Was ist eine zeitgemäße Leitkultur?

Philosophisches zum Nachdenken
closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#71 Re: Was ist eine zeitgemäße Leitkultur?

Beitrag von closs » Fr 16. Dez 2016, 14:31

Pluto hat geschrieben:Verstehe ich nicht. Erkläre mal, wie das gehen soll!
"Wie", weiß ich nicht. - "Was", schon eher.

Der Mensch erlebt in einer Situation, einer Musik, einem Text, einem Menschen etwas, was ihn persönlich gewiß sein lässt, dass dies nicht allein von einem rein naturalistischen Wesen kommen kann.

Pluto hat geschrieben: sonder warte geduldig darauf, dass du mir eklärst wie du etwas beobachtest.
Die Frage ist falsch. - Geistiges erkennt man nicht durch "wie", sondern durch "was".

Pluto hat geschrieben:Könnte das nicht Illusion sein?
Erkläre, was "Illusion" überhaupt ist. - Ist für Dich alles "Illusion", was nicht intersubjektiv nachweisbar ist?

Pluto hat geschrieben:Empirie hat aber nichts mit Erfahrung zu tun. Es gilt eher das Gegenteil
"Empirie [ɛmpiˈʀiː][1] (von griechisch εμπειρία empeiría ‚Erfahrung, Erfahrungswissen‘)" (wik) - so habe ich es gemeint. - Schon wieder ein Polysem?

Pluto hat geschrieben:Ich erkenne da nur den Versuch eine höhere moralische Ebene zu erklimmen.
"Moralisch" hat hier nichts zu suchen. - Wenn jemand weiter sieht als der andere, steht er deshalb nicht "moralisch" höher.

Pluto hat geschrieben:Intersubjektivität ist das Maß der Beobachtung, schlechthin.
Methodologisch stimmt das. - Es ist eine rein anthropozentrische Größe mit der Fragestellung: "Was von dem, was der Fall ist, kann man wie am besten intersubjektiv darstellen". - Das ist eine löbliche Sache, klärt aber ontologisch nichts.

Pluto hat geschrieben:Nein, es ist absolut und systemübergreifend, um es in deinen Worten zu sagen.
Es ist überall ansetzbar - man guckt halt, wie weit man damit kommt. - Absolut ist es ganz sicher nicht.

Pluto hat geschrieben:Welche nachweislichen Ergebnisse, sprich Erkenntnisse, gibt es außerhalb der KR?
Die Gleichsetzung von "nachweislich" und "Erkenntnis" ist eine falsche Weichenstellung. - Der KR ist eine Technik zur Vermeidung eines infiniten Regresses - nicht viel mehr als das. Trotz KR funzt die Welt nicht anders als zuvor.

Pluto hat geschrieben:Teleologie im Sinn einer göttlichen Zielsetzung oder Fügung ist tot.
Das ist eine reine Wahrnehmungs-Aussage auf weltanschaulicher/ideologischer Basis. - Mir erinnert dieser Satz an einen Brief an das Finanzamt, in dem ein Bürger schreibt:

"Sehr geehrtes Finanzamt,
nach reiflicher Überlegung habe ich beschlossen, aus der Steuer auszutreten."
:lol:

Pluto hat geschrieben:"Egal was es ist", ist Beliebigkeit und Willkür. Wolltest du das wirklich sagen?
Nein - genau das Gegenteil sogar wollte ich sagen. - "Egal, was ist" heisst: Unabhängig davon, was wir belieben zu wissen zu glauben und meinen zu müssen. - "Das, was ist", auch wenn wir es nicht kennen.

Pluto
Administrator
Beiträge: 43975
Registriert: Mo 15. Apr 2013, 23:56
Wohnort: Deutschland

#72 Re: Was ist eine zeitgemäße Leitkultur?

Beitrag von Pluto » Fr 16. Dez 2016, 16:59

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben: sonder warte geduldig darauf, dass du mir eklärst wie du etwas beobachtest.
Die Frage ist falsch. - Geistiges erkennt man nicht durch "wie", sondern durch "was".
Warum?
Wenn ich das "wie" kenne, erklärt sich das "was" von alleine.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Könnte das nicht Illusion sein?
Erkläre, was "Illusion" überhaupt ist. - Ist für Dich alles "Illusion", was nicht intersubjektiv nachweisbar ist?
Das muss nicht sein. Es kann Wunschdenken oder Traum sein, oder einfach sonst wie erfunden sein, aber wenn die Empirie fehlt, kann es nicht auch real sein.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Empirie hat aber nichts mit Erfahrung zu tun. Es gilt eher das Gegenteil
"Empirie [ɛmpiˈʀiː][1] (von griechisch εμπειρία empeiría ‚Erfahrung, Erfahrungswissen‘)" (wik) - so habe ich es gemeint. - Schon wieder ein Polysem?
Wenn du es so betrachtest, ist jeder Begriff ein Polysem. Es bringt uns aber nicht weiter bei jedem Wort was du persönlich anders verstehst, ein "Foul" zu pfeifen. Du bist nicht der Schiri, sondern ein Mitspieler. Dadurch wird jeder Versuch im Spiel die Regeln zu ändern von der gegnerischen Mannschaft als Manipulation gewertet.

