Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Philosophisches zum Nachdenken
Claymore
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#511 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von Claymore » Mo 4. Mär 2019, 18:40

closs hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 09:15
Claymore hat geschrieben:
So 3. Mär 2019, 20:45
Die Existenz der äußeren Welt wird durch einen Glaubensentscheid angenommen.
Der katholische Glaube wird durch einen Glaubensentscheid angenommen.

Sind diese Punkte deshalb ähnlich gelagert?
Man sollte Ebene für Ebene denken . - Auf Ebene 1 sind beide Punkte gleich gelagert: Beides ist "Glaubensentscheid" - das sollte man erst mal schlucken.
Ich bin da immer etwas vorsichtiger. Dazu müsste man erst einmal sämtliche Gegenargumente berühmter Philosophen studiert haben, u.a. das von Kant. Hast du das getan?
- Auf Ebene 2 kann man dann fragen: "Wo sind die Unterschiede?".

Üblich in den zeitgenössischen Diskussionen ist, dass man Ebene 1 einfach auslässt und glaubt, sich deshalb vernünftig und aufgeklärt fühlen zu dürfen. Das nennt man dann Fortschritt. :geek: :devil:
“aufgeklärt” interessiert mich nicht. Und “vernünftig” ist bei dir vermintes Gebiet.

Das Problem ist, zu meinen, die äußere Welt wäre bloß vollständig Vorstellung – d.h. einen Menschen “in der äußeren Welt” zu ermorden wäre ähnlich zu bewerten wie dies im Traum zu tun – das führt zur Zwangseinweisung.

Selbst wenn man also das mit dem “Glaubensentscheid” akzeptiert, so what? Der Unterschied ist so gewaltig wie zwischen den “Erderhebungen” Maulwurfshügel und Mount Everest. Was bringt das?

Pluto
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#512 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von Pluto » Mo 4. Mär 2019, 18:56

closs hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 11:36
Pluto hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 10:58
Eben deshalb sollte man KEINE Vorannahmen treffen.
Über Worte brauchen wir nicht zu streiten - wir können ab sofort von "hermeneutischen Bedingungen" sprechen.
Es ist egal wie du es nennen willst, man sollte eben nichts setzen.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 10:58
Naja... die HKE setzt nichts, die Kanoniker hingegen setzen, dass Jesus göttlich ist.
Beide haben hermeneutische Bedingungen.
Nein. Nur Kanoniker müssen setzen, dass Jesus göttlich ist, sonst bekommen sie nicht da gewünschte Ergebnis.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 10:58
Deshalb ist es so wichtig NICHT zu setzen.
"Bedingung" IST doch "Setzung". :!:
Ja und? Auch sollte man keine Bedingungen setzen.

closs hat geschrieben:Physikalisch kann man immer nur die EINE Seite betrachten: Wie bildet sich Geist materiell ab? - Insofern gibt es physikalisch keine Antwort zur Frage nach der Verbindung von Geist und Neuronen.
Doch die gibt es. Bei einer lebenden Person werden die Erinnerungen im Gehirn abgelegt. Bei Toten gerätst du offenbar in Erklärungsnot.

closs hat geschrieben:Aber man könnte übrigens fragen: Wenn ich an Dich denke UND dies per Neuronen nachweisbar ist: Wo bist "Du" in meinen Neuronen? - Wie funktioniert der Transfer des Mechanischen (Neuronen) in das Geistige ("Ich denke an Dich im geistigen Sinne")? - Vielleicht bringt uns das ein Stück weiter bei der Beantwortung der Frage zu Geist und Materie.
Ja klar bringt uns das weiter. Wir können bestätigen, dass Gedanken das Ergebnis von Hirnaktivität sind. Das erkennt man an den Hirnscans.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 10:58
Dass das falsch ist, sollte dir auch klar sein. Früher dachte man Blitz und Donner seien das Husten der Götter. Heute weiß man, dass der Blitz eine elektrische Entladung ist
Was haben UNSERE (sich entwickelnde) Anschauungen zu tun mit dem, was Gott selber betrifft? Nichts.
Es sollte auch dir klar sein, dass alle Götter und von Menschen frei erfunden wurden um eine Erklärung für die Lücken zu finden (siehe mein Beispiel).

