Die Entmystifizierung des Satans

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Kingdom
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#61 Re: Die Entmystifizierung des Satans

Beitrag von Kingdom » Do 8. Mär 2018, 20:24

SilverBullet hat geschrieben: „Was hier abgeht“ ist schnell durchschaut:
Während „Gläubige“ extrem schwach auf der Brust sind, wenn es um „Gott“ geht (Stichwort: „was soll Gott sein?“), sind sie umso stärker motiviert, wenn es darum geht „das Böse“ zu verfolgen, zu bestrafen, zu vernichten – am besten mit lustigen Ideen à la „Feuer reinigt“.
=> Motto: „Reich Gottes ist nicht von dieser Welt (unerreichbar, unvorstellbar, unverstehbar), das Reich des Bösen müssen wir aber unbedingt hier und jetzt eindämmen“ :-)

Silver Bullet wenn das Wort Gottes selbst sagt das diese Welt das Reich Gottes nicht und nie erkennen kann. Welche Irdischen Worte wären dann sinnvoll um Dir Gott in Worte zu fassen? Wenn selbst Gott sagt man soll sich kein Bildnis machen, wie sollte man dann Dir versuchen ein Bild vor Augen zu führen, das Du eh nicht verstehen oder fassen könntest?

Gott möchte sich Dir zeigen und erklären und er wartet auf den Moment wo Du bereit bist, bis dahin musst Du dich mit den Gleichnissen Jesu Christi begnügen. Jesus hat mal gesagt:

Joh 12:45 Und wer mich sieht, der sieht den, der mich gesandt hat.

Setze Dich also mit diesem Leben mal genauer auseinander und höre was er sagte, wie man zum Vater kommt, damit er Dir die Augen auftun kann.

Eine Frage aber die sich mir stellt, wo wirst Du verfolgt, bestraft und vernichtet von mir, wenn ich Dir sage: Der Teufel ist existent und Jesus ist gekommen die Menschheit von Ihm zu erlösen?

Lg Kingdom

closs
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#62 Re: Die Entmystifizierung des Satans

Beitrag von closs » Do 8. Mär 2018, 23:05

Agent Scullie hat geschrieben:Die Annahme, dass das, was wir beobachten können, tatsächlich existiert (und nicht etwa eine Einbildung ist), ist eine naheliegende Annahme.
Naheliegend, aber nicht falsifizierbar.

Agent Scullie hat geschrieben:Diese wird sogar vom Christentum überhaupt nicht in Frage gestellt
Richtig - das ist doch gerade die Leistung von Descartes, dass er sinngemäß sagt (in heutigen Worten): "Ich kann es zwar nicht falsifizieren, aber ich GLAUBE es, weil ich nicht glaube, dass Gott uns verarschen will".

Agent Scullie hat geschrieben:Naturalisten/Materialisten und Christen sind sich also einig, dass das, was wir beobachten, tatsächlich existiert.
Aber aus unterschiedlichen Gründen: Die einen sagen "Glaubensentscheid", die anderen sagen: "Warum? Das ist doch so".

Agent Scullie hat geschrieben:. Das Christentum besagt nun aber, dass es neben dem, was wir bebachten können, also der materiellen Welt, noch etwas anderes gibt, nämlich eine übernatürliche, göttliche Welt.
Streng genommen umgekehrt: Wir glauben an die geistige Welt, und dass aus ihr materiell "echt" und nicht nur unsere Vorstellung ist.

Agent Scullie hat geschrieben: Die Existenz so einer Welt anzunehmen, ist jedoch weitaus weniger naheliegend als die Annahme der Existenz der beobachtbaren, materiellen Welt.
Das ist eine Glaubensaussage - andere sehen es als weit naheliegender an, dass die geistige Welt zuerst ist.

Agent Scullie hat geschrieben:Deswegen ist das Maß an Notwendigkeit, die Existenz der materiellen Welt erst einmal setzen zu müssen, sehr viel geringer als das Maß an Notwendigkeit, die Existenz einer göttlichen, übernatürlichen Welt erst einmal als Prämisse setzen zu müssen.
Aber nur auf Basis Deiner vorher getätigten Glaubens-Aussage, dass die materielle Welt der Ursprung ist - egal ob Du diesen "Glaubensentscheid" bewusst oder unbewusst triffst ("Warum? Das ist doch so").

Agent Scullie hat geschrieben:Strenggenommen wissen wir weder, ob Gott existiert, noch ob die Materie existiert
Alleweil - genau so.

Agent Scullie hat geschrieben:jedoch ist die Existenz der Materie sehr viel gesicherter als die Existenz Gottes, schließlich können wir die Materie tagtäglich sehen, Gott dagegen nicht.
Nee - das trägt nicht. - Descartes würde - wieder sinngemäß - dazu sagen: "Ich würde doch gar nicht merken, wenn meine tagtägliche Erfahrung ausschließlich Vorstellung wäre. - Egal - da ich eh GLAUBE, dass Materie 'echt' ist, spielt das praktisch keine Rolle - aber WISSEN tue ich es nicht. - Ich GLAUBE es, weil mir nichts anderes übrgi bleibt".

Agent Scullie hat geschrieben:Laut Descartes ist klar, dass wir existieren, wenn wir denken. Man könnte einwenden, dass auch das gar nicht klar ist.
Da müsste aber ein super Argument kommen. - SEIN Argument ist: "Selbst wenn ich an dem zweifle, was zweifelt - also das Ich selbst - , ist dieses ICh existent, weil sonste der Zweifel gar nicht da wäre. - Aber er IST da".
Agent Scullie hat geschrieben:dass wir tatsächlich denken und uns nicht nur einbilden wir würden denken, ist eine naheliegende Ansicht, ebenso die, dass die von uns beobachtete materielle Welt existiert, auch wenn das Zutreffen dieser Ansicht nicht ununmstößlich klar ist.
"Naheliegend" war es auch für Descartes. - Aber er wollte radikal-skeptizistisch wissen, ob er es auch WISSEN kann - ob es also "falsifizierbar" ist (wenn man den heutigen Wortschatz anwendet). - Und da kam er zum Ergebnis: "Nein - geht nicht. - Ich muss es glauben".

Agent Scullie hat geschrieben:Dass Gott existiert, ist dagegen weitaus weniger naheliegend.
Das kommt auf die Hermeneutik/die Vorannahmen an. - Der eine nimmt an, dass "die Welt, wie wir sie wahrnehmen", setzungsfreie "Entität" ist, also setzungsfrei "echt" ist - und verbindet damit die Aussage "Geist ist aus Materie". - Der andere nimmt an, dass nur das Ich setzungsfrei ist (in Form der Res cogitans - also als geistige Größe, die Ableitung eines universalen Geistes ist, den man "Gott" nennt - und verbindet damit die Aussage "Materie ist aus Geist".

