Die Rolle der Prämissen bei der Bibelauslegung

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lovetrail
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#21 Re: Die Rolle der Prämissen bei der Bibelauslegung

Beitrag von lovetrail » Di 17. Jan 2017, 09:20

Rembremerding hat geschrieben:
Somit muss eine Bibelauslegung immer im Sinne der Apostel geschehen und in dem Geiste, in dem die Hl. Schrift entstand, dem Hl. Geist. Jene Sola scriptura war eine wichtige und zu jener Zeit notwendige Anregung von Martin Luther. Sie allein ließ die menschlichen Zusätze klarer hervortreten und half sie auszutilgen. Aber sola scriptura ist schlussendlich und paradoxerweise nicht biblisch, denn auch die Apostel wandten dieses Auslegungsprinzip nicht an.
Fragen an dich, Rembremerding:

Wie ist das genau zu verstehen, eine Bibelauslegung im Sinne der Apostel und in dem Geiste in dem die hl. Schrift entstand? Inwiefern unterscheidet sich dies von sola scriptura?

Und kannst du das konkreter an Hand eines Beispiels ausführen?

LG
Zuletzt geändert von lovetrail am Di 17. Jan 2017, 09:48, insgesamt 1-mal geändert.
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Rembremerding
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#22 Re: Die Rolle der Prämissen bei der Bibelauslegung

Beitrag von Rembremerding » Di 17. Jan 2017, 09:31

closs hat geschrieben:Über die Bibel und nichts als die Bibel, weil dort alles nötige steht? - Oder über das universal Geistige, das es auch ohne Bibel gibt?
Es geht sicherlich nicht ohne Bibel. So wie das Gesetz die Sünde des Menschen aufdeckt, so deckt die Bibel die Liebe Gottes auf. Wer die Bibel ernst nimmt, muss sie auch in ihrer Entstehungsgeschichte ernst nehmen, denn diese ist Teil des Wortes Gottes. Diesen Schritt muss der heutige Verstandesmensch tun, sonst wird Glaube zu einem Biblizismus, der nicht mehr Gottes Evangelium lehrt, sondern ein Buch.

Luther war kein "Aufklärer", sondern eigentlich Katholik. Und er hat die Entgrenzungs-Gefahren der Aufklärung in den Anthropozentrismus hinein erkannt - deshalb "Sola Scriptura".
Luther blieb in weiten Teilen Katholik. Später brachte ihn der Ärger mit seiner Kirche, die dabei ebenso Schuld trug, dazu, dass er die typische "Hierarchieabneigung" der Deutschen aufgriff und eine hierarchische Kirche ablehnte. Was wir heute im Protestantismus sehen, ist nur mehr in geringem Teil lutherisch, das meiste geht auf die späteren Reformatoren zurück.

Novalis hat geschrieben:der Verdienst von Luther war es, dass er gesehen hat, dass der HEILIGE GEIST eine innere Wirklichkeit im Menschen ist. Anstatt blind einer äußeren Autorität zu folgen, sollen wir lernen dieser inneren Autorität Gehör zu schenken
Natürlich war dieses erkennen von Gottes Geist als innerer Wirklichkeit schon zuvor gegeben, man denke nur an die Mystik des Mittelalters. Luther verbreitete diese Erkenntnis, weil sie auch notwendig wurde, wenn man sich von Lehramt und Tradition trennt. Sein Ansatz entsprang sicher auch und förderte den seit Dun Scotus aufkommenden Individualismus. Eine Trennung von dieser Tradition der Kirche führt unweigerlich zu einer Privatisierung der Auslegung, die in eine unübersehbare Vielfalt von protestantischen Gemeinschaften mündet. Alle berufen sich zwar auf die Heilige Schrift (in ihrer jeweiligen Auslegung), sind sich jedoch in zentralen Fragen uneins.
Vieles würde sich bessern, wären sich die Gemeinschaften bewusst, dass das Prinzip "sola scriptura" eine Prämisse ist und ebenso hinterfragt werden muss.

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Rembremerding
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#23 Re: Die Rolle der Prämissen bei der Bibelauslegung

Beitrag von Rembremerding » Di 17. Jan 2017, 09:53

lovetrail hat geschrieben: Fragen an dich, Rembremerding:

Wie ist das genau zu verstehen, eine Bibelauslegung im Sinne der Apostel und in dem Geiste dem die hl. Schrift entstand? Inwiefern unterscheidet sich dies von sola scriptura?

Und kannst du das konkreter an Hand eines Beispiels ausführen?