Es ist wichtig einen Konsens in der Sprache zu finden. Was du da aus Wiki ausgegraben hast ist die Etymologie (der Ursprung) des Worts, NICHT aber seine Bedeutung. Die Bedeutung geht aus dem restlichen Txt klar hervor: "Empirie ist eine methodisch-systematische Sammlung von Daten". Der Weg zur Empirie ist die Beobachtung der Welt.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Ich erkenne da nur den Versuch eine höhere moralische Ebene zu erklimmen.
"Moralisch" hat hier nichts zu suchen. Wenn jemand weiter sieht als der andere, steht er deshalb nicht "moralisch" höher.
Zugegeben. Aber du siehst nicht weiter, sondern willst nur anderen die Fähigkeit absprechen, es so zu sehen wie du es siehst.
Im Gegenteil, ohne den Nebel und den Fesseln deiner Spiritualität würdest du weiter sehen... So wie es in der Hymne der Atheisten heißt:
  • I can see clearly now, the rain has gone...
closs hat geschrieben:Es ist eine rein anthropozentrische Größe...
Mag sein, dass es aus deiner Sicht so aussieht.

closs hat geschrieben:Das ist eine löbliche Sache, klärt aber ontologisch nichts.
Was erklärt denn die Ontologie überhaupt? Für Erklärungen ist die Epistemologie zuständig.

closs hat geschrieben:Es ist überall ansetzbar - man guckt halt, wie weit man damit kommt. - Absolut ist es ganz sicher nicht.
Was ist den eigentliche der Unterschied?
Wenn etwas überall ansetzbar ist, ist es universell? — Jetzt klarer?

closs hat geschrieben:Der KR ist eine Technik zur Vermeidung eines infiniten Regresses - nicht viel mehr als das. Trotz KR funzt die Welt nicht anders als zuvor.
Da würde ich dagegen halten, und sagen, dass wir unsere ganze Zivilisation der Methodik der Falsifikation verdanken. Von der Erfindung des Pfluges bis zum Smartphone — ALLES.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Teleologie im Sinn einer göttlichen Zielsetzung oder Fügung ist tot.
Das ist eine reine Wahrnehmungs-Aussage auf weltanschaulicher/ideologischer Basis.
Wie auch immer du es sehen magst, Teleologie hat in der seriösen Wissenschaft nichts zu suchen.

closs hat geschrieben: "Das, was ist", ist auch wenn wir es nicht kennen.
Das mag ja stimmen. Aber wenn du das etwas nur behauptest, und nicht erklären kannst, kann es keine Auswirkung auf uns haben. Dann ist es irrelevant.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#73 Re: Was ist eine zeitgemäße Leitkultur?

Beitrag von closs » Fr 16. Dez 2016, 18:20

Pluto hat geschrieben:Wenn ich das "wie" kenne, erklärt sich das "was" von alleine.
Nicht unbedingt. - Wenn man das Wie neuronaler Abläufe kennt, weiss man noch lange nicht, was Geist ist.

Pluto hat geschrieben:wenn die Empirie fehlt, kann es nicht auch real sein.
Diesem Gedanken liegt der Aberglaube zugrunde, dass alles, was der Fall ist, methodisch-empirisch nachweisbar/nachgewiesen sein muss.

Pluto hat geschrieben:Es bringt uns aber nicht weiter bei jedem Wort was du persönlich anders verstehst, ein "Foul" zu pfeifen.
Ich deute nur drauf. - Mir geht es darum zu zeigen, dass ursprüngliche und heutige Bedeutung eines Wortes weit auseinanderklaffen können. - Und so wird auch noch in 100 Jahren ein Mensch sagen: "Ich habe die Erfahrung gemacht/habe erkannt, dass ..."

Pluto hat geschrieben:Die Bedeutung geht aus dem restlichen Txt klar hervor: "Empirie ist eine methodisch-systematische Sammlung von Daten".
Schon klar - das ist die wissenschaftliche Verwendung des Wortes - eine interne Sprache.

Pluto hat geschrieben:Aber du siehst nicht weiter, sondern willst nur anderen die Fähigkeit absprechen, es so zu sehen wie du es siehst.
Im Gegenteil: Es ist geradezu beglückend, wenn man ab und zu einen Menschen aus Deutschland, Mexiko, China, Russland oder Eritrea findet, der "es" hat.

Pluto hat geschrieben:Was erklärt denn die Ontologie überhaupt?
Sie legt die Grundlage für Wissenschaft, Epistemologie, etc.

Pluto hat geschrieben:Wenn etwas überall ansetzbar ist, ist es universell? — Jetzt klarer?
Wenn es klappt. - Man kann auch das Spirituelle universell ansetzen und muss dann gucken, ob es klappt. - Das sagt wenig aus.

Pluto hat geschrieben:Teleologie hat in der seriösen Wissenschaft nichts zu suchen.
Dort WILL sie auch nichts zu suchen haben, weil Natur-Wissenschaft keine Fragen über das Naturalistische hinaus stellt - das ist ihr methodisch nicht möglich. Und sie will es ja hoffentlich auch nicht.