Mit anderen Worten: Beides sind Glaubensaussagen. - Was INNERHALB dieser Glaubensmodelle stattfindet, funktioniert natürlich - aber das ist kein Argument für die eine oder die andere Setzung - man kann sich nicht wie Münchhausen an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen.

Agent Scullie
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#63 Re: Die Entmystifizierung des Satans

Beitrag von Agent Scullie » Sa 10. Mär 2018, 13:13

closs hat geschrieben:
Agent Scullie hat geschrieben:Die Annahme, dass das, was wir beobachten können, tatsächlich existiert (und nicht etwa eine Einbildung ist), ist eine naheliegende Annahme.
Naheliegend, aber nicht falsifizierbar.
Das stört nicht.

closs hat geschrieben:
Agent Scullie hat geschrieben:Naturalisten/Materialisten und Christen sind sich also einig, dass das, was wir beobachten, tatsächlich existiert.
Aber aus unterschiedlichen Gründen: Die einen sagen "Glaubensentscheid", die anderen sagen: "Warum? Das ist doch so".
Das bezweifle ich. Die Existenz der Materie für wahr zu halten, betrachten die Christen nicht als Glaubensentscheid, ebensowenig wie die Materialisten. Als Glaubensentscheid betrachten sie, an Gott zu glauben. Nachdem dieser Glaubensentscheid getroffen wurde, glaubt ein Christ zwar, dass die materielle Welt von Gott geschaffen wurde, aber der Glaube an Gott ist für den Christen nicht Voraussetzung dafür, die materielle Welt als existent anzusehen. Unterhaltungen zwischen Christen und materialistisch denkenden Atheisten sehen häufig so aus, dass der Christ dem Atheisten vorwirft, in dessen Weltbild gäbe es zwar die Materie, aber nichts was dem Leben von materiellen Lebewesen Sinn geben würde. Es kommt dagegen äußerst selten vor, dass der Christ dem Atheisten vorwirft, dass es in dessen Weltbild gar keine Materie geben würde, weil der Glaube an Gott Voraussetzung dafür sei, Materie für real halten zu können.

closs hat geschrieben:
Agent Scullie hat geschrieben:. Das Christentum besagt nun aber, dass es neben dem, was wir bebachten können, also der materiellen Welt, noch etwas anderes gibt, nämlich eine übernatürliche, göttliche Welt.
Streng genommen umgekehrt: Wir glauben an die geistige Welt, und dass aus ihr materiell "echt" und nicht nur unsere Vorstellung ist.
Der Christ glaubt, dass ein Element der geistigen Welt, nämlich Gott, die materielle Welt erschaffen hat. Das ändert aber gar nichts daran, dass der Christ die materiellen Welt für ebenso real hält wie der Materialist. Ganz anders als ein Verfechter des Idealismus, auf den wir gleich zu sprechen kommen: für den ist die materiellen Welt nur Einbildung des (menschlichen) Geistes, sie existiert nicht real.

closs hat geschrieben:
Agent Scullie hat geschrieben: Die Existenz so einer Welt anzunehmen, ist jedoch weitaus weniger naheliegend als die Annahme der Existenz der beobachtbaren, materiellen Welt.
Das ist eine Glaubensaussage - andere sehen es als weit naheliegender an, dass die geistige Welt zuerst ist.
Offensichtlich redest du jetzt von den Anhängern des Idealismus. Die geistige Welt, von der der Idealismus spricht, ist aber etwas völlig anderes als das, was man im Christentum mit der geistigen Welt meint. Die geistige Welt des Idealismus ist die Welt des menschlichen Geistes (oder des Geistes von intelligenten Aliens), keine geistige Welt, in der ein Gott vorkommt. Der Idealist ist der Ansicht, dass nur sein Denken und das Denken anderer Menschen (oder allgemeiner: intelligenter Lebewesen) real ist, und die materielle Welt nur in seinem Denken existiert, nicht jedoch "da draußen" vorhanden ist.

Beide, Christen und Idealisten, mögen zwar der Formulierung zustimmen, die materielle Welt würde aus dem Geist heraus existieren, jedoch meinen sie damit zwei völlig verschiedene Ansichten. Für den Christen existiert die materielle real, also auch außerhalb seines Denkens, sie wurde jedoch von einem Gott, der vom Christen einer geistigen Welt zugeordnet wird, erschaffen. Die Idealist dagegen negiert die Realität der materiellen Welt, er sagt, dass es "da draußen", d.h. außerhalb des menschlichen Denkens, nichts gibt, also keine Materie und auch keinen Gott. Im Grunde ist im Weltbild des Idealismus noch viel weniger Platz für Gott als im Weltbild des Materialismus: während der Materialismus anerkennt, dass es etwas "da draußen" gibt, nämlich eine materielle Welt, die theoretisch von einem ebenfalls "da draußen" existenten Schöpfer erschaffen worden sein könnte, gibt es dem Idealismus zufolge kein "da draußen" - Gott könnte also allenfalls im menschlichen Denken existieren, also gedacht sein, und so ein nur gedacht existierender Gott wäre kein Gott.

Der Idealismus ist also im Hinblick darauf, was er als existierend betrachtet, noch viel einschränkender als der Materialismus. Während der Materialismus die Existenz der materiellen bejaht, aber die Existenz einer ontologisch transzendenten Welt, in der ein Gott vorkommt, negiert, geht der Idealismus so weit, sogar die Existenz einer ontologisch immanenten materiellen Welt zu streichen. Er hält nur das menschliche Denken für real. Dabei bedient er sich zwar der Terminologie der "geistigen Welt", die auch im Christentum Verwendung findet, meint damit aber eben etwas völlig anderes. In diesem Sinne ist der Idealismus sogar noch viel anthropozentrischer als der Materialismus: während der Materialismus (wie du es ausdrückst) die menschliche Beobachtungsfähigkeit zum Maß dafür, was als existent betrachtet werden kann und was nicht, erhebt, geht der Idealismus gleich so weit, alles außer dem menschlichen Denken für inexistent zu erklären.

Es kommt nicht von ungefähr, dass die christliche Lösung für das Leib-Seele-Problem eine ganz andere ist als die des Idealismus: der Idealismus vertritt einen Monismus, er erkennt nur der Seele (dem Geist) Realität zu, dem Körper jedoch nicht, der Körper wird als lediglich von der Seele gedacht betrachtet, das Christentum dagegen vertritt einen Dualismus, es werden beide, Körper und Seele, als real existent angesehen, und zwar als unabhängig voneinander, so dass die Seele weiterbestehen kann, wenn der Körper gestorben ist. Theoretisch würde die christliche Sichtweise sogar zulassen, dass ein Körper ohne Seele existieren könnte.

Wie der Materialismus hält die christliche Lehre also den materiellen Körper für real existent, anders als der Idealismus. Die christliche Lehre betont lediglich, dass der Körper der Erschaffung durch Gott bedurfte, was der Materialismus negiert.

