Die Religion der Zukunft

Philosophisches zum Nachdenken
Novas
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#31 Re: Die Religion der Zukunft

Beitrag von Novas » Fr 19. Feb 2016, 09:12

Pluto hat geschrieben:Emerson sagt da nichts grundlegend neues, was nicht bereits in unserer humanistisch geprägten Geselllschaft umgesetzt wurde

Die humanistische Prägung, die maßgeblich aus den humanistischen und spirituellen Lehren und Werten des Ostens und des Westens erwachsen ist. :thumbup: Schon Goethe schrieb:

Wer sich selbst und andere kennt,
Wird auch hier erkennen:
Orient und Okzident
Sind nicht mehr zu trennen.


Heute gilt das nur umso mehr.

"useful" und "compassionate"... sind sehr gut, "honorable" ist hingegen ein Rückfall in einen überholten romantischen Patriotismus; hat die Welt nicht genug Opfer Kriegs- und Menschenopfer gesehen? Niemand braucht Opfer.

„Honorable“ bedeutet „ehrenwert“. Ich möchte ein ehrenwerter Mensch sein. Was hat das nun mit Kriegs- und Menschenopfern zu tun? Dass man Kriege abgesegnet und als ehrenwert bezeichnet hat, ist mir bekannt, aber dafür können doch die Worte nichts. Rilke hat das sehr gut in Worte gefasst:

Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.
Sie sprechen alles so deutlich aus:
Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,
und hier ist Beginn und das Ende ist dort.

Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,
sie wissen alles, was wird und war;
kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;
ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.

Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.
Die Dinge singen hör ich so gern.
Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.
Ihr bringt mir alle die Dinge um.



Rainer Maria Rilke, Aus: Die frühen Gedichte (Gebet der Mädchen zur Maria)

Ihr bringt mir alle die Dinge um“ - und das beginnt bei der missbräuchlichen Verwendung des Wortes. Wenn Du beispielsweise „den“ Humanismus rein atheistisch und säkular definierst und gegen „die“ Religion in Stellung bringst (oder eben die Wissenschaft gegen die Religion) und „Religion“ einseitig negativ definierst, dann ist das eine Sinnentfremdung. Die kann so weit gehen, dass man die Sinnentfremdung gar nicht mehr durchschaut, sie für normal hält und zum Maßstab aller Beurteilung macht.

In den Gesprächen hier kann man das beobachten.

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#32 Re: Die Religion der Zukunft

Beitrag von Novas » Fr 19. Feb 2016, 10:39

Savonlinna hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Könnte eventuell der Humanismus der Nachfolger der Religionen werden?
Wenn man die Theologen und Gläubigen alle erschießt, könnte das klappen.

Das ist zum Glück nicht nötig ;) Der von mir sehr geschätzte Michael von Brück gibt Rat (selbst evangelischer Theologe und Zen- und Yoga-Lehrer): Ach, wissen Sie, der Atheismus ist so alt wie die Religionsgeschichte. Religion und Religionskritik gehen ineinander, sonst würde sich die Religion ja nicht bewegen.
http://www.wienerzeitung.at/themen_chan ... rueck.html ein Problem ergibt sich erst, wenn man der Religion gar keine Existenzberechtigung mehr zugesteht, weil man ihre Bedeutung für das menschliche Leben nicht versteht.

Die Kluft zwischen beiden Seiten besteht offenbar vor allem darin, dass der moderne, säkulare Mensch den Glauben an das Übernatürliche nicht nachvollziehen kann. Der britische Populärphilosoph Alain de Botton hat den sogenannten "Atheismus 2.0" ausgerufen.

Michael von Brück: Aha. Das heißt?

Dass man selbstverständlich nicht an Gott glaubt, dennoch gern Weihnachtslieder singt und auch gern alte Kirchen anschaut. Wenn de Botton ganz offen vorschlägt, von den Religionen zu stehlen und sich das Beste herauszupicken . . .

