Was ist eigentlich die Gnosis? (Bibelforum)

Nichtchristen sind willkommen, wir bitten aber darum, in diesem Forum keine Bibel- und Glaubenskritik zu üben.
Benutzeravatar
Halman
Beiträge: 4016
Registriert: Di 25. Feb 2014, 20:51

#1 Was ist eigentlich die Gnosis? (Bibelforum)

Beitrag von Halman » Di 5. Mai 2015, 21:09

:wave: in den Diskussionen rund um die Bibel wird hin und wieder auch kritisch die Zusammenstellung des Bibelkanons angesprochen. Dabei spielen häufig die "Apokryphen" bzw. Spätschriften zum NT eine Rolle, insbesondere die gnostischen Schriften.
Vor vier Jahren bat ich einen alten Freund, mir die Gnosis zu erklären, weil ich wirklich keinen Schimmer hatte (außer vom Hörensagen). Er schickte mir eine PN und erlaubte mir, seine Erörterung öffentlich zu nutzen und nun möchte ich auf Basis dieser Abhandlung die Gnosis thematisieren.
Zitat von Logan5:
...
Gnosis ist ein sehr spannendes und komplexes Feld.
Ich versuche mich mal so kurz wie möglich zu fassen.

Zuerst handelt es sich dabei um keine Religion in dem Sinn, wie wir das Christentum oder das Judentum als Religionen begreifen. Vielmehr ist Gnosis eine Art Sammelbegriff für ähnlich geartete, aber keinesfalls identische religiöse Weltanschauungen, denen ganz unterschiedliche Mythen und Vorstellungen zugrunde liegen.

Das Wort selbst stammt aus dem Griechischen und bedeutet soviel wie "Erkenntnis".
Weisheit und Erkenntnis über das Wesen des Menschen, seinen Daseinszweck und die Welt, in der er sich wiederfindet, waren damals - ganz im Gegensatz zu heute - wichtige Begriffe, mit denen man sich ausgiebig beschäftigte.

Das Aufkommen gnostischer Glaubensströmungen fällt nicht zufällig in eine pessimistische Zeit gesellschaftlicher und lebensqualitativer Umbrüche. Gnosis hat einen stark weltverneinenden Charakter. Auf etwas zu wörtlich genommener Grundlage des Höhlengleichnisses Platons ist die Gnosis ein sprudelnder Quell wild wuchernder, phantasievoller und teils überaus komplexer Schöpfungsmythen, deren Gemeinsamkeiten darin bestehen, die Welt als einen Ort zu identifizieren, der eigentlich nicht existieren dürfte und der die Harmonie der eigentlich Weltgestalt - nämlich einer rein geistigen, immateriellen Sphäre - massiv stört. Aus den unterschiedlichsten Gründen sind aber Teile dieser göttlichen Existenz in unserer materiellen Welt gefangen und erst wenn der Prozess des Entstehens neuer Materie aufgehalten wurde und die Rückführung der göttlichen Funken in ihre eigentliche Sphäre gelungen ist, kann der Urzustand der Welt wieder hergestellt werden. Solche göttliche Lichtpartikel befinden sich auch in den Seelen vieler Menschen. Die "Erkenntnis" des Gnostikers besteht also darin, seine eigene partielle Göttlichkeit zu begreifen und daraufhin jeglicher Materie zu entsagen.

Auch Erlöserfiguren sind in der Gnosis weit verbreitet, die zunächst selbst durch Einfall göttlicher Partikel in die Welt erweckt werden und zur Erkenntnis ihrer wahren Natur gelangen, wonach sie versuchen auch andere zu befreien und ihnen Erkenntnis zu schenken. Der erlöste Erlöser sozusagen.

Ein interessantes Phänomen im Entstehen gnostischer Glaubensvorstellungen ist allerdings, dass es kaum Hinweise auf einen originären gnostischen Mythos gibt. Alle in gnostischen Kreisen verbreiteten Vorstellungen basieren auf bereits existierenden Glaubensansichten, derer sie sich gewissermaßen in parasitärer Weise bedienen.

Einige dieser Mythen nutzen die griechische Götterwelt als Grundlage, andere fußen auf philosophischen Ideen, die theologisch uminterpretiert und ausgebaut werden. Eine ganze Menge gnostischer Strömungen bedient sich dabei des geistigen und personalen Inventars des Judentums und in verstärkter Menge besonders des Christentums.

Nun verhält es sich so, dass Christentum und Gnosis in etwa zeitgleich auftreten und sich gegenseitig beeinflussen. Da es zu dieser Zeit noch keine Kanonisierung der Evangelien gibt, entstehen unzählige Mischformen und es ist selbstverständlich, dass sich diverse Gnostiker für Christen halten, weil sie sich gar nicht bewusst sind, dass christliches Gedankengut gnostisch umgedeutet wurde oder weil sie diese Auslegungsweise einfach für legitim halten.

Noch heute halten sich diverse Vorstellungen im Christentum, die eigentlich aus der Vorstellungswelt der Gnosis stammen - beispielsweise das ablehnende Verhältnis einiger Christen zur Sexualität, das der Materiefeindlichkeit der Gnostiker entspringt. Auch die Rolle der Frau wurde im Christentum durch die Gnosis abgewertet, da Frauen in diesen Bewegungen offenbar oft tragende Rollen hatten. Davon wollte man sich abgrenzen.