Kommen wir nun darauf zurück, welche Ansicht die naheliegendste ist. Man kann beide, Materialismus und Idealismus, als naheliegend ansehen. Man kann das sowohl so sehen, dass die materiellen Welt offensichtlich existiert, als auch so, dass nur der menschliche Geist offensichtlich existiert. Im einen wir im anderen Fall aber ist die Existenz Gottes weit weniger naheliegend. Wenn man sich für den idealistischen Standpunkt entscheidet, ist die Existenz Gottes sogar noch weniger naheliegend als im materialistischen Fall. "Geistige Welt" ist eben nicht gleich "Geistige Welt".

closs hat geschrieben:
Agent Scullie hat geschrieben:Deswegen ist das Maß an Notwendigkeit, die Existenz der materiellen Welt erst einmal setzen zu müssen, sehr viel geringer als das Maß an Notwendigkeit, die Existenz einer göttlichen, übernatürlichen Welt erst einmal als Prämisse setzen zu müssen.
Aber nur auf Basis Deiner vorher getätigten Glaubens-Aussage, dass die materielle Welt der Ursprung ist
Nein, denn die materialistische Lösung des Leib-Seele-Problems, dass nur der Körper existiert und der Seele keine eigenständige Existenz zukommt (genau anders herum als im Idealismus), der Körper bzw. das Gehirn also der Ursprung des menschlichen Geistes ist, ist nicht Teil der Prämisse, sondern Schlussfolgerung aus dieser. Die Argumentation geht so:

Offensichtlich existiert die materielle Welt (das ist die Prämisse). Weiterhin können wir feststellen, dass wir selbst einen Geist besitzen, und dass es Lebewesen gibt, die ebenfalls einen Geist zu besitzen scheinen, der aber weniger weit entwickelt ist als unserer (die Tiere). Und wir können feststellen, dass es materielle Objekte gibt, die gar keinen Geist zu besitzen scheinen. Wir könnten jetzt annehmen, dass darüberhinaus noch irgendeine übernatürliche Welt und einen Gott gibt, jedoch spricht keine unserer Beobachtungen für die Richtigkeit so einer Annahme. Also ist es naheliegend, dass es nur die materielle Welt gibt. Somit ist es naheliegend, dass unser Geist ein Produkt der Materie, z.B. unserer Gehirne ist.

Die Schlussfolgerung, dass es nicht naheliegend ist, die Existenz eines Gott anzunehmen, kommt also vor der Schlussfolgerung, dass das Leib-Seele-Problem am naheliegendsten dadurch zu lösen, dass nur dem Körper eigenständige Existenz zuzuschreiben, nicht danach.

Folgt man alternativ der Denkweise des Idealismus, ist es, wie wir gesehen haben, noch weniger naheliegend, die Existenz eines Gott anzunehmen. So oder so ist es also nicht besonders naheliegend, die Existenz Gottes anzunehmen.

closs hat geschrieben:
Agent Scullie hat geschrieben:jedoch ist die Existenz der Materie sehr viel gesicherter als die Existenz Gottes, schließlich können wir die Materie tagtäglich sehen, Gott dagegen nicht.
Nee - das trägt nicht. - Descartes würde - wieder sinngemäß - dazu sagen: "Ich würde doch gar nicht merken, wenn meine tagtägliche Erfahrung ausschließlich Vorstellung wäre.
Jetzt redest du wieder vom Idealismus. Der führt aber, wie wir gerade gesehen haben, noch viel weniger zur Existenz Gottes als der Materialismus. Der "Geist" des Idealismus ist eben etwas ganz anderes als der "Geist" des Christentums.

closs hat geschrieben:- Egal - da ich eh GLAUBE, dass Materie 'echt' ist, spielt das praktisch keine Rolle - aber WISSEN tue ich es nicht. - Ich GLAUBE es, weil mir nichts anderes übrgi bleibt".
Es bleibt etwas anderes übrig, nämlich der Standpunkt des Idealismus. Wie wir gesehen haben, kann man diesen als ebenso naheliegend betrachten wie den des Materialismus. Aber beide Standpunkte führen nicht dazu, dass es naheliegend wäre, die Existenz Gottes anzunehmen.
"Atheisten langweilen mich, weil sie immer nur von Gott reden"
(aus "Ansichten eines Clowns" von Heinrich Böll)

Agent Scullie
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#64 Re: Die Entmystifizierung des Satans

Beitrag von Agent Scullie » Sa 10. Mär 2018, 13:13

closs hat geschrieben:
Agent Scullie hat geschrieben:Laut Descartes ist klar, dass wir existieren, wenn wir denken. Man könnte einwenden, dass auch das gar nicht klar ist.
Da müsste aber ein super Argument kommen. - SEIN Argument ist: "Selbst wenn ich an dem zweifle, was zweifelt - also das Ich selbst - , ist dieses ICh existent, weil sonste der Zweifel gar nicht da wäre. - Aber er IST da".
Man könnte sagen, dass diese Argument sehr einleuchtend ist und es deswegen sehr naheliegend ist, es für richtig zu halten, also die Existenz des "ich selbst" zu bejahen. Mit letzter Sicherheit wissen tut man es aber trotzdem nicht.

closs hat geschrieben:
Agent Scullie hat geschrieben:dass wir tatsächlich denken und uns nicht nur einbilden wir würden denken, ist eine naheliegende Ansicht, ebenso die, dass die von uns beobachtete materielle Welt existiert, auch wenn das Zutreffen dieser Ansicht nicht ununmstößlich klar ist.
"Naheliegend" war es auch für Descartes. - Aber er wollte radikal-skeptizistisch wissen, ob er es auch WISSEN kann - ob es also "falsifizierbar" ist (wenn man den heutigen Wortschatz anwendet). - Und da kam er zum Ergebnis: "Nein - geht nicht. - Ich muss es glauben".
Hattest du nicht gerade noch das Gegenteil gemeint?

closs hat geschrieben:
Agent Scullie hat geschrieben:Dass Gott existiert, ist dagegen weitaus weniger naheliegend.
Das kommt auf die Hermeneutik/die Vorannahmen an. - Der eine nimmt an, dass "die Welt, wie wir sie wahrnehmen", setzungsfreie "Entität" ist, also setzungsfrei "echt" ist - und verbindet damit die Aussage "Geist ist aus Materie". - Der andere nimmt an, dass nur das Ich setzungsfrei ist (in Form der Res cogitans - also als geistige Größe, die Ableitung eines universalen Geistes ist, den man "Gott" nennt
Du machst hier wieder den Fehler, die christliche Sichtweise mit dem Idealismus zu verwechseln. Der Idealismus nimmt in der Tat an, dass nur das Ich setzungsfrei ist, sagt aber überhaupt nichts davon, dass dieses Ich eine "Ableitung eines universalen Geistes ist, den man 'Gott' nennt" sei. Die christliche Lehre sagt umgekehrt überhaupt nichts davon, dass nur das Ich setzungsfrei sei, sie äußert sich dazu, was setzungsfrei ist und was nicht, überhaupt nicht.