Michael von Brück: . . . ist das inkonsistent! Denn wenn ich Religionen als kulturelle Leistung des Menschen anerkenne, muss ich dem zumindest Respekt zollen.

De Botton betont aber ausdrücklich, respektlos sei man früher gegenüber Religionen gewesen. Das habe sich geändert.

Michael von Brück: Heute sieht man natürlich, dass die religiösen Überlieferungen der Menschheit vielgestaltig sind, geographisch jedoch nicht mehr getrennt, Stichwort Globalisierung: Das wird die Religionen, wie wir sie bisher kennen gelernt haben, die sich mehr oder weniger getrennt und auch durch Auseinandersetzung gegeneinander entwickelt haben, zu einer viel größeren Ineinandersetzung bringen, zu individuellen Neu-Formierungen von Religion und Glauben. Genau das lässt sich ja heute beobachten.

Wenn es einen „Atheismus 2.0“ gibt, dann wird es mit Sicherheit auch eine „Religion 2.0“ geben. Eine friedliche Ko-Existenz von Wissenschaft und Religion halte ich für eine erstrebenswerte Science-Fiction Vision (ich überlege ob ich dazu eine Trilogie verfasse, damit das für mich selbst klarer wird - Tolkien in Science-Fiction :lol: )

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#33 Re: Die Religion der Zukunft

Beitrag von Savonlinna » Fr 19. Feb 2016, 11:05

Pluto hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben: damit jeder aus seiner Sicht antworten kann.
Genau! Und aus meiner Sicht kann den Glauben an einen Allmächtigen in den Wolken ganz weglassen... ;)
Das heißt, Du würdest, wenn Du die Möglichkeit dazu hättest, den Glauben an einen Allmächtigen in den Wolken verbieten oder ausräuchern?

Mal abgesehen davon, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass es so einen Glauben überhaupt gibt.

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#34 Re: Die Religion der Zukunft

Beitrag von Novas » Fr 19. Feb 2016, 11:19

Savonlinna hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben: Das ist doch eines der Hauptthemen hier im Forum.
Mehr kann ich dazu im Moment nicht sagen.
Also... Ich halte den Humanismus NICHT für korrumpiert. Man muss ihn nur leben.
Es gibt natürlich auch den nicht-korrumpierten Humanismus, selbstverständlich.

Den nicht-korrumpierten Humanismus können wir im Evangelium erkennen :P und Du hast hier auch schon mal einen Atheisten erwähnt, der das gut reflektiert hat: Ernst Bloch mit seinem „Prinzip Hoffnung“ - im Grunde ist er selbst ein Ketzer in seinen Kreisen gewesen.

Ernst Bloch war "ein Ketzer"
Arno Münster, Schüler des Philosophen, über dessen Hauptwerk und Aktualität
Arno Münster im Gespräch mit Matthias Hanselmann



Hanselmann: Ein Ketzer des Marxismus, vielleicht auch ein Ketzer des Christentums oder irgendwo dazwischen. Bloch hat zu dieser Zeit einmal geschrieben: "Nur ein Atheist kann ein guter Christ sein, gewiss aber auch: Nur ein Christ kann ein guter Atheist sein." Das klingt natürlich plakativ und provokant. Wie war es denn gemeint 1968?