Pluto hat geschrieben:Aber wenn du das etwas nur behauptest, und nicht erklären kannst, kann es keine Auswirkung auf uns haben.
Das ist ganz sicher falsch. - Was wirkt, tut es ohne meine Mithilfe und ganz unabhängig davon, ob der Mensch es überhaupt identifizieren kann. - Das wäre jetzt wieder mal hyper-anthropozentrisch, was Du da sagst.

Novas
Beiträge: 7986
Registriert: Mi 20. Jun 2018, 21:23

#74 Re: Was ist eine zeitgemäße Leitkultur?

Beitrag von Novas » Sa 17. Dez 2016, 11:00

closs hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben:Naturwissenschaft generiert Wissen. Religion generiert Weisheit. Beides kann (und sollte m.E.) miteinander kombiniert werden. Wilber selbst ist ursprünglich ein Biochemiker gewesen, der sich mit der Evolution des Geistes beschäftigte und dabei merkte, dass ihn das materialistische „Flachlanddenken“, wie er es nennt, nicht befriedigte. Das erklärt, weshalb er mit einer ungewöhnlichen präzisen Sprache über Spiritualität spricht. Er schaut eher mit den Augen eines Wissenschaftlers darauf, aber er verbindet wissenschaftliches Denken mit spirituellen Einsichten
So sollte es sein. - Ich habe bis heute nicht begriffen, wie man auf die Idee kommen kann, Wissenschaft mit "Geist"/"Gott" in Front zu bringen. - Das hat Wissenschaft nicht verdient.

Weil diese Spaltung typisch ist für das westliche Denken. „Idealismus“ und „Materialismus“ scheinen sehr gegensätzliche Sichtweisen zu sein, die sich gegenseitig ausschließen. So gesehen wundert mich Plutos Weltanschauung nicht, weil er typisch westlich konditioniert (oder „vermemt“ :) ) wurde, ihm ist dahingehend kein Vorwurf zu machen. Ken Wilbers integraler Denkansatz ist ein Versuch diese Spaltung zu überwinden. Viel ist schon gewonnen, wenn man erkennt, dass beide Sichtweisen ihre innere Logik und ihre Berechtigung haben. Pluto kann auf einer materialistischen Basis sehr gut wissenschaftlich arbeiten und auf die Annahme verzichten, dass GEIST den Anstoß zum Urknall gegeben hat. Oder „alles Bewusstsein ist“, wie es im vedānta gesagt wird. Ob Bewusstsein eine fundamentale Kraft im Kosmos ist oder nicht, spielt für den ganz pragmatisch arbeitenden Wissenschaftler erst mal keine Rolle. Das spielt für mich als Mensch, meine Weltsicht, meine Lebensweise, meine Werte, mein Daseinsgefühl, meine Moral usw. aber eine beträchtliche Rolle.

Sachlich gesehen stehen uns verschiedene Welt- und Seinserklärungsmodelle zur Verfügung, die sich in diesen 4 Bereichen/Quadranten bewegen, die uns unterschiedliche Perspektiven von und auf die Wirklichkeit geben:

Bild

In einer enormen Differenzierungsleistung hat er (Ken Wilber) in einer »integralen« Synthese Zusammenhänge entdeckt, die so und in dieser Zusammenschau bisher noch von niemandem beschrieben wurden. Wozu soll das gut sein, könnte man fragen? »Es macht einfach mehr Spaß, an einem Spiel teilzunehmen, dessen Regeln man kennt«, könnte die Antwort lauten. Und das gilt für alle Spiele, unabhängig davon, ob das Spiel nun »american football«, »zwischen menschliche Beziehung«, »Spiritualität«, »Weltwirtschaftssystem «, »Politik«, »Konflikt«, »Sinn des Lebens «, »Ökologie« oder anders heißt. So gesehen ist Wilbers Arbeit ein Projekt der Freude, der Freude am Dasein und an der bewussten Beteiligung am »Spiel des Lebens«. Dabei geht es, um ein verbreitetes Missverständnis im Zusammenhang mit der Arbeit Wilbers anzusprechen, nicht darum, »alles« zu wissen. Wie sollte das gehen? Ich weiß ja noch nicht einmal genau, was hinter meinem Rücken oder in meinem Bewusstsein vor sich geht, geschweige denn, was überall in der Welt oder sogar im Universum geschieht. Erkenne ich jedoch mehr und mehr die Grundstrukturen, Muster und »Spiel«regeln, nach denen die Phänomene (und Ereignisse) meines (und des) Lebens ablaufen, dann vertieft sich mein Verständnis darüber, und es erweitern sich meine gestalterischen Freiheiten und, damit verbunden, auch meine Bewusstheit und Verantwortung. Dies ist das Ziel aller Wissenschaft und Erkenntnis. Es nimmt dem Leben nichts von seiner Vielfalt, Buntheit, Freiheit und seinem Mysterium, doch es erhellt den Bereich, den wir verstehen können, und verhilft uns dazu, unser Leben und unsere Welt schöner, verantwortlicher, solidarischer und auch nachhaltiger zu gestalten.
http://integralesleben.org/if-home/il-i ... nfuehrung/

Ich weiß nicht, was Michael Schmidt-Salomon und seine Giordano Bruno Stiftung dazu sagen würde, aber ich könnte mir sogar vorstellen, dass er damit einverstanden ist. Was ich jedoch nicht nachvollziehen kann, ist die einseitige Propaganda gegen Religion, die mich an die Einseitigkeit des Marxismus-Leninismus erinnert. Sie stehen da eben in einer Linie mit Karl Marx's berühmter These, dass Religion nur das Opium des Volkes sei. In dem Gespräch, welches ich mit ihm führte, hat er das auch so zitiert ;) Ich denke, dass jeder Mensch das Recht hat die Welt aus einer religiösen Perspektive zu betrachten. Wenn er als Atheist darauf verzichtet, ist es seine Entscheidung. Glaube ist kein Zwang, sondern eine freiwillige Entscheidung, ein zusätzlicher „Spielraum“, eine zusätzliche Dimension des Sinns, die sich einem Menschen eröffnet. Das wollte Blaise Pascal mit seiner Wette wohl auch verdeutlichen.