Christentum und Idealismus unterscheiden sich auch darin, dass das Christentum der materiellen Welt Realität zuerkennt (das ist völlig unabhängig davon, dass die materielle Welt durch Gott erschaffen sein soll), der Idealismus dagegen nicht. Entsprechend ist auch die jeweilige Lösung des Leib-Seele-Problems unterschiedlich: Dualismus (Leib und Seele existieren beide eigenständig) beim Christentum, Monismus (nur die Seele existiert) beim Idealismus.

Wie schon betont, versuchst du hier zwei ganz unterschiedliche Ansichten durcheinanderzumixen, die sich nur in ihrer Terminologie ("geistige Welt") ähneln.

closs hat geschrieben:und verbindet damit die Aussage "Materie ist aus Geist".
Wie schon gesagt, Christen und Idealisten können beide dieser Aussage zustimmen, meinen damit aber etwas ganz unterschiedliches.

closs hat geschrieben:Mit anderen Worten: Beides sind Glaubensaussagen.
Wie wir gesehen haben, sind Materialismus und Idealismus zwei Sichtweisen, die man beide als sehr naheliegend betrachten kann. Die Existenz Gottes anzunehmen, ist demgegenüber weit weniger naheliegend, egal ob man von der materialistischen oder der idealistischen Sichtweise ausgeht oder von keiner der beiden.
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(aus "Ansichten eines Clowns" von Heinrich Böll)

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#65 Re: Die Entmystifizierung des Satans

Beitrag von closs » Sa 10. Mär 2018, 15:00

Agent Scullie hat geschrieben: Die Existenz der Materie für wahr zu halten, betrachten die Christen nicht als Glaubensentscheid, ebensowenig wie die Materialisten.
Beim Materialisten aus programmatischen Gründen, bei Christen aus pragmatischen Gründen - und weil man kaum einem zumuten kann, Dinge so zu Ende zu denken, wie es Descartes getan hat.

Der cartesische Kritizismus hat nicht den Sinn, die Materie als Entität in Frage zu stellen, sondern erkenntnis-theoretisch nachzuweisen, dass wir es nicht wissen können und deshalb glauben müssen. - Diese Erkenntnis ist deshalb heute wichtig, weil Materialisten (in allen Ableitungen) zur Aussage neigen: "Ihr, Christen, müsst Gott setzen - wir aber haben keine Setzung".

Diese Aussage ist aus cartesischen Gründen falsch, was ungern gehört wird, weil es weiterhin Mode ist, "Wissenschaft" nur da anzusiedeln, wo es keine Setzungen gäbe - es gibt sie aber überall. - Insofern wird weltanschaulichen Kräften (man denke nur an Brights & Co) mit dieser cartesischen Erkennntis die Grundlage ihres Alleinstellungs-Anspruchs genommen ("Wir wissen - Ihr glaubt"/"Ihr habt Setzungen - wir nicht"). - Dementsprechend laut ist das Geheule.

Agent Scullie hat geschrieben:Es kommt dagegen äußerst selten vor, dass der Christ dem Atheisten vorwirft, dass es in dessen Weltbild gar keine Materie geben würde, weil der Glaube an Gott Voraussetzung dafür sei, Materie für real halten zu können.
Schon richtig - so weit denken nicht viele. - Aber der Durchschnitts-Christ glaubt sehr wohl, dass Materie/Schöpfung aus Geist/Gott ist - und nicht umgekehrt, wie es seit einigen Generationen geglaubt wird.

Agent Scullie hat geschrieben: Das ändert aber gar nichts daran, dass der Christ die materiellen Welt für ebenso real hält wie der Materialist.
Das tat Descartes genauso: "Ich weiß, dass ich es nicht wissen kann, aber ich glaube es".

Agent Scullie hat geschrieben:Der Idealist ist der Ansicht, dass nur sein Denken und das Denken anderer Menschen (oder allgemeiner: intelligenter Lebewesen) real ist, und die materielle Welt nur in seinem Denken existiert, nicht jedoch "da draußen" vorhanden ist.
Das wäre eher der Solipsist. - Nee - "Idealismus" haben wir anders gelernt - aber ich sehe gerade, dass wik Deiner Version recht nahe kommt - sehr erstaunlich. - Wie auch immer: So meine ich es nicht.

Agent Scullie hat geschrieben: In diesem Sinne ist der Idealismus sogar noch viel anthropozentrischer als der Materialismus
Wenn es so ist, wie Du es beschreibst, ist das richtig. - Aber das passt nicht mit der europäischen Geistesgeschichte überein - auch Kant (oft als Krone des Idealismus bezeichnet) sieht hinter dem menschlichen Denkvermögen immer noch das "Ding an sich" und übrigens auch "Gott". - Und er ist derjenige, der aus eigener Sicht die Vernunft zu ihrem Ende bringt, um Paltz für den Glauben zu haben.

Wie auch immer: Dir ist uneingeschränkt zuzustimmen, dass Idealismus in Deiner Definition und Christentum wenig miteinander zu tun haben.

Agent Scullie hat geschrieben:es werden beide, Körper und Seele, als real existent angesehen, und zwar als unabhängig voneinander, so dass die Seele weiterbestehen kann, wenn der Körper gestorben ist.
Zustimmung. - Der Körper ist Hülle des Geistes/der Existenz, die verschrottet wird, wenn sie nicht mehr gebraucht wird.

Agent Scullie hat geschrieben:während der Materialismus anerkennt, dass es etwas "da draußen" gibt, nämlich eine materielle Welt, die theoretisch von einem ebenfalls "da draußen" existenten Schöpfer erschaffen worden sein könnte
Das wäre mir neu: Ich verstehe "Materialismus" so, dass "alles Materie ist" (ich meine sogar, dass dies der programmatische Leitsatz des Materialismus ist, finde aber gerade nicht, von wem), also "Gott" falls es ihn gibt, Ableitung davon ist - was schon mal gar nicht geht.

Agent Scullie hat geschrieben:der Idealismus vertritt einen Monismus, er erkennt nur der Seele (dem Geist) Realität zu, dem Körper jedoch nicht, der Körper wird als lediglich von der Seele gedacht betrachtet, das Christentum dagegen vertritt einen Dualismus
In Deiner Denkweise verstehe ich es - aber ich kriege es nicht mir der europäischen Geistesgeschichte unter einen Hut. - Denn bspw. Goethe hat in seiner idealistischen Phase den Idealismus eher dargestellt als "spirituellen Überbau ohne Gott" - bzw. die Frage nach Gott offen gelassen. - Man lese mal "Ganymed" und "Prometheus" (muss man beides im Kontext lesen) und "Urworte. Orphisch" (alles sehr kurze Stücke). - Da ist die Rede von dem, was den Menschen als Fleisch und Blut bestimmt bzw. wo es herkommt. - Mit anderen Worten: Goethe würde nie auf die Idee kommen, seinem Fleisch und Blut "Realität" abzusprechen.