Münster: Ja, wie Sie sagen, es war allerdings eine sehr provokante These: Nur ein guter Christ kann Atheist sein, nur ein Atheist kann ein guter Christ sein. Dahinter steht nichts anderes als das was beispielsweise (Anm. d. Red: schwer verständlich) typisch ist für die Religionsphilosophie von Ernst Bloch. Und man muss dazu schon sagen, dass das herausragende Charakteristikum gerade dieses großen Denkers ist, dass er von allen neomarxistischen Philosophen des 20. Jahrhunderts derjenige ist - vielleicht mit Walter Benjamin -, der sich am meisten für das Phänomen der Religiosität oder auch der Theologie interessiert hat, und der versucht hat eben, Marxismus und Theologie irgendwie zusammenzubringen. Aber dieses Zusammenbringen von beidem hat zur Folge, dass er in den religiösen Bewegungen gerade jene Motive herausstellt, die in der Tradition der Kirchen zurückgedrängt, wenn nicht sogar unterdrückt wurden. Das heißt also Ketzer, die ketzerischen Bewegungen eben. Das heißt, es geht ihm darum, in dem religiösen Bewusstsein auf diese Weise (Anm. d. Red.: Schwer verständlich) utopische Momente ausfindig zu machen, die ein produktives Miteinander oder Zusammengehen zwischen diesen Formen des religiösen Bewusstseins mit den rebellischen Bewegungen, die nicht religiös sind, ermöglichen. Das ist also im Grunde die Quintessenz dieses Buchs oder dieses Aufrufs, "Atheismus im Christentum", ein Buch, das zum Beispiel in Lateinamerika eine ganz außerordentliche Resonanz fand, einfach deswegen, weil es dort ja eben die Theologie der Befreiung gab und die begeistert diese Bloch'schen Theorien aufgenommen hat. In dieser Weise ist Bloch sozusagen ein Vorläufer, ein Vordenker jener Theologie der Befreiung, die dann eben in diesen Ländern Lateinamerikas, in Brasilien, Nicaragua und so weiter ganz groß aufgegangen ist.
http://www.deutschlandradiokultur.de/er ... _id=145432

Es ist interessant, dass ausgerechnet ein jüdischer Atheist einen solchen Einfluss auf die Theologie der Befreiung in Lateinamerika ausübte (ich persönlich sympathisiere mit dieser Art von Theologie, beispielsweise Ernesto Cardenal mit seinem Buch der Liebe, in dem wirklich sehr schöne Meditationen zum Thema Glaube, Hoffnung und Liebe versammelt sind)

Auf dem nicaraguaportal findet man diese Worte über Cardenal:

„Mit Cardenal beginnt eine neue Ära in der südamerikanischen Lyrik: die Verschmelzung des Himmels mit der Erde, des Menschen mit Gott. Für Cardenal ist das Leiden Christi vor allem das Leiden der Menschheit.“

~ Evgenij Aleksandrovič Evtušenko

Die Poesie Nicaraguas spiegelt sich in ihrer ganzen Vielfalt im Werk des Dichter-Propheten Ernesto Cardenals wider. Geprägt durch die Dichtungen Rubén Daríos, Pablo Antonio Cuadras und José Coronel Urtechos beginnt Cardenals Leidenschaft für die Poesie schon in den allerfrühesten Jugendjahren. Heute ist es seine Dichtung, die der zeitgenössischen Lyrik Lateinamerikas wichtige Impulse gibt.

Grob gesehen kann Cardenals poetisches Werk in drei maßgebliche Etappen bzw. Inhaltsbereiche unterteilt werden:

1. Angriff auf die sozial-politischen Mißstände wie etwa die der Somoza-Diktatur
2. Romantisch-impressionistische Liebesgedichte
3. Mystisch-religiöse Gedichte der pantheistischen, zuweilen panerotischen Naturphilosophie wie sie im späteren Cántico Cósmico zu finden sind.



Politik und Poetik, die Suche nach einer alternativen Lebensform, die den neuen Bedürfnissen nicht nur des nicaraguanischen Volkes gerecht wird, dies durchzieht sich durch sein ganzes künstlerisches wie auch kulturpolitisches Schaffen.

»Für Ernesto Cardenal gibt es kein größeres Geheimnis als die Liebe. Als junger Student schreibt er seine Gedichte getrieben von seiner Sehnsucht nach dem geliebten Mädchen, das sich ihm entzieht. Als Novize im Kloster richtet sich sein Sehnen auf die Begegnung mit Gott und am meisten berühren jene Verse, deren Eros nicht zu unterscheiden ist von männlichem Begehren. Die „Gesänge des Universums“ des reifen Dichters schließlich rücken die Liebe als Gestaltungsprinzip ins Zentrum der gesamten Schöpfung.