closs hat geschrieben:Nein - Anschauungen werden verändert, aber doch nicht Gott.
Du redest von Gott als ob du das weißt. Dann solltest du Gott auch beschreiben können. Kannst du das?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

closs
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#513 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von closs » Mo 4. Mär 2019, 19:09

Claymore hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 18:40
Ich bin da immer etwas vorsichtiger. Dazu müsste man erst einmal sämtliche Gegenargumente berühmter Philosophen studiert haben, u.a. das von Kant.
"Das bloße, aber empirisch bestimmte, Bewußtsein meines eigenen Daseins beweist das Dasein der Gegenstände im Raum außer mir." - Das ist nicht Ebene 1, sondern die Ebene NACHDEM man die Res extensae als gegeben angesehen hat (wenn ich Kant hier richtig verstehe). - Mit anderen Worten: Wenn man "Vernunft" als das bezeichnet, was erst ab Ebene 2 zuschlägt, also anthropogen definiert, kann man so argumentieren. - Aber warum sollte das ein Gegenargument zu meiner vorherigen Aussage sein? - Trotzdem: Vielen Dank für den Link.

Claymore hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 18:40
Und “vernünftig” ist bei dir vermintes Gebiet.
Richtig - solange man nicht bereit ist zu definieren, ob man es anthropogen oder universal meint, ist es vermintes Gebiet.

Claymore hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 18:40
Das Problem ist, zu meinen, die äußere Welt wäre bloß vollständig Vorstellung
Descartes sagt das ja nicht - er sagt lediglich (wie ich auch), dass Claymore es nicht merken würde, wenn es so wäre. - Daraus schließt er (wie ich auch), dass es ein Glaubensentscheid ist, wenn man wie Descartes (und ich auch) sagt: "Die Welt ist NICHT bloß vollständig Vorstellung, sondern eigene Entität" - also 'echt', wie man laienhaft, aber verständlich sagen könnte.

Claymore hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 18:40
d.h. einen Menschen “in der äußeren Welt” zu ermorden wäre ähnlich zu bewerten wie dies im Traum zu tun
Du kannst beides nicht unterscheiden, sondern nur entscheiden. - Natürlich würdest Du auch dann Deine Welt für "echt" halten, wenn sie bloß vollständig Vorstellung wäre. - Nochmals: Es geht bei dieser Sache letztlich darum, denen, die meinen, man könne die Welt vorannahme-frei beschreiben, klarzumachen, dass auch die Grundlage der Wissenschaft und des Naturalismus eine Glaubensentscheidung ist ("Die Welt ist NICHT bloß vollständig Vorstellung, sondern eigene Entität"), jegliches Wissen also nur auf Basis von Glauben möglich ist. - Diese Erkenntnis ist philosophisch wichtig.

Irgendwo habe ich mal das Popper-Zitat gelesen, wonach der Kritische Rationalismus das zum Gegenstand mache, was man mit den Sinnen (und Hilfsmitteln) erfahrbar machen könne, also erst da einsteige. - Insofern ist es sehr bedauerlich, dass gelegentlich "Methodik" und "Philosophie" verwechselt werden. - Popper war Methodiker: "Was ich untersuche, betrifft die natürliche Welt - alles andere interessiert mich" - in mancher Philosophie wurde daraus "Was kritisch-rational nicht fassbar ist, gibt es nicht" - eine ganz andere Aussage.

Claymore hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 18:40
Der Unterschied ist so gewaltig wie zwischen den “Erderhebungen” Maulwurfshügel und Mount Everest.
Meinetwegen für den Moment - aber dieser Unterschied ist nicht wissenschaftlich falsifizierbar, darstellbar, nachweisbar, widerlegbar. - NIEMAND kann erkennen ob er es mit dem Maulwurfshügel oder dem Mount Everest zu tun hat.