Agent Scullie hat geschrieben:Kommen wir nun darauf zurück, welche Ansicht die naheliegendste ist. Man kann beide, Materialismus und Idealismus, als naheliegend ansehen.
Eben - man kann sogar den materialistischen Ansatz ("Alles, was ist, ist Materie - alles, was ist, kommt aus dem Vakuum") für naheliegend finden. - Es ist allein eine Frage der Hermeneutik - also der "Vorannahmen", die der jeweilige Mensch auf Grund seiner kulturellen Formatierung hat.

Agent Scullie hat geschrieben:Die Argumentation geht so: "Offensichtlich existiert die materielle Welt (das ist die Prämisse)".
Damit eröffnest Du Deinen hermeneutischen Ansatz, der wie die anderen Ansätze auch nicht-falsifizierbar ist.

Agent Scullie hat geschrieben: "Also ist es naheliegend, dass es nur die materielle Welt gibt. Somit ist es naheliegend, dass unser Geist ein Produkt der Materie, z.B. unserer Gehirne ist".
Eine Schlussfolgerung aus Deiner Prämisse - Sven würde dies "Zirkelschluss" nennen, ich nenne es hermeneutisches Ergebnis, das in sich fehlerfrei erzielt wurde. - Das heißt: Es gibt nicht "DAS Naheliegende", sondern nur das Naheliegende im Sinne einer Prämisse. - Genau das ist mein Punkt, auf dem ich ständig rumreite.

Agent Scullie hat geschrieben:Die Schlussfolgerung, dass es nicht naheliegend ist, die Existenz eines Gott anzunehmen, kommt also vor der Schlussfolgerung, dass das Leib-Seele-Problem am naheliegendsten dadurch zu lösen, dass nur dem Körper eigenständige Existenz zuzuschreiben, nicht danach.
Das klingt komisch. - Das klingt nach Zirkel. - Um es konstruktiv zu sagen:

Was wirklich der Fall ist, richtet sich nach unseren intellektuellen Pirouetten. - Mit anderen Worten: Wenn es Gott gibt, ist es sehr wohl naheliegend, dass Materie eine Ableitung von Geist ist.

Agent Scullie hat geschrieben:Jetzt redest du wieder vom Idealismus.
Nein - es geht bei Descartes nicht um Idealismus, sondern um die Frage, ob der Mensch etwas setzungsfrei wissen kann - er selber denkt gar nicht daran, die Materie in Frage zu stellen. - Aber er will deutlich machen, dass er nur deshalb kein Problem damit hat, weil er GLAUBT.

closs
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#66 Re: Die Entmystifizierung des Satans

Beitrag von closs » Sa 10. Mär 2018, 15:01

Agent Scullie hat geschrieben: closs hat geschrieben:

Agent Scullie hat geschrieben:
dass wir tatsächlich denken und uns nicht nur einbilden wir würden denken, ist eine naheliegende Ansicht, ebenso die, dass die von uns beobachtete materielle Welt existiert, auch wenn das Zutreffen dieser Ansicht nicht ununmstößlich klar ist.

"Naheliegend" war es auch für Descartes. - Aber er wollte radikal-skeptizistisch wissen, ob er es auch WISSEN kann - ob es also "falsifizierbar" ist (wenn man den heutigen Wortschatz anwendet). - Und da kam er zum Ergebnis: "Nein - geht nicht. - Ich muss es glauben".

Hattest du nicht gerade noch das Gegenteil gemeint?
Eigentlich nicht - also nochmals:

1) Descartes fragt, was der Mensch setzungsfrei wissen kann - deshalb geht er radikal-skeptizistisch vor.

2) Descartes stellt fest, dass man nichts setzungsfrei wissen kann außer dem "Cogito, ergo sum" - dies entspricht dem, was Augustinus 1000 Jahre vorher schon gesagt hat mit " „Si enim fallor, sum" ("Selbst wenn ich mich täusche, bin ich").

3) Descartes weiß also, dass er Materie nicht sicher "wissen" kann, wiewohl er persönlich keinen Zweifel daran hat, dass Materie "echt" ist.

4) Descartes begründet seine Sicherheit damit, dass er von einem "wohlwollenden Gott" ausgeht - also einen Gott, der ihn und seine Sinne nicht verarschen will. - Und da er an Gott glaubt, glaubt er somit, dass MAterie "echt" ist.

Mit anderen Worten - und das ist unterm Strich die Quintessenz: Es gibt kein Wissen, das nicht auf Glauben aufsitzt (deshalb ist der Begriff der "Hermeneutik" auch so wichtig"). - Diese Quintessenz ist deshalb so wichtig, weil unsere heutige Zeit gelegentlich glaubt, Wissenschaft und Materialismus seien setzungsfrei - was sie dann (zu Unrecht) als "fortschrittlich" gegen (andere :angel: ) Glaubenssysteme stellen.

Agent Scullie hat geschrieben:Der Idealismus nimmt in der Tat an, dass nur das Ich setzungsfrei ist, sagt aber überhaupt nichts davon, dass dieses Ich eine "Ableitung eines universalen Geistes ist, den man 'Gott' nennt" sei. Die christliche Lehre sagt umgekehrt überhaupt nichts davon, dass nur das Ich setzungsfrei sei, sie äußert sich dazu, was setzungsfrei ist und was nicht, überhaupt nicht.
ICh weiß nicht, wie Du bei Descartes auf "Idealismus" kommst. - Descartes philosophiert als Christ. - Dass die christliche Lehre dazu nichts im NT sagt, heißt lediglich, dass es dort nicht thematisiert ist - aber Augustinus hat es thematisiert (s.o.) - es ist einfach naheliegend.

Agent Scullie hat geschrieben:Wie schon gesagt, Christen und Idealisten können beide dieser Aussage zustimmen, meinen damit aber etwas ganz unterschiedliches.
Darf ich Dich mal fragen, wo Dein Idealismus-Verständnis herkommt?

Agent Scullie hat geschrieben:Wie wir gesehen haben, sind Materialismus und Idealismus zwei Sichtweisen, die man beide als sehr naheliegend betrachten kann. Die Existenz Gottes anzunehmen, ist demgegenüber weit weniger naheliegend, egal ob man von der materialistischen oder der idealistischen Sichtweise ausgeht oder von keiner der beiden.
Wie auch immer: Es passt nicht in die Prämissen von Idealismus (in Deinem Verständnis) und Materialismus, auf diese Idee zu kommen. - Wer immer auf die Idee käme, die Existenz Gottes anzunehmen, wäre Religion - man würde also die eigene Identität als "Idealismus" und "Materialismus" aufgeben.

Letztlich sollte die Erkenntnis sein, dass Übereinstimmungen oder Nicht-Übereinstimmungen von Hermeneutiken kein Maß dafür sind, was nun WIRKLICH der Fall ist. - Mit anderen Worten: Wenn Idealismus und Materialismus KEINEN Gott annehmen, die Religion aber schon, steht es 2 : 1, sondern etwa einer hat unrecht oder zwei.