Liebe - ob zu den Menschen oder zu Gott - ist für Cardenal nicht zu trennen von Sinnlichkeit, auch darum hat er nie ein jenseitiges Paradies beschworen. Dorothee Sölle schrieb an ihren Freund Ernesto: „Du hast sie beieinander gelassen: Religion, Politik und Liebe, Deine Liebeslieder sind politisch, Deine Psalmen erotisch. Deine Bejahung, deine Feier des Lebens ist umfassend“.«

http://www.nicaraguaportal.de/kunst-und ... -werk.html


Hier können wir also schon ein schöpferisches Zusammenspiel erkennen, welches nicht nur zukunftsfähig ist, sondern diese bejahenswerte Zukunft wirklich feiert und prophetisch erahnen lässt, sie überhaupt erst ermöglicht und mit-schöpft. Sie ermutigt Menschen mit der ihnen innewohnenden kreativen Energie die Welt selbstbewusst zu gestalten, anstatt sich von anderen Mächten dieser Welt leben zu lassen.
Jesus folgen bedeutet für mich: den aufrechten Gang wagen. ;) Wagen ein „Ich“ zu sein, nicht nur ein „tadelloses“ Mitglied einer Schafsherde, denn das kann man ohnehin nur sein, wenn man ein Schaf ist. Wir sind aber Menschen und aus dem Menschen sollte man kein dressiertes Schaf machen. Christus wird in der religiösen Sprache als „Lamm Gottes“ bezeichnet, aber auch als der „Löwe von Judah“, der geradezu das Sinnbild eines echten Citoyen ist.

Der Citoyen (französisch citoyen zu altfranzösisch citeain, einer Ableitungsform von cité ‚Stadt‘, dies aus lateinisch civitas ‚Bürgerschaft‘, ‚Staat‘) bezeichnet den Bürger bzw. Staatsbürger, der in der Tradition und im Geist der Aufklärung aktiv und eigenverantwortlich am Gemeinwesen teilnimmt und dieses mitgestaltet.

Sein Selbstverständnis basiert historisch auf den Werten der Französischen Revolution von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.
https://de.wikipedia.org/wiki/Citoyen

Für mich gehört dieses Bewusstsein zu einer zukunftsfähigen Religion. Glaubwürdig ist das Christentum wieder, wenn es nicht nur an Jesus glaubt, sondern ihm nachfolgt.
Zuletzt geändert von Novas am Fr 19. Feb 2016, 12:29, insgesamt 1-mal geändert.

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#35 Re: Die Religion der Zukunft

Beitrag von Savonlinna » Fr 19. Feb 2016, 12:28

Novalis hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben: Also... Ich halte den Humanismus NICHT für korrumpiert. Man muss ihn nur leben.
Es gibt natürlich auch den nicht-korrumpierten Humanismus, selbstverständlich.
Den nicht-korrumpierten Humanismus können wir im Evangelium erkennen

Kommt eben darauf an, was man als "Evangelium" aus dem Neuen Testament herausfiltert.
Aber man kann - und viele Christen tun es - daraus einen nicht-korrumpierten Humanismus herausfiltern, der sogar das vertritt, was ich vertrete;
der Mensch ist unauslotbar und darf auf nichts festgelegt werden.

Novalis hat geschrieben: :P und Du hast hier auch schon mal einen Atheisten erwähnt, der das gut reflektiert hat: Ernst Bloch mit seinem „Prinzip Hoffnung“ - im Grunde ist er selbst ein Ketzer in seinen Kreisen gewesen.
Danke, dass Du ihn immer wieder mal ins Spiel bringst.