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#514 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von closs » Mo 4. Mär 2019, 19:21

Pluto hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 18:56
Auch sollte man keine Bedingungen setzen.
Die sind aber DAAAAAA. - Die HKE hat die Bedingung, dass man die Bibel-Inhalte so interpretiert, als sei Jesus nur Mensch - kann man machen. - Weiterhin hat sie die Bedingung, so zu interpretieren, als sei die Bibel ein ganz normaler Text. - Weiterhin geht man von einer naturalistischen kontinuität der Geschichte aus - kann man machen. -Das heißt bspw: man erkennt zwar an, dass die Textverfasser an Wunder geglaubt haben (können), "weiß" aber, dass dies nicht möglich ist und interpretiert dementsprechend. - Kann man alles machen - aber es sind Setzungen/Bedingungen/hermeneutische Vorannahmen.

Pluto hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 18:56
Bei einer lebenden Person werden die Erinnerungen im Gehirn abgelegt. Bei Toten gerätst du offenbar in Erklärungsnot.
1) Solange der Mensch irdisch legt, werden Erinnerungen im Gehirn abgelegt, wo sie der Geist abruft und im Irdischen verfügbar macht.
2) Bei irdisch Toten sind Erinnerungen Teil des Geistes, der ohne Hirn, da nicht mehr materiell, existent ist.

Pluto hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 18:56
Wir können bestätigen, dass Gedanken das Ergebnis von Hirnaktivität sind.
Moment: Hirnaktivität ist Ausdruck von Gedanken.

Pluto hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 18:56
Es sollte auch dir klar sein, dass alle Götter und von Menschen frei erfunden wurden um eine Erklärung für die Lücken zu finden (siehe mein Beispiel).
Menschen haben dem Göttlichen menschliche Vorstellungen gegeben - deshalb muss das Göttliche nicht erfunden sein. - Wenn Du eine Giraffe malst, muss die Giraffe deshalb nicht eine Erfindung von Dir sein.

Pluto hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 18:56
Du redest von Gott als ob du das weißt. Dann solltest du Gott auch beschreiben können. Kannst du das?
Per Eigenschaften geht das ein Stück weit - es gibt auch eine geistige Ebene, auf der auch nicht-intellektuelle Menschen eine Gewissheit spüren, die aber noch weniger vermittelbar ist als intellektuell Vermittelbares.

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#515 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von Scrypton » Mo 4. Mär 2019, 20:23

closs hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 19:21
Pluto hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 18:56
Auch sollte man keine Bedingungen setzen.
Die sind aber DAAAAAA.
Nein, sind sie nicht - da ändert auch ein zwanghaftes Hängenbleiben auf der Shift-Taste nichts... :lol:

closs hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 19:21
Die HKE hat die Bedingung, dass man die Bibel-Inhalte so interpretiert, als sei Jesus nur Mensch
Das ist keine Bedingung. Das ist der Status Quo - wo wie das für >jeden< Menschen gilt.
Jedwede fiktive Malerei, ob Mensch y oder Mensch z nun Gott öder Göttin (oder was auch immer) ist geht jedoch darüber hinaus; erst jetzt kommt es zu einer Bedingung.

closs hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 19:21
Weiterhin hat sie die Bedingung, so zu interpretieren, als sei die Bibel ein ganz normaler Text.
Auch hier: Sie >ist< ein Text und wird natürlich ebenso analysiert, wie man es in den Geschichtswissenschaften eben maximal neutral macht. Die Bibel wird bei der Analyse also nicht irgendwie sonderbar behandelt, nur weil du das so gerne hättest; erst deine unsinnigen Vorannahmen sind es ja, die dir jegliche Objektivität unmöglich machen.

closs hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 19:21
Pluto hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 18:56
Du redest von Gott als ob du das weißt. Dann solltest du Gott auch beschreiben können. Kannst du das?
Per Eigenschaften geht das ein Stück weit
Ähm... nein... :lol:

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#516 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von Claymore » Mo 4. Mär 2019, 20:30

closs hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 19:09
Claymore hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 18:40
Ich bin da immer etwas vorsichtiger. Dazu müsste man erst einmal sämtliche Gegenargumente berühmter Philosophen studiert haben, u.a. das von Kant.
"Das bloße, aber empirisch bestimmte, Bewußtsein meines eigenen Daseins beweist das Dasein der Gegenstände im Raum außer mir." - Das ist nicht Ebene 1, sondern die Ebene NACHDEM man die Res extensae als gegeben angesehen hat (wenn ich Kant hier richtig verstehe). - Mit anderen Worten: Wenn man "Vernunft" als das bezeichnet, was erst ab Ebene 2 zuschlägt, also anthropogen definiert, kann man so argumentieren. - Aber warum sollte das ein Gegenargument zu meiner vorherigen Aussage sein? - Trotzdem: Vielen Dank für den Link.
Das hast du natürlich falsch verstanden, wie immer (habe aber keine Lust das durchzuboxen, da du selbst bei kristallklaren Äußerungen meinst du würdest es besser verstehen als die Autoren selbst). Da steht “Lehrsatz” und dann folgt “Beweis [des Lehrsatzes]”. Er schreibt doch selbst: “Der verlangte Beweis muß also dartun, daß wir von äußeren Dingen auch Erfahrung und nicht bloß Einbildung haben; welches wohl nicht anders wird geschehen können, als wenn man beweisen kann, daß selbst unsere innere, dem Cartesius unbezweifelte, Erfahrung nur unter Voraussetzung äußerer Erfahrung möglich sei.”.

Du solltest also einen Fehler in dem Beweis von Kant finden anstatt hier absurd zu leugnen, Kant hätte so einen Beweis versucht.
Claymore hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 18:40
Und “vernünftig” ist bei dir vermintes Gebiet.
Richtig - solange man nicht bereit ist zu definieren, ob man es anthropogen oder universal meint, ist es vermintes Gebiet.
Ich akzeptiere diese Einteilung nicht.
Claymore hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 18:40
Das Problem ist, zu meinen, die äußere Welt wäre bloß vollständig Vorstellung
Descartes sagt das ja nicht - er sagt lediglich (wie ich auch), dass Claymore es nicht merken würde, wenn es so wäre. - Daraus schließt er (wie ich auch), dass es ein Glaubensentscheid ist, wenn man wie Descartes (und ich auch) sagt: "Die Welt ist NICHT bloß vollständig Vorstellung, sondern eigene Entität" - also 'echt', wie man laienhaft, aber verständlich sagen könnte.
Ja, das stimmt. Das sagt Descartes nicht. Du hast aber das Zitat zerschnippelt, wo es darum ging, dass die tatsächliche Skepsis gegenüber der äußeren Welt psychiatrisch relevant ist.
Claymore hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 18:40
d.h. einen Menschen “in der äußeren Welt” zu ermorden wäre ähnlich zu bewerten wie dies im Traum zu tun
Du kannst beides nicht unterscheiden, sondern nur entscheiden. - Natürlich würdest Du auch dann Deine Welt für "echt" halten, wenn sie bloß vollständig Vorstellung wäre. - Nochmals: Es geht bei dieser Sache letztlich darum, denen, die meinen, man könne die Welt vorannahme-frei beschreiben, klarzumachen, dass auch die Grundlage der Wissenschaft und des Naturalismus eine Glaubensentscheidung ist ("Die Welt ist NICHT bloß vollständig Vorstellung, sondern eigene Entität"), jegliches Wissen also nur auf Basis von Glauben möglich ist. - Diese Erkenntnis ist philosophisch wichtig.
Es ging mir aber darum, wie wir die Überzeugung, die äußere Welt wäre nur Vorstellung, in der Psychiatrie oder im Strafrecht bewerten.

Also ich bin kein Jurist, aber wenn Herr A den Herrn B mit einer Pistole bedroht und Herr B in Angst um sein Leben schnell eine üble Krav-Maga-Technik anwendet und Herrn A schwer verletzt oder sogar tötet, dann besteht ja doch eine gute Chance auf Freispruch für Herrn B auch wenn sich herausstellt, dass die Pistole von Herrn A nicht geladen war und “ontisch” ( :devil:) keine Gefahr von ihm ausging.