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Andreas
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#67 Re: Die Entmystifizierung des Satans

Beitrag von Andreas » Sa 10. Mär 2018, 16:09


Agent Scullie
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#68 Re: Die Entmystifizierung des Satans

Beitrag von Agent Scullie » Mo 19. Mär 2018, 18:28

closs hat geschrieben:
Agent Scullie hat geschrieben: Die Existenz der Materie für wahr zu halten, betrachten die Christen nicht als Glaubensentscheid, ebensowenig wie die Materialisten.
Beim Materialisten aus programmatischen Gründen, bei Christen aus pragmatischen Gründen
Wenn du mit programmatisch meinst, dass der Materialist die Existenz der Materie deswegen für wahr halten würde, weil sein Weltbild (also das "Programm") besagt, dass es nur die Materie gibt, so ist deine Aussage falsch. Ausgangspunkt des Materialismus ist die Beobachtung, dass es Materie gibt, und die darauf aufbauende Schlussfolgerung, dass die beobachtete Materie tatsächlich existiert. Das materialistische "Programm", wonach es ausschließlich materielle Dinge gibt, wird erst im weiteren Verlauf der Argumentation daraus abgeleitet, es ist an dieser Stelle nicht Prämisse. Somit sind die Gründe, aus denen der Materialist es für wahr hält, dass die beobachtete Materie tatsächlich existiert, die gleichen wie beim Christen, also "pragmatische" Gründe.

Man kann das so sehen, dass der Materialismus wie auch die christliche Sichtweise zwei Zweige des Empirismus sind, also der Lehre, dass das, was wir beobachten, existiert. Der Empirismus selbst lässt dabei offen, ob darüberhinaus noch etwas anderes existiert. Der materialistische Zweig geht in die Richtung, dass nichts darüberhinausgehendes existiert, der christliche Zweig dagegen in die Richtung, dass es darüberhinaus Gott und die unsterbliche Seele gibt.

closs hat geschrieben:Der cartesische Kritizismus hat nicht den Sinn, die Materie als Entität in Frage zu stellen, sondern erkenntnis-theoretisch nachzuweisen, dass wir es nicht wissen können und deshalb glauben müssen. - Diese Erkenntnis ist deshalb heute wichtig, weil Materialisten (in allen Ableitungen) zur Aussage neigen: "Ihr, Christen, müsst Gott setzen - wir aber haben keine Setzung".

Diese Aussage ist aus cartesischen Gründen falsch
Sie ist wie gesagt insofern richtig als dass es unterschiedliche Stufen der Notwendigkeit zur Setzung gibt. Dass die von uns alltäglich beobachtete Materie tatsächlich existiert, ist zwar eine Setzung, aber eine sehr naheliegende. Die Existenz Gottes zu setzen ist dagegen weit weniger naheliegend, und somit sehr viel willkürlicher, und damit ist der Notwendigkeitsgrad der Setzung viel höher.

Da muss ich an Roger Penrose denken, der bei physikalischen Theorien zwischen großartigen, nützlichen und vorläufigen Theorien unterscheidet. Allen Theorien ist gemeinsam, dass wir niemals mit letzter Gewissheit wissen können, ob sie stimmen, aber bei einer großartigen Theorie können wir sehr sicher sein, dass sie zumindest viele Phänomene korrekt beschreibt, und dass, falls sie eines Tages doch widerlegt werden sollte, eine Nachfolgetheorie in vielen Aspekten ähnliche Aussagen machen muss. Bei einer nützlichen Theorie ist das schon weit weniger gewiss, und bei vorläufigen Theorien noch viel weniger.

Ganz ähnlich ist es hier. Daraus, dass wir tagtäglich die Materie beobachten, abzuleiten, dass sie tatsächlich existiert, kann man mit Fug und Recht als großartige Theorie einstufen. Die Sichtweise des Idealismus, wonach nur unser Geist existiert und die Materie nur in unserer Vorstellung existiert, kann ebenfalls als großartige Theorie angesehen werden, halt als Konkurrenztheorie zur erstgenannten. Dass Gott existiert, geht dagegen bestenfalls als nützliche Theorie durch, fällt aber eher in die Kategorie der vorläufigen Theorien.

Oder wenn wir vom Empirismus als gemeinsamer Wurzel der materialistischen und christlichen Sichtweise ausgehen, so können wir sagen, dass der Materialismus lediglich die Prämisse des Empirismus setzt (dass die materielle Welt, die wir beobachten, existiert), die christliche Lehre darüberhinaus zusätzlich die Existenz Gottes, und somit mehr Setzungen enthält als die materialistische Weltsicht.

closs hat geschrieben:
Agent Scullie hat geschrieben:Es kommt dagegen äußerst selten vor, dass der Christ dem Atheisten vorwirft, dass es in dessen Weltbild gar keine Materie geben würde, weil der Glaube an Gott Voraussetzung dafür sei, Materie für real halten zu können.
Schon richtig - so weit denken nicht viele. - Aber der Durchschnitts-Christ glaubt sehr wohl, dass Materie/Schöpfung aus Geist/Gott ist - und nicht umgekehrt, wie es seit einigen Generationen geglaubt wird.
Wenn du mit umgekehrt meinst, dass die Ansicht des Materialisten, dass "Geist aus Materie" sei, eine Umkehrung der christlichen Ansicht sei, wonach "Materie aus Geist" sei, so liegst du hier komplett daneben. Du machst hier wieder den Fehler davon auszugehen, dass Geist gleich Geist sei, und das ist er eben nicht.

Wenn der Christ sagt, dass "Materie aus Geist" sei, dann meint er mit "Geist" den Geist Gottes, und mit "aus" meint er, dass dieser Geist die Materie erschaffen habe, die hierdurch zur tatsächlichen Existenz gelangt sei. Wenn hingegen der Materialist sagt, dass "Geist aus Materie" sei, dann meint er mit "Geist" etwas ganz anderes, nämlich den menschlichen Geist, nicht den Geist irgendeines Gottes. Und mit "aus" meint er keinen Schöpfungsvorgang, bei ein tatsächlicher, eigenständig existierender Geist ins Dasein gerufen wurde, sondern dass es einen (manschlichen) Geist als eingenständige Entität gar nicht gibt, sondern das menschliche Bewusstsein nur ein Resultat der Hiernaktivität sei und an diese gebunden sei.

Die Behauptung, die materialistische Sichtweise sei eine Art Umkehrung der christliche, ist daher unhaltbar.