Novalis hat geschrieben:Es ist interessant, dass ausgerechnet ein jüdischer Atheist einen solchen Einfluss auf die Theologie der Befreiung in Lateinamerika ausübte
Ernst Bloch hat auch auf einen hiesigen Theologen starkein Einfluss ausgeübt: Jürgen Moltmann, der ab den späten Sechzigern einen Lehrstuhl in Tübingen hatte, wo auch Bloch damals lebte.

Moltmanns bekanntestes Buch ist "Theologie der Hoffnung", das sich auf Blochs "Prinzip der Hoffnung" beruft.
https://de.wikipedia.org/wiki/Theologie_der_Hoffnung

Jürgen Moltmann lebt noch, ich habe eben den Teil eines Interviews von 2013 mit ihm rausgefischt:
http://www.jesus.de/blickpunkt/detailan ... 95565.html

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#36 Re: Die Religion der Zukunft

Beitrag von JackSparrow » Fr 19. Feb 2016, 13:32

Novalis hat geschrieben:Meine Frage war nicht ob es einen „Nachfolger“ der Religion, also eine Welt ohne Religion gibt
Der Nachfolger der Religion ist die Wissenschaft. Mit der Entstehung des Sonnensystems beispielsweise beschäftigt sich heute die Astronomie und nicht mehr Moses. Sogar Jesu Hypothese über krankmachende Dämonen ist zwischenzeitlich durch ein etwas komplexeres Modell aus Viren und Bakterien ersetzt worden.

und Menschen - wissenschaftlich nachgewiesen - ein reales Bedürfnis danach haben,
Das Bedürfnis der Menschen, sich von ihren Mitmenschen ordentlich die Taschen vollhauen zu lassen, befriedigt heutzutage der Esoterikmarkt und nicht mehr die Religion.

Ein Priester darf seinen Kunden ja nichts erzählen, was nicht in der Bibel steht, und mit dem Zeug, was in der Bibel steht, lässt sich heute dummerweise niemand mehr hinterm Ofen hervorlocken.

Andererseits lässt sich das gleiche Ziel - nämlich die harte Realität nicht ertragen zu müssen - ja auch durch einen Kasten Bier oder durch tryptaminhaltige Pilze relativ preisgünstig erreichen.

The purpose of life is not to be happy. It is to be useful, to be honorable,
The purpose of life ist Fortpflanzung und Nahrungsaufnahme. Könnten wir von Luft leben, dann nur Fortpflanzung.

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#37 Re: Die Religion der Zukunft

Beitrag von Novas » Fr 19. Feb 2016, 15:43

JackSparrow hat geschrieben:
The purpose of life is not to be happy. It is to be useful, to be honorable,
The purpose of life ist Fortpflanzung und Nahrungsaufnahme. Könnten wir von Luft leben, dann nur Fortpflanzung.

Also in meinem Leben spielt wesentlich mehr eine Rolle, als nur Fortpflanzung und Nahrungsaufnahme. :shock:

Der Nachfolger der Religion ist die Wissenschaft.

Faktisch nicht, denn Wissenschaft und Religion haben schon immer miteinander existiert. Hand aufs Herz: weshalb sollte es jemals anders sein? Es wird eher so sein, dass sich die Religion - da sie sich in einem Zeitfluss bewegt - weiter entwickelt, weil sich der Mensch weiter entwickelt.

Mit der Entstehung des Sonnensystems beispielsweise beschäftigt sich heute die Astronomie und nicht mehr Moses.

Richtig. Das nennt man Arbeitsteilung. Moses ist ein Prophet aus einer ganz anderen Zeit und Kultur und kein Astronom der Moderne und die Schöpfungsmythen der Weltreligionen wollen keine wissenschaftliche Theorie sein. Mythisch-poetische Kosmogonie hat eine andere Funktion als wissenschaftliche Kosmologie.

