im Vordergrund. Das Ritual der Taufe wäre mir völlig unverständlich, wenn ich es nicht als ein Bild für einen inneren Verwandlungsweg begreifen würde, der nicht nur über das einzelne Ritual, sondern sogar weit über mein eigenes Leben hinausweist. Es gibt natürlich ebenso im Christentum den inneren Erfahrungsweg, sodass man im Prinzip gar nicht woanders suchen müsste, doch kann es bei der theologischen Überfrachtung rein intellektuell bleibender Glaubenssätze - und aus einem umfassenden spirituellen Interesse heraus - sicher gut tun das christliche Weltbild zu hinterfragen, neu zu interpretieren und auf den Menschen hin "aufzubrechen". Was das Leiden angeht, so würde ich Meister Eckhart zustimmen, der sagte, dass uns am schnellsten das Leiden zur Vollkommenheit bringen würde. Das Leiden ist ein unausweichlicher Teil der Menschwerdung - schon rein sprachlich bedeutet "Krise" übersetzt so viel wie Wahl und Entscheidung.