Wenn jedoch Herr B den Herrn A umlegt und dann mit “ich glaube das ist alles nur meine Vorstellung” ankommt, dann endet das definitiv mit Freiheitsstrafe oder Einweisung in die forensische Psychiatrie. Es wird nicht als “verzeihlicher Fehler” wie, dass man sich durch eine ungeladene Pistole in seinem Leben bedroht fühlt, angesehen.

Wenn es bereits ein Glaubensentscheid ist, eine Überzeugung mit psychiatrischem Krankheitswert beiseite zu schieben, dann ist das ein ziemlich bedeutungsleeres Wort.
Irgendwo habe ich mal das Popper-Zitat gelesen, wonach der Kritische Rationalismus das zum Gegenstand mache, was man mit den Sinnen (und Hilfsmitteln) erfahrbar machen könne, also erst da einsteige. - Insofern ist es sehr bedauerlich, dass gelegentlich "Methodik" und "Philosophie" verwechselt werden. - Popper war Methodiker: "Was ich untersuche, betrifft die natürliche Welt - alles andere interessiert mich" - in mancher Philosophie wurde daraus "Was kritisch-rational nicht fassbar ist, gibt es nicht" - eine ganz andere Aussage.
Na und? Ich bin kein Verfechter des “kritischen Rationalismus”.
Claymore hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 18:40
Der Unterschied ist so gewaltig wie zwischen den “Erderhebungen” Maulwurfshügel und Mount Everest.
Meinetwegen für den Moment - aber dieser Unterschied ist nicht wissenschaftlich falsifizierbar, darstellbar, nachweisbar, widerlegbar. - NIEMAND kann erkennen ob er es mit dem Maulwurfshügel oder dem Mount Everest zu tun hat.
Woher kommt dann aber die mangelnde “Toleranz” gegenüber “Andersdenkenden”?

Warum ist die Meinung, die äußere Welt wäre nur Vorstellung, mit Zwangseinweisung bedroht?

Hältst du das für richtig oder falsch?

closs
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#517 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von closs » Mo 4. Mär 2019, 22:41

Stromberg hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 20:23
Nein, sind sie nicht
Altes Problem: ICH zähle eine Reihe von Bedingungen/Setzungen/Vorannahmen auf - DU bezeichnest diese als "Status Quo", so wie der Normale im Mittelalter die Existenz Gottes als "Status Quo" bezeichnet hat - kein Zweifel möglich.

Mit anderen Worten: Die Setzung/Bedingung/Vorannahme "Deiner Fraktion" ist, keine Setzung/Bedingung/Vorannahme zu haben - und das nennt man dann Vernunft/Aufklärung/Fortschritt. - Genau das nehmen aber Leute wie Ratzinger auch für SICH in Anspruch, weil sie sich ihrer Setzung/Bedingung/Vorannahme bewusst sind, sie "Glaubensentscheid" nennen (sie können dieses Wort finden, weil sie sich bewusst sind) und wissen, dass sie mit dieser ERkenntnis denen in Sachen Vernunft/Aufklärung/Fortschritt voraus sind, die Vernunft/Aufklärung/Fortschritt für sich beanspruchen, obwohl sie sich NICHT bewusst sind, dass ihr Denksystem Setzung/Bedingung/Vorannahme hat.

Deine Fraktion, lieber Stromberg, übernimmt damit in Denken und Anspruch den Staffelstab von der mittelalterlichen Kirche.

Claymore hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 20:30
Das hast du natürlich falsch verstanden, wie immer
Stimmt - und am Ende stellt sich raus, dass Deine Einschätzung falsch ist - wie auch hier (wenn ich mich nicht täusche - Du kannst einen schon verunsichern). - Zum Inhalt:

Wenn ich nicht total von der Rolle bin, dreht hier Kant die Descartsche Argumentation auf den Kopf - setzt also die Ebene der Res Extensae als "echt" und rekrutiert daraus den "Geist" - genau das, was ich geschrieben habe.

