Max Horkheimer: Aufklärungphilosophie

Philosophisches zum Nachdenken
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Demian
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#1 Max Horkheimer: Aufklärungphilosophie

Beitrag von Demian » Sa 28. Dez 2013, 15:25

Bei aller Aktivität werden die Menschen passiver, bei aller Macht über die Natur ohnmächtiger gegen die Gesellschaft und sich selbst. Die Gesellschaft arbeitet von sich aus auf den atomistischen Zustand der Massen hin, den Diktatoren sich wünschen können. Es kommt darauf an, daß die Menschen auf ihre Situation reflektieren, die Selbständigkeit erwerben, die ihr angemessen ist, und dem Unheil, das aus ihrer Gleichgültigkeit und Blindheit wieder entstehen kann, durch den Gedanken sich entgegensetzen, dazu bedarf es der Philosophie.
Im Grunde fassen die Anthropologen, deren Denken um die Stärke und die Macht zentriert ist, die Geschichte der Menschheit als die Naturgeschichte auf, in die sie auszuarten droht. Unvermerkt erheben sie die Tatsachen, vor allem den Menschen als Naturmacht, zur Norm und predigen die Brutalität, zu der die Gesellschaft ohnehin vorläuft. Der Philosophie dagegen ist der Rekurs auf solche Kuren versagt, und sie verfehlt das Positive, sobald sie es bezeichnen will.
Durch die Denunziation der Verhältnisse, die ihr zuwider sind, allein vermag sie sich zum Positiven zu bekennen.
Wie man dem Bannkreis des Bestehenden sich entziehen kann, weiß sie nicht vorzuschreiben, sie kann bloß versuchen, den Bann beim Namen zu nennen. Wenn es daher nicht angeht, den Menschen vorzureden, wie sie es machen sollten, um der Schrumpfung des Menschlichen Einhalt zu gebieten, wenn die Vorstellung Wahn ist, man könne die gefährlichen Entwicklungen in Technik, Familie und allen menschlichen Beziehungen abbrechen, die doch alle aus den Mängeln der früheren Verhältnisse entspringen und ebensosehr ein Berfreiendes an sich haben wie ein Fesselndes, so kann vielleicht aus dem präzisen Wissen um das Falsche das Richtige sich durchsetzen.
“ [ Max Horkheimer: Der Mensch in der Wandlung seit der Jahrhundertwende (1960). In: Gesellschaft im Übergang. Aufsätze, Reden und Vorträge 1942-1970. Frankfurt/M., Fischer 1960 (6545) ]

Das Prinzip der Immanenz, der Erklärung jeden Geschehens als Wiederholung, das die Aufkllärung wider die mythische Einbildungskraft vertritt, ist das des Mythos selber. Die trockene Weisheit, die nichts Neues unter der Sonne gelten läßt, weil die Steine des sinnlosen Spiels ausgespielt, die großen Gedanken alle schon gedacht, die möglichen Entdeckungen vorweg konstruierbar, die Menschen auf Selbsterhaltung durch Anpassung festgelegt seien - diese trockdene Weisheit reproduziert bloß die phantastische, die sie verwirft; die Sanktion des Schicksals, das durch Vergeltung unablässig wieder herstellt, was je schon war. Was anders wäre, wird gleichgemacht.“ [ Max Horkheimer und Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Ges. Schriften, Bd. 5:34, Frankfurt/M., Fischer 1987 ]


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