Genau so wenig, wie Atheisten verdammt und angefeindet werden wollen von gläubigen Menschen, möchte ich ebenfalls nicht angefeindet oder umerzogen werden. Kein Zwang soll sein im Glauben, egal in welche Richtung. Eine typische Irrationalität der Brights: sie verweisen immer wieder auf die Evolution, aber vergessen dabei ganz, dass Religion selbst ein Resultat der menschlichen Evolution ist. Das menschliche Gehirn ist so konzipiert, dass es religiöses Erleben ermöglicht. Wie kann man den Menschen vorwerfen, dass die Evolution ein solches Gehirn hervor gebracht hat? Sollen die Menschen etwa ihre Religiosität unterdrücken, weil es der atheistischen Weltanschauung nicht in den Kram passt? Soll ich mich verstellen? Das kann und werde ich nicht tun. Die integrale Philosophie unterscheidet grundsätzlich 3 Wege zur Erkenntnis. Wenn wir die Wirklichkeit umfassend erkennen wollen, dann macht es Sinn, darauf zurück zu greifen:

1. Empirische Erkenntnisse werden mit wissenschaftlichen Methoden und Instrumenten gewonnen.
2. Rationale Erkenntnisse werden durch logische Schlussfolgerung gewonnen
3. Mystische Erkenntnisse werden durch Meditationstechniken (dazu zähle ich auch das christliche Gebet) gewonnen.

Aufgrund dieser unterschiedlichen Perspektiven gibt es auch unterschiedliche Menschenbilder:

Bild

Wenn ich über Spiritualität spreche, dann bewege ich mich im oberen linken Bereich: der Mensch ist ein bewusstes und empfindendes Wesen. Darüber können Menschen miteinander sprechen und es teilen. Der untere linke Bereich: der Mensch ist ein soziales Wesen. Wenn ich spirituelle Erfahrung in Worte fasse, dann muss ich nicht die objektive Sprache eines Wissenschaftlers gebrauchen, denn das ist ein ganz anderer Bereich. Das ist schon mal das, was in diesen Gesprächen hier häufig nicht beachtet wird: es gibt diese verschiedenen Bereiche, sie haben alle ihre Berechtigung und ein Bereich kann nicht auf einen anderen reduziert werden. Solange das nicht beachtet wird, reden wir aneinander vorbei. Ein Mystiker gebraucht eine andere Sprache, als ein Naturwissenschaftler. Das ist nicht besser oder schlechter, das ist einfach anders, weil sie sich auf verschiedene Bereiche im Spektrum des menschlichen Bewusstseins beziehen. Rumi gebrauchte häufig eine poetische Sprache, um seine mystische Erfahrung in Worte zu fassen, weil das die passende Sprache für links oben ist :thumbup: Wenn dann Pluto von rechts oben nach links oben rüber schaut und aufschreit: „Pure Anmaßung! Lauter Behauptungen! Sinnloses Gewäsch! Keinerlei Beweiskraft! Irrelevante Hirngespinste!“, dann ist das ein klarer Fall von Ebenenverwechlsung.

Dieser Beitrag ist ein herrliches Beispiel dafür:

Pluto hat geschrieben:Das muss nicht sein. Es kann Wunschdenken oder Traum sein, oder einfach sonst wie erfunden sein, aber wenn die Empirie fehlt, kann es nicht auch real sein.Im Gegenteil, ohne den Nebel und den Fesseln deiner Spiritualität würdest du weiter sehen... So wie es in der Hymne der Atheisten heißt:
  • I can see clearly now, the rain has gone...[...]Da würde ich dagegen halten, und sagen, dass wir unsere ganze Zivilisation der Methodik der Falsifikation verdanken. Von der Erfindung des Pfluges bis zum Smartphone — ALLES.
    [...]Wie auch immer du es sehen magst, Teleologie hat in der seriösen Wissenschaft nichts zu suchen. Das mag ja stimmen. Aber wenn du das etwas nur behauptest, und nicht erklären kannst, kann es keine Auswirkung auf uns haben. Dann ist es irrelevant.