Claymore hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 20:30
Du solltest also einen Fehler in dem Beweis von Kant finden anstatt hier absurd zu leugnen, Kant hätte so einen Beweis versucht.
Davon abgesehen, dass es hier überhaupt keinen Beweis geben KANN (genauso wenig wie es einen Gottesbeweis geben kann), zeige mir mal, wo ich leugnen sollte, Kant habe einen solche Beweis versucht. - Woher hast Du solche absurden Gedanken, von denen ich immer erst von Dir erfahre, weil ich selber gar nicht draufkomme?

Der Fehler Kants ist sein Zirkelschluss "Ich setze etwas, wodurch der Idealismus unmöglich wird, und 'beweise' damit, dass der Idealismus widerlegt ist". - Die Argumentation von Descartes ist dagegen NICHT zirkelschlüssig - er meint: "Ich setze, dass innere Welt (Geist, Bewusstsein) und äußere Welt (physische Welt) eigenständige Größen sind und 'beweise' damit, dass der Mensch nicht unterscheiden kann, ob die äußere Welt nur Teil der Vorstellung oder 'echt' ist".

Claymore hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 20:30
Du hast aber das Zitat zerschnippelt, wo es darum ging, dass die tatsächliche Skepsis gegenüber der äußeren Welt psychiatrisch relevant ist.
Ich zitiere dann nicht vollständig, wenn das nicht Zitierte die Antwort nicht beeinflussen würde. - Konkret: Auch wenn man in einer reinen Vorstellungswelt leben würde, gäbe es dort die Vorstellung, dass etwas psychiatrisch relevant wäre.

Claymore hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 20:30
Wenn es bereits ein Glaubensentscheid ist, eine Überzeugung mit psychiatrischem Krankheitswert beiseite zu schieben, dann ist das ein ziemlich bedeutungsleeres Wort.
Wieso das? - Glaubensentscheid ist Glaubensentscheid.

Der eine glaubt an Gott,
der andere, dass die Welt als rein naturhaftes Geschehen zu begreifen ist,
der dritte, dass er 72 Jungfrauen bekommt, wenn er als Märtyrer stirbt,
der nächste, dass die demokratische Grundordnung das Mittel der Wahl ist,
der wieder nächste, dass die Res extensae 'echt' sind,

der sechste, dass die Welt nur Vorstellung ist. Übrigens weiß dieser Sechste dann AUCH, dass er vor Gericht kommt, wenn er einen abknallt, weil ja auch diese vorgestellte Welt, wie er sie kennt, Mord sanktioniert.

Davon abgesehen, ist diese Aufzählung zwar nicht falsch, aber nicht so ganz das Argumentarium, das hier gebraucht wird, nämlich: Egal, ob mit oder ohne Psychiatrie weiß Claymore in diesem Moment NICHT (weil es gar nicht geht), ob die Antwort von Closs 'echt' ist oder Teil seine eigenen Vorstellung. - Das berücksichtigt sogar Kant <siehe blau>: "Daraus, daß die Existenz äußerer Gegenstände zur Möglichkeit eines bestimmten Bewußtseins unserer selbst erfordert wird, folgt nicht, daß jede anschauliche Vorstellung äußerer Dinge zugleich die Existenz derselben einschließe, denn jene kann gar wohl die bloße Wirkung der Einbildungskraft (in Träumen sowohl als im Wahnsinn) sein" - Aber er täuscht sich insofern, dass er rot willkürlich setzt.

Claymore hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 20:30
Warum ist die Meinung, die äußere Welt wäre nur Vorstellung, mit Zwangseinweisung bedroht?
Weil diese Bedrohung nicht auf Ebene 1, sondern auf Ebene 3 erfolgt (E1 = Grundlage/E2 = Wissenschaft/materialistische Philosophien/E3 = Pragmatik/Staat/Utilitarismus). - Auf Ebene 3 denkt man überhaupt nicht daran, philosophisch zu denken (tue ich auch nicht) und beurteilt Abweichungen von der gesetzten Wirklichkeit mit Sanktionen - und zwar zum Schutz der Gemeinschaft - dazu ist der Staat da.