LG
Zuerst war es die Kirche, die bereits seit Jahrzehnten ihre Gottesdienste feierte, Sakramente und sakramentähnliche Riten praktizierte und das Evangelium von Jesus Christus verkündigte, lange bevor Paulus seine Briefe und Evangelisten ihre Evangelien schrieben. Die Kirche konnte sich in dieser prägenden Anfangszeit natürlich nur nach den Lehren der Apostel richten, die mit Jesus unterwegs waren und ihn und seine Lehren persönlich kennengelernt hatten.
Die Gemeindeleiter und Apostel wussten natürlich auch ohne neutestamentliche Schriften, wie man tauft (das steht nämlich nicht in der Bibel), wie man Eucharistie feiert (Paulus beantwortet gegenüber den Korinthern nur einige Spezialfragen, um Missbräuche abzustellen), oder wie man ein kirchliches Amt weitergibt (in der Bibel wird dies nicht näher erklärt, sondern als bekannt vorausgesetzt). Bischofsamt und Sakramente mussten nirgends gegen Widerstand durchgesetzt werden. Dies wäre aber zu erwarten gewesen, hätten es sich um „unbiblische“ Neuerungen gehandelt.

Etwa im 1. Apostelkonzil wich man von der bis dahin bestehenden Schrift ab und die Beschneidung war nicht mehr Voraussetzung, um zu Gottes Volk zu gehören. Nirgends aus den Schriften kann man ein Diakonamt ableiten, wie es Petrus mit seinen Aposteln später einführte. So kann man erkennen, dass aus dieser frühen Zeit der Kirche eine apostolische und auf Jesus zurückzuführende Praxis entstand, die erst später Niederschlag in den Schriften des NT fand. Die Heilige Schrift ist auch eine Frucht der vom Hl. Geist geführten frühen Kirche und so steht diese Schrift nicht gegenüber der Kirche, sondern sie lebt in ihr und die Kirche in der Schrift. Es wäre doch vermessen zu glauben, dass der Hl. Geist die Hl. Schrift nur für die Kirche "dagelassen hat" und von da an nicht mehr in ihr wirkt und sie leitet.

Der Unterschied zu "sola scriptura" ist also, dass diese Entstehung der Hl. Schrift in der Kirche und die Anwesenheit des Hl. Geistes in der Kirche des Herrn in den Traditionen erkannt werden.
Mir ist natürlich klar, dass dies niemals mit den Prämissen evangelischer Bibelauslegung vereinbar ist. Somit ist sola scriptura eines der Haupthindernisse einer gelingenden Ökumene und ein Hauptgrund der Teilung des Leibes Christi.

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#24 Re: Die Rolle der Prämissen bei der Bibelauslegung

Beitrag von closs » Di 17. Jan 2017, 10:15

Rembremerding hat geschrieben:Es geht sicherlich nicht ohne Bibel.
Das wäre jetzt ein anderes Thema, deshalb nur kurz: Ich bin überzeugt, dass die Bibel nichts "erfindet", sondern "nur" Bestehendes "findet" - diese meine ich in Hinsicht auf ihre Grundaussagen. - Um es in einem Beispiel zu zeigen: Die nordkoreanische Mutter kann durch ein gelebtes 1.Kor. 3 dem christlichen Gott näher sein als ein vatikanischer Kardinal.

Ansonsten sind wir uns schon einig.

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#25 Re: Die Rolle der Prämissen bei der Bibelauslegung

Beitrag von Rembremerding » Di 17. Jan 2017, 11:04

closs hat geschrieben:Das wäre jetzt ein anderes Thema, deshalb nur kurz: Ich bin überzeugt, dass die Bibel nichts "erfindet", sondern "nur" Bestehendes "findet" - diese meine ich in Hinsicht auf ihre Grundaussagen. -
Nicht nur allein findet, in Chiffren, ewigen Bildern und Sinnbildern, sondern dahingehend vollendet, dass der Mensch und der Kosmos erst zu dem wird, was beides eigentlich und wesentlich ist, wenn Christus in allem lebt. Das ist die vollendete, zusammenführende frohe Botschaft der Hl. Schrift: dass die Schöpfung nicht allein wissenschaftlich, philosophisch, naturalistisch, anthroposophisch, tiefenpsychologisch etc. zerteilt werden darf, sondern ihr Ganzes in Gott findet, also letztendlich Ausdruck seiner überfließenden geheimnisvollen Liebe ist. Der "ich liebe, der ich liebe".

Ein philosophisches Thema - und ein anderes Thema, da hast du recht.

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#26 Re: Die Rolle der Prämissen bei der Bibelauslegung

Beitrag von lovetrail » Di 17. Jan 2017, 11:16

Rembremerding hat geschrieben: Zuerst war es die Kirche, die bereits seit Jahrzehnten ihre Gottesdienste feierte, Sakramente und sakramentähnliche Riten praktizierte und das Evangelium von Jesus Christus verkündigte, lange bevor Paulus seine Briefe und Evangelisten ihre Evangelien schrieben. Die Kirche konnte sich in dieser prägenden Anfangszeit natürlich nur nach den Lehren der Apostel richten, die mit Jesus unterwegs waren und ihn und seine Lehren persönlich kennengelernt hatten.
Naja, die ersten Briefe des Paulus kamen doch relativ bald nach der Auferstehung Jesu. (15 Jahre?). Und woher willst du denn wissen, von der Praxis, die bis dahin geherrscht hat? Welche Zeugnisse gibt es denn dafür? Mir scheint, da werden spätere katholische Praktiken und Lehransichten rückdatiert (und damit autorisierst) in eine geheimnisvolle Anfangszeit. Ein Zirkel sozusagen.