Hier gebraucht er das Stichwort „Empirie“. Wie oben aufgeführt ist das einer der 3 Wege zur Erkenntnis, aber keineswegs der einzige Weg. Auch verdanken wir sehr viel der Methodik der Falsifikation, von der Erfindung des Pfluges bis zum Smartphone, aber auch nicht alles. Das ist eben der Versuch alle anderen Bereich auf den bevorzugten Bereich zu reduzieren. Pluto denkt eben hauptsächlich rechtslastig und argumentiert typisch reduktionistisch. Das ändert jedoch nichts daran, dass die anderen Bereiche existieren und alle gleichermaßen wichtig sind. Zu einer umfassenden (holistischen) Auffassung von der Wirklichkeit kommen wir, wenn wir alle Bereiche beachten. Wilber spricht von „AQAL“ (all quadrants, all levels): „alle Quadranten, alle Entwicklungsebenen, alle Entwicklungslinien, alle Zustände, alle Typen“. Er unterscheidet fünf verschiedene Wirklichkeitskategorien des Wissens und des Seins, die seiner Meinung nach das Mindeste sind, was wir benötigen, um Wirklichkeit verstehen zu können.

Novas
Beiträge: 7986
Registriert: Mi 20. Jun 2018, 21:23

#75 Re: Was ist eine zeitgemäße Leitkultur?

Beitrag von Novas » Sa 17. Dez 2016, 12:58

Beginnen wir mit den Quadranten (Abb. 1). Aus der einfachen Unterscheidung von innerlich/ äußerlich und individuell/kollektiv ergeben sich vier »Quadranten«, die laut Wilber von Anfang an eine Grundstruktur von Manifestation darstellen: Wo ein Innen ist, da ist auch ein Außen (und umgekehrt), und wo etwas Individuelles ist, da gibt es auch etwas Kollektiv-Gemeinschaftliches (und umgekehrt). Diese Quadranten sind sowohl die Grundperspektiven, mit denen Menschen und alle Lebewesen Welt wahrnehmen, und sie sind gleichzeitig vier Grundperspektiven, mit denen auf »alles« geschaut wird.
Auf einen Menschen angewendet, ergeben sich daraus vier Menschenbilder (Abb. 2). Welches ist richtig? Im Kontext der Integralen Theorie sind alle richtig, wenn auch nur teilweise, und es geht darum, sie miteinander zu verbinden. Folgerichtig lassen sich danach auch – nach Wilber – alle Erkenntnisweisen der Menschheit zuordnen und als gleichberechtigt betrachten, als unterschiedliche Erkenntniswege zu einer Wirklichkeit. Damit werden Absolutismen wie Subjektivismus (»mein Bewusstsein bestimmt die Welt«), Objektivismus und Atomismus (»nur Materie ist wirklich real«), extremer Konstruktivismus (»alles Wissen ist relativ, weil kulturell konstruiert «) und Systemismus (»alles ist System «) vermieden (Abb. 3).


http://integralesleben.org/if-home/il-i ... nfuehrung/


Viele Menschen arbeiten (oder besser noch: spielen :) ) mit diesem Modell, weil es schlicht eine Bereicherung ist. Das menschliche Bewusstsein bewegt und entwickelt sich und nicht nur einseitig, sondern in all diesen Bereichen. Damit gehen auch unterschiedliche „Intelligenzen“ oder „Kompetenzen“ einher. Beispielsweise könnte man von einer spirituellen Intelligenz sprechen. Dazu verfasste er ein Buch: Integrale Spiritualität: Spirituelle Intelligenz rettet die Welt (Ken Wilber)

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#76 Re: Was ist eine zeitgemäße Leitkultur?

Beitrag von closs » Sa 17. Dez 2016, 13:31

Novalis hat geschrieben:Sachlich gesehen stehen uns verschiedene Welt- und Seinserklärungsmodelle zur Verfügung
Vielen Dank für Deine Ausführungen - sie sind sehr interessant und zudem anspruchsvoll. :thumbup:

Novalis hat geschrieben:Ich weiß nicht, was Michael Schmidt-Salomon und seine Giordano Bruno Stiftung dazu sagen würde, aber ich könnte mir sogar vorstellen, dass er damit einverstanden ist. Was ich jedoch nicht nachvollziehen kann, ist die einseitige Propaganda gegen Religion, die mich an die Einseitigkeit des Marxismus-Leninismus erinnert.
Strukturell würde man zustimmen, gesellschaftlich würde man es respektieren, weltanschaulich würde man es ablehnen.

Harald Martenstein hat im letzten ZEIT-Magazin wieder mal eine Glosse geschrieben, die unsere Thread-Thema "Leitkultur" knallhart kommentieren. - Er sieht ein gewachsenes einseitiges gesellschaftliches Wertesystem, das momentan am Kippen ist (wie Dein zitiertes marxistisch-leninistisches Wertesystem vor 25 Jahren ins Kippen kam). -

Martenstein sagt, dass wir momentan nichts weniger erleben als einen gesellschaftlichen Umbruch wie in den 1968er Jahren - nur umgekehrt. Er begründet es (sinngemeäß) damit, dass "das Volk" nicht mehr mitmacht mit sich selber als objektiv bezeichnenden Systemen, die zu Ergebnissen kommen, die dem eigenen Erkennen routinemäßig diametral entgegenstehen. - Diese Loslösung äußert sich in Geschehnissen wie Putin, Brexit, Trump, AfD, etc.

Oder um es in Bezug auf Deine Darstellung zu sagen:
Es gibt eine Rebellion im Volk, die sich gegen die Reduktion des Menschen auf die beiden rechten Quadranten Deiner Darstellung wendet. - Insofern ist übrigens der Begriff "postfaktisches Zeitalter" schon wieder eine Manipulation (die im übrigen nicht greifen wird): Denn diejenigen, die "Postfaktisches" unterstellen, meinen damit "Rückschritt" - diejenigen, an die dieser Begriff adressiert ist, meinen damit Befreiung, also "Fortschritt".