Schöpfung“ ist ein spiritueller/theologischer und kein wissenschaftlicher Begriff, weshalb es da auch keinen Konflikt gibt, außer man verwechselt beides. Wissenschaft und Religion sind Nonoverlapping Magisteria (NOMA).


Nonoverlapping Magisteria (NOMA) (deutsch etwa: „sich nicht überschneidende Lehrgebiete“) bezeichnet die Auffassung, dass Religion und Wissenschaft nicht miteinander in Konflikt kämen, weil die Gebiete ihrer professionellen Expertise sich nicht überschnitten.

Geprägt wurde der Ausdruck vom Evolutionsbiologen Stephen Jay Gould in einem 1997 veröffentlichten, gleichnamigen Aufsatz.[1] Der zugrundeliegende Gedanke wurde jedoch schon wesentlich früher geäußert, so 1925 von Alfred North Whitehead in seinem Artikel Religion and Science für The Atlantic.[2]

Wissenschaft umfasse das empirische Universum und beantworte die Fragen, woraus es gemacht ist (Fakten) und warum es so funktioniert (Theorie); Religion sei dagegen auf Fragen moralischer Bedeutung und Werte gerichtet. Sowohl unter Religionsanhängern wie auch unter den westlichen Wissenschaftlern sei diese Auffassung vom Verhältnis von Wissenschaft und Religion am weitesten verbreitet. Der Kreationismus sei dagegen eine Randerscheinung und beruhe auf einem Missverständnis der Bibel als einem unfehlbaren Dokument, das „buchstäblich bis auf jedes Jota und jedes i-Tüpfelchen wahr ist“, wie es lediglich in fundamentalistischen Teilen des amerikanischen Protestantismus vorherrschend sei. Diese streng wörtliche Interpretation sei weder im Katholizismus noch im Judentum und auch nicht in den meisten protestantischen Strömungen gängig, da in diesen Religionen keine verbreitete Tradition bestehe, die Bibel als buchstäbliche Wahrheit anzusehen. Vielmehr werde die Bibel als erhellende Literatur verstanden, die zum Teil auf Metaphern und Allegorien basiert und für ein angemessenes Verständnis interpretationsbedürftig sei.

Obwohl sich Stephen Jay Gould selbst als einen „jüdischen Agnostiker“[3] verstand, ging es ihm bei seinem NOMA-Konzept nicht um eine diplomatische Haltung (oder wie ihm später von Dawkins vorgeworfen wurde: „Appeasement“) gegenüber der Religion, sondern um eine „prinzipielle Position auf intellektueller und moralischer Grundlage“, die von einem respektvollen oder sogar „liebenden Konkordat“ ausging.
https://de.wikipedia.org/wiki/Nonoverlapping_Magisteria

Diese Auffassung ist für die meisten Religionsanhänger und Wissenschaftler selbstverständlich. Nur einzelne Extremisten – religiöse oder atheistische Extremisten, welche die jeweils Andersdenkenden bekriegen wollen – akzeptieren das nicht. Da diese aber medial besonders offensiv auftreten, kriegen sie - obwohl eine Minderheit und gar nicht repräsentativ - manchmal eine größere Aufmerksamkeit. Die Gefahr besteht aber, dass sie Mehrheiten der Gesellschaft in ideologische Lager spalten, die dann gar nicht mehr in einen wirklichen Dialog treten. Umso wichtiger ist eine medien- und ideologiekritische Haltung jedes mündigen Bürgers.

Die Denkweise „entweder“ Wissenschaft „oder“ Religion halte ich jedenfalls für realitätsfremd, weil es komplementäre Wissensgebiete sind.