Die idealistische Sichtweise kann dagegen schon eher als Umkehrung der materialistischen betrachtet werden: während der Mateialismus die eigenständige Existenz des menschlichen Geistes verneint und den menschlichen Geist als Nebenerscheinung der Materie ansieht, negiert der Idealismus die eigenständige Existenz der Materie und betrachtet diese als Nebenerscheinung des menschlichen Geistes (indem sie nur in dessen Vorstellungswelt existiert).
"Atheisten langweilen mich, weil sie immer nur von Gott reden"
(aus "Ansichten eines Clowns" von Heinrich Böll)

Agent Scullie
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#69 Re: Die Entmystifizierung des Satans

Beitrag von Agent Scullie » Mo 19. Mär 2018, 18:30

closs hat geschrieben:
Agent Scullie hat geschrieben:Der Idealist ist der Ansicht, dass nur sein Denken und das Denken anderer Menschen (oder allgemeiner: intelligenter Lebewesen) real ist, und die materielle Welt nur in seinem Denken existiert, nicht jedoch "da draußen" vorhanden ist.
Das wäre eher der Solipsist.
Der Solipsismus ist eine Extremform des Idealismus: es wird nicht mehr der menschliche Geist im allgemeinen als real existent betrachtet, sondern nur noch das eigene Ich. In gewissen Sinne würden zwei Solipsisten die gleiche Weltanschauung haben (beide verfechten des Solipsismus) und zugleich zwei sich völlig widersprechende Weltanschauungen vertreten (jeder der beiden hält nur sich selbst für real, und spricht dem anderen die Existenz ab) ;).

closs hat geschrieben:Nee - "Idealismus" haben wir anders gelernt - aber ich sehe gerade, dass wik Deiner Version recht nahe kommt - sehr erstaunlich. - Wie auch immer: So meine ich es nicht.

Agent Scullie hat geschrieben: In diesem Sinne ist der Idealismus sogar noch viel anthropozentrischer als der Materialismus
Wenn es so ist, wie Du es beschreibst, ist das richtig. - Aber das passt nicht mit der europäischen Geistesgeschichte überein - auch Kant (oft als Krone des Idealismus bezeichnet) sieht hinter dem menschlichen Denkvermögen immer noch das "Ding an sich" und übrigens auch "Gott".
Bei Kant gilt, dass er zwischen dem Ding an sich und der Welt der Erscheinungen unterscheidet. Die Welt der Erscheinungen existiert bei Kant nur im menschlichen Geist, was als idealistisches Konzept angesehen werden kann. Dem Ding an sich hingegen schreibt Kant eine eigenständige, vom menschlichen Geist unabhängige Existenz zu, was eher einem empiristischen Prinzip gleichkommt. So gesehen findet sich bei Kant eher eine Mischform aus idealistischen und empiristischen Elementen, statt eines reinen Idealismus.

Aber wie dem auch sei: man kann sowohl den Empirismus/Materialismus als auch den Idealismus als auch das Weltbild Kants als naheliegende Sichtweisen einstufen, als großartige Theorien im Sinne von Penrose, wohingegen die Existenz Gottes oder auch einer unsterblichen Seele weitaus weniger naheliegend ist, im Sinne von Penrose also nur eine nützliche oder vorläufige Theorie darstellt. Dass Kant persönlich der Meinung war, dass Gott existiert, ändert daran überhaupt nichts: Kants Weltbild bietet die Möglichkeit, die Existenz Gottes in dieses einzubauen, ebenso wie auch das empiristische, aber es ist eben keine naheliegende Annahme, diese Möglichkeit auch zu nutzen.

closs hat geschrieben:
Agent Scullie hat geschrieben:während der Materialismus anerkennt, dass es etwas "da draußen" gibt, nämlich eine materielle Welt, die theoretisch von einem ebenfalls "da draußen" existenten Schöpfer erschaffen worden sein könnte
Das wäre mir neu: Ich verstehe "Materialismus" so, dass "alles Materie ist" (ich meine sogar, dass dies der programmatische Leitsatz des Materialismus ist, finde aber gerade nicht, von wem), also "Gott" falls es ihn gibt, Ableitung davon ist - was schon mal gar nicht geht.
Der Materialismus ist, wie wir gesehen haben, ein Zweig des Empirismus. Der Empirismus lässt offen, ob es neben der Materie noch anderes gibt, wie z.B. einen immateriellen Gott. Der Grundstein des Materialismus, der Empirismus, lässt somit die Möglichkeit zu, dass die "da draußen" existierende materielle durch einen Schöpfgergott erschaffen worden sein könnte. Das ist dann zwar kein Materialismus mehr, aber stimmt vom Grundprinzip her, das im Empirismus besteht, noch mit dem Materialismus überein.

closs hat geschrieben:
Agent Scullie hat geschrieben:Kommen wir nun darauf zurück, welche Ansicht die naheliegendste ist. Man kann beide, Materialismus und Idealismus, als naheliegend ansehen.
Eben - man kann sogar den materialistischen Ansatz ("Alles, was ist, ist Materie - alles, was ist, kommt aus dem Vakuum") für naheliegend finden. - Es ist allein eine Frage der Hermeneutik - also der "Vorannahmen", die der jeweilige Mensch auf Grund seiner kulturellen Formatierung hat.

Agent Scullie hat geschrieben:Die Argumentation geht so: "Offensichtlich existiert die materielle Welt (das ist die Prämisse)".
Damit eröffnest Du Deinen hermeneutischen Ansatz, der wie die anderen Ansätze auch nicht-falsifizierbar ist.

Agent Scullie hat geschrieben: "Also ist es naheliegend, dass es nur die materielle Welt gibt. Somit ist es naheliegend, dass unser Geist ein Produkt der Materie, z.B. unserer Gehirne ist".
Eine Schlussfolgerung aus Deiner Prämisse - Sven würde dies "Zirkelschluss" nennen
Das würde er aber zu unrecht tun, da es kein Zirkelschluss ist. Ein Zirkelschluss wäre, wenn man aus der gesetzten Prämisse die Prämisse selbst ableitet. Das wird hier nicht gemacht: die Prämisse ist, dass das, was wir beobachteten, existiert (Empirismus), daraus wird abgeleitet, dass der menschliche Geist ein Produkt der Materie ist.

closs hat geschrieben:ich nenne es hermeneutisches Ergebnis, das in sich fehlerfrei erzielt wurde. - Das heißt: Es gibt nicht "DAS Naheliegende", sondern nur das Naheliegende im Sinne einer Prämisse.
Das stimmt jedoch nicht. Es gibt das Naheliegende unabhängig von der Prämisse. Die Sichtweisen des Empirismus, des Idealismus und die Sichtweise Kants sind alle drei ziemlich naheliegend, ohne spezielle Prämisse. Die Existenz Gottes dagegen nicht.

closs hat geschrieben:
Agent Scullie hat geschrieben:Die Schlussfolgerung, dass es nicht naheliegend ist, die Existenz eines Gott anzunehmen, kommt also vor der Schlussfolgerung, dass das Leib-Seele-Problem am naheliegendsten dadurch zu lösen, dass nur dem Körper eigenständige Existenz zuzuschreiben, nicht danach.
Das klingt komisch. - Das klingt nach Zirkel.
Es ist aber eben keiner. An keiner Stelle wird da eine Prämisse aus ihr selbst abgeleitet.