Novas
Beiträge: 7986
Registriert: Mi 20. Jun 2018, 21:23

#77 Re: Was ist eine zeitgemäße Leitkultur?

Beitrag von Novas » Sa 17. Dez 2016, 14:14

closs hat geschrieben:Es gibt eine Rebellion im Volk, die sich gegen die Reduktion des Menschen auf die beiden rechten Quadranten Deiner Darstellung wendet

ja... In Indien gibt es eine schöne Grußformel. Sie lautet „Namaste – das Göttliche in mir ehrt und grüßt das Göttliche in Dir“ (mit dem bekannten Handzeichen, welches Du sicher schon mal gesehen hast). Da würde Pluto vermutlich sagen: „Welche Beweise gibt es dafür, dass da etwas Göttliches in mir oder in Dir ist?“ :lol: - es ist eben eine Wahrnehmung aus dem linken Bereich, auf meine Selbsterkenntnis als bewusstes Wesen zurück zu führen. Eine Bewusstheit die ich in mir und einem anderen Wesen erkenne und wertschätze. „Zwei“ und doch „eins“, weil es das selbe, allem zugrunde liegende Sein ist, welches sich seiner selbst bewusst wird.

gandhi.jpg

Im Grunde kann man sagen: empirische Daten können nur empirisch gewonnen oder widerlegt werden. Rationale Erkenntnisse können nur logisch bestätigt oder widerlegt werden und mystische Erkenntnisse können nur mystisch bestätigt oder widerlegt werden. Mit „mystischem Erkennen“ ist gemeint, dass die Welt der Formen und Manifestationen lediglich eine Seite der Medaille ist, deren andere Seite dieses Sein ist, welches sich seiner selbst bewusst werden kann, also ein BEWUSSTSEIN. Da Ken Wilber nicht nur Philosoph, sondern auch ein spirituell Praktizierender ist, kennt er dieses Erkennen, was er auf diese sehr poetische Weise in Worte fasste:

„Göttlichkeit hat ein letztes Geheimnis, welches sie jedem ins Ohr flüstert, wenn der Geist ruhiger wird als Nebel bei Sonnenuntergang: Der Gott dieser Welt wird innen gefunden, und du weißt, dass er innen gefunden wird – in jenen lautlosen stillen Augenblicken, wenn der Geist sich beruhigt, der Körper sich in der Unendlichkeit entspannt und die Sinne sich ausdehnen, um eins mit der Welt zu werden – in jenen schimmernden Augenblicken treten ein subtiles Leuchten, ein heiterer Glanz, eine brillant transparente Klarheit hervor, als die wahre Natur aller Manifestation, immer und immer wieder herausbrechend, in einem mitfühlenden Glanz, vor dem sich alle Vorbilder zurückziehen, eine Liebe, die so unbändig ist, dass sie sowohl Licht als auch Dunkel, Gut als auch Böse, Vergnügen und Schmerz gleichermaßen in Bewunderung umarmt.“

Wenn ich das in einem christlichen Wortschatz ausdrücke, dann würde ich das den „Heiligen Geist“ nennen. Das ist nichts, was man objektivieren kann, denn es ist der „Geist“ der sich selbst erkennt (oder nicht erkennt) durch uns. Das kann intersubjektiv geteilt, aber nicht objektiviert werden. „Seid still und erkennt, dass ich Gott bin!“ heißt ein Psalm. Formuliert in der dualistischen Sprache: „Ich“ und „Gott“, der mich anspricht. Aus der Sicht des Mystikers ist es eher so: „Sei still und wisse, du bist Gott.“ das ist kein Größenwahn, sondern einfach ein demütiges, tief inneres Erkennen der allumfassenden Einheit des Seins. Was kann darüber auf der rechten Seite ausgesagt werden? Ein Neurobiologe könnte eben das Gehirn betrachten und schauen, welche Hirnprozesse mit diesem Geisteszustand verbunden sind. Er kann allerdings nicht sagen ob dieses Erkennen nun wahrheitsgemäß ist oder nicht.

Martenstein sagt, dass wir momentan nichts weniger erleben als einen gesellschaftlichen Umbruch wie in den 1968er Jahren - nur umgekehrt. Er begründet es (sinngemeäß) damit, dass "das Volk" nicht mehr mitmacht mit sich selber als objektiv bezeichnenden Systemen, die zu Ergebnissen kommen, die dem eigenen Erkennen routinemäßig diametral entgegenstehen

Menschen wollen nicht nur eine Zahl in einer Statistik sein, nicht nur ein Rädchen in einem Getriebe, in dem alles schon bürokratisch verplant wurde, richtig. Theodor W. Adorno sprach von der verwalteten Welt, die ein tiefes Unbehagen im Menschen auslösen kann. Neu ist jedoch, dass so viele Menschen zeitgleich und weltweit dieses Unbehagen miteinander teilen.


closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#78 Re: Was ist eine zeitgemäße Leitkultur?