Beispielsweise Hans Küng will mit seiner Theologie „die Spaltung der Welt in eine objektive Realität und eine subjektive Seite vermeiden. denn wer könnte schon behaupten, dass die objektive Seite wirklicher wäre als die subjektive? (A68; vgl. A 47f „Die Fraglichkeit der Wirklichkeit“). Das Verhältnis von Naturwissenschaft und Theologie soll keine Konfrontation, sondern vielmehr komplementär
sein.

http://www.ev-akademiker.de/fileadmin/u ... ss1911.pdf


„Der Schöpfungsglaube verlangt keineswegs, sich für dieses oder jenes der wechselnden physikalischen Weltmodelle zu entscheiden. Er benennt die Voraussetzung aller Weltmodelle und der Welt überhaupt und ist mit verschiedenen Weltmodellen vereinbar. An einen Schöpfer der Welt glauben heißt nur, in aufgeklärtem Vertrauen bejahen, dass Welt und Mensch nicht im letzten Woher unerklärlich bleiben. Dass Welt und Mensch nicht sinnlos aus dem Nichts ins Nichts geworfen sind. Dass sie trotz allem Sinnlosen und Wertlosen als Ganzes sinnvoll und wertvoll sind, nicht Chaos, sondern Kosmos: weil sie in Gott, ihrem Urgrund, Urheber, Schöpfer, ihre erste und letzte Geborgenheit haben. Wie erfreulich, dass mich nichts zu diesem Glauben zwingt.

Ich kann mich für ihn in aller Freiheit entscheiden! Der Glaube an einen schöpferischen Grund der Gründe verändert meine Stellung in der Welt, meine Einstellung zur Welt. Er verankert mein Grundvertrauen und konkretisiert mein Gott Vertrauen. Freilich verlangt er nach praktischen Konsequenzen: meine Verantwortung für Mitmenschen und Umwelt wahrnehmen und meine weltlichen Aufgaben mit tieferem Ernst, mehr Hoffnung und größerem Realismus angehen.“


~ Hans Küng

Das scheint mir ein ganz wichtiger Punkt zu sein: der Glaube gibt uns nicht nur ein Prinzip Hoffnung, sondern er kann auch unsren Realismus sensibilisieren und vergrößern. Das Märchen, dass Glaube zum Realitätsverlust führt, erzählen nur manche Atheisten. Zwar ist manch ein Glaube ein blinder Glaube oder Aberglaube, aber das kann man nicht verallgemeinern.
Wir können durch die wissenschaftliche „Linse“, die künstlerische, die philosophische, die politische, die poetische, die spirituelle Linse die selbe Welt betrachten und jede Linse zeigt uns dann einen anderen Aspekt, der uns sonst verborgen bleibt. Glücklich der, der mit den Linsen und dem Perspektivenwechsel zu spielen versteht. Das steigert die Lebensqualität enorm. Nur eine Linsensuppe sollte daraus nicht werden. :lol:

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#38 Re: Die Religion der Zukunft

Beitrag von Novas » Fr 19. Feb 2016, 17:22

Savonlinna hat geschrieben:der Mensch ist unauslotbar und darf auf nichts festgelegt werden

Das sehe ich auch so. Gerade von der Religion erwarte ich eine Verteidigung und Bejahung der unzerstörbaren und unauslotbaren Würde des Menschen und eine mutige Reconquista der Seele, wo es in der Welt ungerecht und seelenlos zugeht. Der Mensch hat seine Würde, nicht nur einen bestimmten Wert, weil er ein geistiges und schöpferisches Wesen, ja ein Kind Gottes und nicht nur eine Ware auf dem Warenmarkt ist. „Gnade uns Gott, wenn wir anfangen, Würde und Wert zu vertauschen. Franz Kamphaus

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#39 Re: Die Religion der Zukunft

Beitrag von Pluto » Fr 19. Feb 2016, 17:32

Novalis hat geschrieben:Also in meinem Leben spielt wesentlich mehr eine Rolle, als nur Fortpflanzung und Nahrungsaufnahme. :shock:
Ja. Aber du bist ein besonderes Wesen, besser gesagt ein Mensch mit Hirn.