Claymore hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 20:30
Hältst du das für richtig oder falsch?
Auf Ebene 3 alternativlos.

JackSparrow
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#518 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit

Beitrag von JackSparrow » Di 5. Mär 2019, 00:02

closs hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 10:28
Zumal das Cola genauso gut oder schlecht schmecken würde, wenn es nur eine Vorstellung von mir wäre.
Umso erstaunlicher, dass du Platons Hypothesen dennoch in Betracht ziehst. Das wäre genau dann sinnvoll, wenn man irgendwann schon mal eine deutlich realere Cola getrunken hätte als üblich und dadurch einen Maßstab zur Verfügung hätte, anhand dessen man den Realitätsgrad der jeweiligen Cola quantitativ bewerten könnte.

Dieses radikal-skeptizistische Manöver gibt es nur deshalb, um denen, die meinen, Wissenschaft/Wahrnehmung existiere vorannahme-los, eben diesen Zahn zu ziehen.
Ich kann vorannahmslos beschreiben was ich beobachte. Philosophen können das natürlich nicht, wenn sie mit Ausschmückungen, Überteibungen und haltlosen Spekulationen ihren Lebensunterhalt verdienen. Deren Berufsbild besteht eben gerade darin, sich ständig neue Vorannahmen auszudenken.

ER, der Karpfen, ist nicht vernunft-fähig - das heißt nicht, dass sein Verhalten aus Sicht UNSERER Wahrnehmung nicht vernünftig sein könnte.
Er verhält sich vernünftig, ist aber nicht vernuftfähig? Warst du schon mal ein Karpfen oder woher meinst du zu wissen, wie sich die Hirnfunktionen eines Karpfens von innen anfühlen?

2) Bei irdisch Toten sind Erinnerungen Teil des Geistes, der ohne Hirn, da nicht mehr materiell, existent ist.
Wenn man irgendein Ding sieht, entstehen im Hirn sogenannte Aktionspotenziale. Wenn die Frequenz dieser Aktionspotenziale hoch genug ist, dann öffnen sich in manchen Hirnarealen sogenannte NMDA-Rezeptoren, die Kalzium in die Nervenzellen einströmen lassen. Das Kalzium sorgt dafür, dass mehr erregende Rezeptoren in die Synapse eingebaut werden und dass neue synaptische Verbindungen entstehen. Diesen Vorgang nennt man "long term potentiation".

Aufgrund der "long term potentiation" reicht nun ein kleinerer Reiz als vorher, um wieder die gleichen Nervenzellen zu erregen, die auch erregt waren, als man das Ding erstmals gesehen hat. Diesen Vorgang nennt man "sich erinnern".

Bei der sogenannten Alzheimer-Krankheit ist die "long term potentiation" gestört und Dinge, die man sieht, können nicht mehr abgespeichert werden. Da die nicht abgespeichert wurden, kann sich der Patient somit nicht mehr dran erinnern. Bereits bestehende Fälle von "long term potentation" sind von der Krankheit nicht betroffen, denn an Ereignisse vor der Erkrankung kann sich der Patient meist noch erinnern.

Damit ist belegt, dass Erinnerungen von intakten Hirnstrukturen abhängig sind und keinesfalls frei in der Luft schweben können.

closs
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#519 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von closs » Di 5. Mär 2019, 00:48

JackSparrow hat geschrieben:
Di 5. Mär 2019, 00:02
Umso erstaunlicher, dass du Platons Hypothesen dennoch in Betracht ziehst.
Du machst denselben Fehler wie viele: Du gehst von den Res extensae als Entität/als 'echt' aus und beurteilst aus dieser Warte die Vorstellung - Du tust also so, als gäbe es die Res extensae sowieso.