closs hat geschrieben:Was wirklich der Fall ist, richtet sich nach unseren intellektuellen Pirouetten. - Mit anderen Worten: Wenn es Gott gibt, ist es sehr wohl naheliegend, dass Materie eine Ableitung von Geist ist.
Dass es naheliegend ist, dass die Materie vom Geist Gottes geschaffen wurde, wenn man die Prämisse setzt, dass Gott existiert, ist trivial. Die Prämisse zu setzen, dass Gott existiert, ist selbst aber eben nicht naheliegend.
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closs
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#70 Re: Die Entmystifizierung des Satans

Beitrag von closs » Mo 19. Mär 2018, 20:43

Agent Scullie hat geschrieben:Wenn du mit programmatisch meinst, dass der Materialist die Existenz der Materie deswegen für wahr halten würde, weil sein Weltbild (also das "Programm") besagt, dass es nur die Materie gibt, so ist deine Aussage falsch. Ausgangspunkt des Materialismus ist die Beobachtung, dass es Materie gibt, und die darauf aufbauende Schlussfolgerung, dass die beobachtete Materie tatsächlich existiert.
Wir sollten zwischen "Naturwissenschaftler" und "Materialist" unterscheiden. - Was Du hier (und auch im folgenden) sagst, passt in jedem Fall auf die Naturwissenschaft - und das ist gut so und nicht zu bemängeln.

Nachdem "Materialismus" aber ein "ismus"ist, handelt es sich hier um eine Weltanschauung - als solche geht sie nicht wissenschaftlich vor, sondern postuliert. - Davon abgesehen: Es ist wirklich philosophisch ein irriger SChluss, aus der Beobachtung der Materie zu schließen, dass es Materie gibt. - PRagmatisch natürlich JA, aber grundsätzlich NEIN.

Denn mit "Beobachtung" ist überhaupt nicht geklärt, ob man seine Vorstellungen oder davon unabhängige Entitäten beobachtet - als Betroffener kann man beides NICHT unterscheiden. - ERgo ist es auch kein ARgument für das eine oder andere.

Agent Scullie hat geschrieben:Der Empirismus selbst lässt dabei offen, ob darüberhinaus noch etwas anderes existiert. Der materialistische Zweig geht in die Richtung, dass nichts darüberhinausgehendes existiert, der christliche Zweig dagegen in die Richtung, dass es darüberhinaus Gott und die unsterbliche Seele gibt.
Zustimmung (von descartschen Problemen abgesehen).

Agent Scullie hat geschrieben:Dass die von uns alltäglich beobachtete Materie tatsächlich existiert, ist zwar eine Setzung, aber eine sehr naheliegende. Die Existenz Gottes zu setzen ist dagegen weit weniger naheliegend, und somit sehr viel willkürlicher, und damit ist der Notwendigkeitsgrad der Setzung viel höher.
Das ist kulturell bedingt. - Dass es HEUTE so ist, ist klar - aber vo0r 2000 Jahren hätte sich niemand vorstellen können, dass es das Göttliche NICHT gibt.

Bei Descartes ist es sogar so, dass für ihn das Göttliche das Naheliegende ist und die Res extensae (also das, was wir heute verkürzt als "Realität" bezeichnen) offen ist. - Mit anderen Worten: Deine Einschätzung ist verständlich, aber kultur-bedingt. - Denk mal an den Buddhismus: Dort ist das, was wir als "real" verstehen, "in Wirklichkeit" eine Täuschung.

Agent Scullie hat geschrieben: Daraus, dass wir tagtäglich die Materie beobachten, abzuleiten, dass sie tatsächlich existiert, kann man mit Fug und Recht als großartige Theorie einstufen.
Pragmatisch stimme ich Dir zu, aber grundsätzlich nicht - Begründung: Solche Einordnungen sind immer anthropozentrisch - wie gesagt: Wäre das Tagtägliche eine Täuschung, würden wir es gar nicht merken. - Trotzdem: Pragmatisch ja - wissenschaftlich ja.

Agent Scullie hat geschrieben:Wenn der Christ sagt, dass "Materie aus Geist" sei, dann meint er mit "Geist" den Geist Gottes, und mit "aus" meint er, dass dieser Geist die Materie erschaffen habe, die hierdurch zur tatsächlichen Existenz gelangt sei. Wenn hingegen der Materialist sagt, dass "Geist aus Materie" sei, dann meint er mit "Geist" etwas ganz anderes, nämlich den menschlichen Geist, nicht den Geist irgendeines Gottes.
Ja - diese Unterscheidung ist wichtig. - Allerdings kommt man damit meistens nicht durch.

Man müsste aber weiter differenzieren:
1) Für den echten Materialisten GIBT es gar keinen Gott, der Geist ist, es sei denn er sei Produkt des menschlichen Geistes (Feuerbach).
2) Man sollte nicht "menschlicher Geist" mit "materieller Seite des menschlichen Geistes" verwechseln.

Was tut ein Neuro-Wissenschaftler: Er beobachtet und beschreibt bspw. Korrelationen zwischen Verhalten des Menschen und dazugehörigen neuronalen Aktivitäten ("Agent Scullie denkt an seine blonde Nachbarin - im Hirnteil 5a, 3. Türe links, 7. Schublade oben rechts ist die Hölle los"). - Kausalität ist damit nicht erklärt. - Denn es gibt ganz verschiedene Möglichkeiten, die man NICHT beobachtend klären kann - konkret:

Wird bei Dir ein Gefühl ausgelöst, weil die Neuronen es Dir sagen? - Oder sagst Du den Neuronen, dass da was los ist, was das Gehirn dann in der 7. Schublade oben rechts verarbeitet/abbildet? - Oder wird Dir ÜBER (also nicht DURCH) die Neuronen etwas vermittelt, was bei Dir ein Gefühl auslöst?

Mit anderen Worten: Selbst wenn man nachweisen kann/könnte, dass die Neuronen-Aktivität VOR der Gefühls-Aktivität stattfindet, ist nicht geklärt, dass die Neuronen zuerst sind, da damit nicht geklärt ist, ob DURCH oder ÜBER sie agiert wird. - Mit anderen Worten: Ein Neurowissenschaftler kann prinzipiell nicht wissen, ob er den Produzenten oder den Vermittler menschlichen Geistes untersucht, wenn er am Gehirn des Menschen arbeitet.

Agent Scullie hat geschrieben:Die Behauptung, die materialistische Sichtweise sei eine Art Umkehrung der christliche, ist daher unhaltbar.
So einfach ist es nicht. - Du hast dann recht, wenn der Materialist (wir reden nicht vom Wissenschaftler) einräumen würde, dass es über der Materie etwas geben kann, aus der Materie ist und ohne das es keine Materie geben kann.

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