Beitrag von closs » Sa 17. Dez 2016, 16:28

Novalis hat geschrieben:Theodor W. Adorno sprach von der verwalteten Welt, die ein tiefes Unbehagen im Menschen auslösen kann.
Adorno überrascht einen immer wieder.

Novalis hat geschrieben:Neu ist jedoch, dass so viele Menschen zeitgleich und weltweit dieses Unbehagen miteinander teilen.
Über die Chaos-Theorie ist das sicherlich leicht erklärbar. - Wie auch immer: Aus meiner Sicht könnte das Jahr 2016 bei späteren Historikern als Zeitenwende eingehen. - Nach dem verspäteten Ende des 19. Jh. im Jahr 1914 und das verspätete Ende des 20. Jh. mit dem Jahr 2016.

Novas
Beiträge: 7986
Registriert: Mi 20. Jun 2018, 21:23

#79 Re: Was ist eine zeitgemäße Leitkultur?

Beitrag von Novas » Sa 17. Dez 2016, 18:55

Pluto hat geschrieben:
closs hat geschrieben: "Das, was ist", ist auch wenn wir es nicht kennen.
Das mag ja stimmen. Aber wenn du das etwas nur behauptest, und nicht erklären kannst, kann es keine Auswirkung auf uns haben. Dann ist es irrelevant.

So wie rationale Erkenntnisse nur nach einer vorherigen mathematischen und logischen Schulung gewonnen werden können, können auch mystische Erfahrungen nur durch eine meditative Ausbildung gewonnen werden. Jedenfalls in den meisten Fällen. Manchmal widerfahren sie einem Menschen auch einfach, obwohl er vielleicht nie spirituell war. Das spontane Damaskuserlebnis von Paulus scheint unter diese Kategorie zu fallen. Doch normaler Weise geht ein Mensch bewusst einen spirituellen Weg. Wesentlich ist aber: mystische Erfahrungen können nicht empirisch oder rational gewonnen oder widerlegt werden. Eine solche Erfahrung muss aber auch gar nicht bewiesen oder widerlegt werden, sie ist einfach und spricht für sich selbst. Du kannst jedoch eine bestimmte Methodik anwenden („Meditation“, „Gebet“, „Kontemplation“), die dann zu bestimmten Erfahrungen führt (das wissen wir, weil es immer wieder geschehen ist ;) ), und im Zuge dessen kannst Du für Dich selbst überprüfen ob eine Aussage wahr ist und Sinn macht oder nicht.
Die christlichen Mystiker sprechen von der „unio mystica“, der Einheit der menschlichen Seele mit Gott, während im Zen-Buddhismus von „Satori“ gesprochen wird. Das ist eine Einheitserfahrung, in welcher die gewöhnliche Wahrnehmung (dualistisch) sich auflöst, der Unterschied von Subjekt und Objekt für einen Moment verschwindet und nur der absolute und ewige „GEIST“ bleibt, der als das erfahren wird, was schon immer zeitlos war, ist und sein wird. Die meisten Buddhisten verwenden dafür nicht das Wort „Gott“, aber im Grunde sprechen sie davon, ohne ein Gottesbild daraus zu machen. Wenn ein Mensch vergeblich versucht diese Erfahrung zu beschreiben, dann kann das so klingen:

Alle Wesen und alle Erleuchteten sind an sich nichts als der Eine Geist, und alles andere ist nichts. Dieser Geist ist ohne Anfang, ungeboren und unzerstörbar, ohne Form, ohne Erscheinung. Er gehört nicht zu den Dingen, die existieren oder nicht existieren. Er ist weder lang noch kurz, weder groß noch klein, denn er ist jenseits aller Beschränkungen, aller Maßeinheiten, Namen, Spuren und Vergleiche. Es ist das, was immer gegenwärtig ist – aber sobald du Begriffe davon bildest, bist du sofort im Irrtum. Dieser Geist ist unermesslich und unergründlich wie die grenzenlose Leere.

Huang Po, der Geist des Zen (um 850)

Das bringt Dir natürlich nicht viel, wenn Du es aus eigener Erfahrung nicht kennst. Das ist so, als würde ich jemandem erklären, wie es ist, eine Frau zu lieben, obwohl er sein ganzes Leben lang im Zölibat lebte und noch nicht mal eine Frau nackt sah oder ihre Wange küsste. Steigern wir es noch, um zu übertreiben: noch nicht mal seine eigene Schwester sah er nackt. Da Du selbst in deinem Leben Frauen geliebt hast, kannst Du dir sicher vorstellen, wie unmöglich das ist. Wie soll ich jemanden erklären, wie es ist im Meer zu schwimmen und das Rauschen der Wellen zu hören, wenn jemand sein ganzes Leben lang in der Wüste lebte? Wie die Süße von Honig begreiflich machen, wenn jemand nie davon probierte? Das ist nicht möglich.