Das ist aber falsch, da es gerade die Frage gibt, ob es die Res extensae gibt. - Auf Dein Cola bezogen: Es gäbe dann nur EINE für Dich reale Cola, nämlich die eingebildete - UND Du wüsstest es nicht und würdest in Deiner Vorstellungs-Welt leben, die für Dich die einzige "Realität" wäre. - In dieser gäbe es auch Closs als Realität, aber es gäbe Closs nicht "in echt" (also ich wäre nicht als Cogito), sondern nur als Deine Vorstellung. - Für Dich wäre es egal.

JackSparrow hat geschrieben:
Di 5. Mär 2019, 00:02
Er verhält sich vernünftig, ist aber nicht vernuftfähig?
Du versuchst, über Formulierungs-Tricks Absurdes zu unterstellen. - Richtig ist: Aus der Wahrnehmungs-Sicht kann das Verhalten des Karpfen vernünftig sein (meinetwegen: Er schützt seine Jungtiere), ohne dass der Karpfen "weiß", was Vernunft ist.

JackSparrow hat geschrieben:
Di 5. Mär 2019, 00:02
Ich kann vorannahmslos beschreiben was ich beobachte.
Nein, kannst Du nicht. - Du musst voraussetzen, dass Dir Deine Augen keinen Streich spielen - nicht dass Du Closs siehst, obwohl dort eine junge, schöne Frau steht. :lol:

JackSparrow hat geschrieben:
Di 5. Mär 2019, 00:02
Deren Berufsbild besteht eben gerade darin, sich ständig neue Vorannahmen auszudenken.
Nein - deren Aufgabe ist (bzw. sollte sein) eine Ebene tiefer zu denken als eine Wissenschaftler oder ein Normalo. - Ein Normale und ein Wissenschaftler müssen sich über sowas überhaupt keine Gedanken machen, sollten dann aber auch nicht philosophisch äußern. - "Mein methodisches Ergebnis auf Basis des Modells lautet: ..." ist eine wissenschaftliche Aussage. - "Das, was ich als Ergebnis habe, betrifft Wirklichkeit und das, was manche Philosophen meinen, betrifft NICHT Wirklichkeit" ist eine weltanschauliche/philosophische Aussage und hat im Mund eines Normalos oder Wissenschaftlers (wenn er dienstlich spricht) nichts zu suchen - denn dann muss man auf Ebene 1 abtauchen und dieser Ebene halt auch gerecht werden.

JackSparrow hat geschrieben:
Di 5. Mär 2019, 00:02
Damit ist belegt, dass Erinnerungen von intakten Hirnstrukturen abhängig sind und keinesfalls frei in der Luft schweben können.
Denkfehler. - Das belegt lediglich, dass der Transfer von geistigen Erinnerungs-Inhalt und Projezierung in "die Welt" gestört ist.

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#520 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von Scrypton » Di 5. Mär 2019, 10:00

closs hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 22:41
Stromberg hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 20:23
Nein, sind sie nicht
Altes Problem
Dein Problem wird immer älter werden; denn dieses Problem wird Bestandteil deiner Aussagen bleiben.

closs hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 22:41
ICH zähle eine Reihe von Bedingungen/Setzungen/Vorannahmen auf - DU bezeichnest diese als "Status Quo"
Tja, kann ich nichts dafür dass dir das nicht schmeckt; doch es ändert ja nichts daran, dass dem so ist. :)

Denn: Das sind zwingend notwendige schon mit der Geburt einhergehende Akzeptanzen von Menschen und Lebewesen ganz generell - das betrifft nicht "Naturalisten" oder "Materialisten" sondern auch dich.
Eben: Jeden!

Erst du, als ein Gläubiger von vielen unterschiedlichster Glaubensrichtungen, setzt auf diesen Status quo beliebig austauschbare >Glaubens-Annahmen< drauf. Und dann fängt das theologische fantasieren (äh...) philosophieren mit diesen Glaubens-Annahmen an und es wird versucht, ein in sich logisches Fantasiegebilde (äh) Glaubensgebilde zu errichten.

closs hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 22:41
Die Setzung/Bedingung/Vorannahme "Deiner Fraktion" ist, keine Setzung/Bedingung/Vorannahme zu haben
Nein; siehe oben. :0)

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