Die Gemeindeleiter und Apostel wussten natürlich auch ohne neutestamentliche Schriften, wie man tauft (das steht nämlich nicht in der Bibel), wie man Eucharistie feiert (Paulus beantwortet gegenüber den Korinthern nur einige Spezialfragen, um Missbräuche abzustellen), oder wie man ein kirchliches Amt weitergibt (in der Bibel wird dies nicht näher erklärt, sondern als bekannt vorausgesetzt).
Von Taufen wird doch mehrfach in der Bibel berichtet. Und was das Herrenmahl anbelangt, haben wir die Zeugnisse in den synoptischen Evangelien und in 1. Korinther 11. Da werden nicht nur Spezialfragen behandelt, sondern da kommt das Wesentliche zur Sprache. Die heutige katholische Messopferpraxis ist mE damit nicht in Übereinstimmung zu bringen. Sie wurde auch viel später einfgeführt.

Bischofsamt und Sakramente mussten nirgends gegen Widerstand durchgesetzt werden. Dies wäre aber zu erwarten gewesen, hätten es sich um „unbiblische“ Neuerungen gehandelt.
Dies müsste man näher untersuchen. Von welcher Zeit sprichst du da konkret?

Etwa im 1. Apostelkonzil wich man von der bis dahin bestehenden Schrift ab und die Beschneidung war nicht mehr Voraussetzung, um zu Gottes Volk zu gehören. Nirgends aus den Schriften kann man ein Diakonamt ableiten, wie es Petrus mit seinen Aposteln später einführte.
Und du meinst, weil Petrus dies damals tat, können solche maßgeblichen Veränderungen von mutmaßlichen heutigen Aposteln ebenso durchgeführt werden? Da sind ein paar Dinge vorausgesetzt, die ich nicht teile.

Mir ist natürlich klar, dass dies niemals mit den Prämissen evangelischer Bibelauslegung vereinbar ist. Somit ist sola scriptura eines der Haupthindernisse einer gelingenden Ökumene und ein Hauptgrund der Teilung des Leibes Christi.
Ich würde es eher umgekehrt sehen. Die Kenntnis der Schrift im heiligen Geist ist ein wertvolles Korrektiv, welches den einzelnen Gläubigen informiert, welchen Einheitsbestrebungen er sich unterwerfen und welchen er besser ausweichen soll.

LG
Zuletzt geändert von lovetrail am Di 17. Jan 2017, 11:54, insgesamt 1-mal geändert.
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#27 Re: Die Rolle der Prämissen bei der Bibelauslegung

Beitrag von Rembremerding » Di 17. Jan 2017, 11:34

Aber @lovetrail, es ist doch unwahrscheinlicher zu vermuten, dass Paulus 30 Jahre nach dem Tode Jesu und noch zu Lebzeiten einiger Apostel etwas "erfunden" hat oder im 16. Jahrhundert plötzlich die richtige Hl. Schrift und die richtige Glaubenspraxis entstanden ist, als dass alles eine heilige Fortsetzung der apostolischen Tradition ist. Dazu gehört auch, dass man die Hl. Schrift auf Bestandteile des frühkirchlichen Osterglaubens hin untersucht, den jüdisch-orientalischen Einflüssen, den frühkatholischen Inspirationen und den authentischen Worten Jesu. Schneidet man sich von diesen Traditionen ab, beraubt man sich wichtiger Erkenntnisse zum besseren Schriftverständnis.

Aber - auf sola scriptura besteht die ganze evangelische Glaubenspraxis, Gemeindebildung und Bibelauslegung. An dieser Prämisse darf man sich nicht heranwagen. Für mich ist das verständlich und ich wollte nur einmal diesen Umstand ins Gedächtnis rufen.
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#28 Re: Die Rolle der Prämissen bei der Bibelauslegung

Beitrag von closs » Di 17. Jan 2017, 11:58

Rembremerding hat geschrieben:Ein philosophisches Thema - und ein anderes Thema
Trotzdem noch ganz kurz: Wenn der Satz "Christus lebt in Allem" stimmt, dann tut er es auch ohne Bibel. - Die Bibel sagt es nur, macht es also namentlich erkennbar - aber "sein" tut es auch ohne Bibel - weil "alles, was der Fall ist" unabhängig von unseren Kenntnis-Ständen ist. - Insofern würde ich mich als "ontologischen Christen" verstehen.

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#29 Re: Die Rolle der Prämissen bei der Bibelauslegung

Beitrag von closs » Di 17. Jan 2017, 11:59

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#30 Re: Die Rolle der Prämissen bei der Bibelauslegung

Beitrag von closs » Di 17. Jan 2017, 11:59

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