Bild
http://zendojohamburg.de/was-ist-zen

Wenn Du dir anschaust, wie diese Erfahrungen jedoch beschrieben werden, dann gibt es ein wiederkehrendes Schema. Beispielsweise ist der „brennende Dornbusch“, durch den Mose angeblich Gott erfahren haben soll, eine typische Beschreibung. Aus irgendwelchen Gründen fing der Dornbusch seine Aufmerksamkeit ein, irgendetwas berührte ihn, dann kam die Einheitserfahrung. Das mag sehr seltsam klingen, aber ich habe schon mal jemanden gehört, der behauptet hat, der Anblick eines Stuhles hätte solch eine Erfahrung ausgelöst. Vermutlich spielt es gar keine Rolle, was Du siehst: der Geist ist offen und die Erfahrung geschieht... :)

Pluto
Administrator
Beiträge: 43975
Registriert: Mo 15. Apr 2013, 23:56
Wohnort: Deutschland

#80 Re: Was ist eine zeitgemäße Leitkultur?

Beitrag von Pluto » Sa 17. Dez 2016, 19:34

Novalis hat geschrieben:So wie rationale Erkenntnisse nur nach einer vorherigen mathematischen und logischen Schulung gewonnen werden können, können auch mystische Erfahrungen nur durch eine meditative Ausbildung gewonnen werden.
Unsinn!
Auch das lässt sich nicht zeigen, sonern ist nur das Ergebnis menschlicher Phantasien.

Novalis hat geschrieben:Jedenfalls in den meisten Fällen.
Dann bring doch mal drei Bespiele, wo es so ist!

Novalis hat geschrieben:Manchmal widerfahren sie einem Menschen auch einfach, obwohl er vielleicht nie spirituell war. Das spontane Damaskuserlebnis von Paulus scheint unter diese Kategorie zu fallen.
Eben... es scheint so, aber ist es auch so?

Novalis hat geschrieben:Das ist eine Einheitserfahrung,
Von wem denn?
Gedanken gehören der Privatsphäre jedes Menschen an. Natürlich kann ein anderer kommen, und sagen, das sehe ich auch so, doch wie genau die Beiden es sehen, gehört nur ihnen ganz allein. Deshalb nennt man solche mystischen Vorstellungen, "Illusionen".

Novalis hat geschrieben:
Alle Wesen und alle Erleuchteten sind an sich nichts als der Eine Geist, und alles andere ist nichts. Dieser Geist ist ohne Anfang, ungeboren und unzerstörbar, ohne Form, ohne Erscheinung. Er gehört nicht zu den Dingen, die existieren oder nicht existieren. Er ist weder lang noch kurz, weder groß noch klein, denn er ist jenseits aller Beschränkungen, aller Maßeinheiten, Namen, Spuren und Vergleiche. Es ist das, was immer gegenwärtig ist – aber sobald du Begriffe davon bildest, bist du sofort im Irrtum. Dieser Geist ist unermesslich und unergründlich wie die grenzenlose Leere.

Huang Po, der Geist des Zen (um 850)
Schöne Worte, aber dass es mehr als lauwarme ist, kannst auch du nicht zeigen.

Novalis hat geschrieben:Das bringt Dir natürlich nicht viel, wenn Du es aus eigener Erfahrung nicht kennst.
Lieber Novalis,
ich will dir doch deine inneren Erfahrungen nicht streitig machen, oder gar, sie als Unfug bezeichnen, aber sie bleiben rein privater Natur, für dich und dein Gehirn allein.

Eine Analogie:

Der rätselhafte Gott
Was ist Gott eigentlich? Existiert ER wirklich oder ist auch ER nur Teil unserer Psyche, wie Feuerbach meinte, ein Konstrukt unseres Geistes also? Wie soll ich Dir erklären wie ich das meine…?

Was ist Rot? Kannst Du mir erklären wie Rot aussieht? Ja, Du kannst sagen, es ist Licht mit einer gewissen Energie (nicht Wellenlänge, obwohl wenn es sich durch die Luft bewegt, ist es fast dasselbe). Doch das sagt nur WAS UNS ROT erscheint, nicht was ROT IST. Du kannst sagen eine Rose oder eine Ampel ist rot, aber das sagt nur dass Rot... naja, wie rote Dinge, aussieht. Doch woher weiß ich, dass das was Du und ich als rot bezeichnen für Beide gleich aussieht? Könnte es auch sein, dass Dir rote Dinge eigentlich grün erscheinen? Wie könnten wir das feststellen? In dem wir die Augen, die Sehnerven oder gar die Gehirne tauschen? Doch würde letzteres nicht bedeuten, alles zu tauschen weil unser Gehirn unser ICH beinhaltet?

Oder nicht...?
Wenn Du mir nicht erklären kannst was rot ist, ist es dann mit Gott nicht ähnlich? Wie willst du mir erklären was das überhaupt ist?
Eine Vision, eine Illusion...? Ist es denn mehr?

Das ist so, als würde ich jemandem erklären wollen, wie es ist, eine Frau zu lieben, obwohl er sein ganzes Leben lang im Zölibat lebte und noch nicht mal eine Frau nackt sah oder ihre Lippen küsste. Steigern wir es noch, um zu übertreiben: noch nicht mal seine eigene Schwester sah er nackt. Da Du selbst in deinem Leben Frauen geliebt hast, kannst Du dir sicher vorstellen, wie unmöglich das ist.

Wie soll ich jemanden erklären, wie es ist im Meer zu schwimmen und das Rauschen der Wellen zu hören, wenn jemand sein ganzes Leben lang in der Wüste lebte? Wie die Süße von Honig begreiflich machen, wenn jemand nie davon probierte? Das ist unmöglich.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Antworten