Novalis hat geschrieben:Faktisch nicht, denn Wissenschaft und Religion haben schon immer miteinander existiert. Hand aufs Herz: weshalb sollte es jemals anders sein? Es wird eher so sein, dass sich die Religion - da sie sich in einem Zeitfluss bewegt - weiter entwickelt, weil sich der Mensch weiter entwickelt.
Religion wird es immer geben.
Der Mensch neigt zum Spiritismus und so wird er immer seine Vorstellungen und Träume ausleben wollen

Novalis hat geschrieben:Wissenschaft umfasse das empirische Universum und beantworte die Fragen, woraus es gemacht ist (Fakten) und warum es so funktioniert (Theorie); Religion sei dagegen auf Fragen moralischer Bedeutung und Werte gerichtet.
Ich denke gerade was die Moral angeht, haben Religionen ausgedient. Schau dir nur welche Gräuel in der Vergangenheit im Namen der Religion verübt wurden. Selbst heute noch verurteilen die meisten Religionen alle Andersdenkenden.

Ich denke da an die Homosexualitäts Debatte die in manchen Regionen, selbst in Europa noch nicht beendet ist, an die Gräueltaten der IS im Mittleren Osten, oder an die religiös motivierten terroristischen Attentate.
Nein. Moral ist längst nicht mehr die Instanz für Moral auf der Welt.

Novalis hat geschrieben:Obwohl sich Stephen Jay Gould selbst als einen „jüdischen Agnostiker“[3] verstand, ging es ihm bei seinem NOMA-Konzept nicht um eine diplomatische Haltung (oder wie ihm später von Dawkins vorgeworfen wurde: „Appeasement“) gegenüber der Religion, sondern um eine „prinzipielle Position auf intellektueller und moralischer Grundlage“, die von einem respektvollen oder sogar „liebenden Konkordat“ ausging.
Stephen Gould war ein großartiger Paläontologe und Biologe, aber in Fragen von Religion und Moral lag er nun mal grundfalsch.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Hemul
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#40 Re: Die Religion der Zukunft

Beitrag von Hemul » Fr 19. Feb 2016, 20:46

Pluto hat geschrieben: Reilgion ist längst nicht mehr die Instanz für Moral auf der Welt.
Und woher kommt das? Hat hier Anita Evolution etwa gepennt? :Smiley popcorn:
Spaß beiseite. Schau was bezgl. der Moral Deine akademischen Kumpel nachfolgend von sich geben:
https://de.wikipedia.org/wiki/Moral
Moral als Aspekt der menschlichen Natur
Als soziales Wesen erfährt der Mensch von Geburt an im Normalfall Liebe, die Bereitschaft zum Verzicht und zur Fürsorge. Ohne diese Eigenschaften wäre ein dauerhaftes Zusammenleben in Gemeinschaften nicht möglich. Sie haben sich im Laufe der Evolution entwickelt und die Veranlagung dazu liegt demnach in den Genen. Der Biologe Hans Mohr drückt es folgendermaßen aus: „Wir brauchen moralisches Verhalten nicht zu lernen – es ist eine angeborene Disposition,
Moralische Grundwerte oder das Gewissen haben sich evolutionär entwickelt? :shock: Wer das glaubt zahlt nen Taler wer es nicht glaubt zahlt zwo. :lol: In der Evolution nach Darwin wo sich nur der oder das Stärkere durchsetzt und das Schwache auf der Strecke bleibt und aussortiert wird sind doch moralische Werte oder das Gewissen hinderlich. Stimmt es oder habe ich wieder einmal recht? :wave:
PS: Bevor Du erneut von Dir vermuteten Kappes schreibst informiere Dich lieber vorher z.B. auch darüber:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gewissen
:chapeau:
denn die Waffen, mit denen wir kämpfen, sind nicht fleischlicher Art, sondern starke Gotteswaffen zur Zerstörung von Bollwerken: wir zerstören mit ihnen klug ausgedachte Anschläge (2.Korinther 10:4)

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