Überhaupt kam bei vielen Christen, die in der Gnosis eine Verfälschung ihrer Lehre sahen, der Wunsch auf, sich von dieser zu distanzieren. Das ist auch nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass es sich beim Christentum doch im Grunde um eine sehr lebensbejahende, den Menschen zugewandte und eigentlich durchaus fortpflanzungsbereite Religion handelt, während die Gnosis alles Körperliche ablehnt und die Meinung vertritt, die Welt sei von einem zweitklassigen Handwerkergott - einem Demiurgen - erschaffen worden oder gar durch einen Unfall entstanden.

Für Außenstehende waren aber Christentum und Gnosis kaum unterscheidbar, was die Missionstätigkeit massiv erschwert haben dürfte. Aus diesen Gründen entschloss man sich, die verbindlichen Glaubensschriften des Christentums in einem unveränderbaren Kanon festzulegen, den wir heute als "neues Testament" bezeichnen. Alle gnostisch gefärbten Schriften blieben außen vor. Es wurde sogar lange diskutiert, ob man das Johannes-Evangelium in den Kanon aufnehmen sollte oder nicht, da es in Verdacht stand, gnostischen Kreisen nahe zu stehen. Andere Meinungen verstanden es allerdings als direkte Antwort - sozusagen als eine Gegenschrift - zur Gnosis.

So schnell, wie die Bewegung der gnostischen Glaubensvorstellungen im ersten Jahrhundert gekommen war, so schnell war sie dann zwei Jahrhunderte später nahezu komplett wieder verschwunden. Vermutlich liegt das daran, dass die Gnosis sehr stark das Individuum ansprach und weniger auf Gemeinschaft setzte. Ohne Kirchenbildung ist es aber schwer, eine Glaubensweise längerfristig zu tradieren, also starben die Gnostiker einfach aus.

Leider sind die meisten Quellen, die wir zu diesem Phänomen besitzen in den Schriften der Kirchenväter oder diversen pseudopaulinischen Briefen des NT zu finden und diese sind natürlich polemischer Natur, denn man will ja kein gutes Haar an der Konkurrenz lassen. Dem entsprechend wirr und seltsam wirken dann auch die Beschreibungen entsprechender Schöpfungsmythen. Glücklicherweise gibt es aber auch die Schriften von Nag Hammadi, die durch einen schönen Zufall entdeckt wurden und etliche gnostische Originaltexte enthalten. Darunter eben auch viele apokryphe Evangelien.

Diese Apokryphen sind also keinesfalls irgendwelche Geheimschriften, die die böse Kirche vor den Gläubigen und dem Rest der Welt verheimlichen wollte - wie es manchmal in diversen Medien dargestellt wird - oder gar authentischere Texte, die irgendwelche Wahrheiten über Jesus enthalten würden, die uns der biblische Kanon bewusst verschweigt, sondern es ist einfach so, dass diese Schriften eine völlig andere Lehrmeinung als die christlichen Texte vertreten.

Und die ersten christlichen Evangelien, die uns überliefert sind, sind nun einmal vorgnostisch und hätten damit höheren Authentizitätsanspruch, als die viel später entstandenen Apokryphen. Sofern man hier von Authentizität sprechen kann, denn die kanonisierten Evangelien sind ja ebenfalls lange nach Jesus' Tod geschrieben worden.

Die Matrix - Trilogie spielt uns übrigens im Grunde genommen einen kompletten gnostischen Mythos vor, vom Leben in einer eigentlich nicht richtigen Welt, aus der man sich nur durch einen Akt der Selbsterkenntnis retten kann, über den erlösten Erlöser, bis hin zum Demiurgen, der die künstliche, widernatürliche Welt geschaffen hat und an dem Mann vorbei muss, um den Weg in die Freiheit zu erlangen.

Irgendwo im Iran lebt außerdem noch die relativ kleine Glaubensgruppe der Mandäer, deren Weltanschauung der Gnosis entspringt und die somit das einzige noch existierende Überbleibsel dieser religiösen Strömung darstellt.
Zitatquelle
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#2 Re: Was ist eigentlich die Gnosis?

Beitrag von closs » Di 5. Mai 2015, 21:51

Die Gnosis ist aus meiner Sicht ein gutes Beispiel dafür, dass knapp daneben auch vorbei ist. - Vieles, was die Gnosis laut Deinem (hervorragenden) Zitat meint, ist wirklich gut - und vor allem für Außenstehende tatsächlich zum Verwechseln gleich dem Christentum.

Wie würdest Du einem Agnostiker/Materialisten den Unterschied zwischen Christentum und Gnosis erklären (lassen)?

Verständnisfrage: Ist das Demiurgische nur eine Neben-Erscheinung der Gnosis oder fester Bestandteil? (Da wird es nämlich fundamental-theologisch).

Benutzeravatar
Halman
Beiträge: 4016
Registriert: Di 25. Feb 2014, 20:51

#3 Re: Was ist eigentlich die Gnosis? (Bibelforum)

Beitrag von Halman » Di 5. Mai 2015, 23:03

closs hat geschrieben:Wie würdest Du einem Agnostiker/Materialisten den Unterschied zwischen Christentum und Gnosis erklären (lassen)?
Da würde ich mich ganz an der Erörderung meines alten Freundes orientieren. Die Gnostiker schöpften aus der hellenistischen Philosophie, indem sie Platons Höhlengleichnis zu wörtlich interpretieren.
Etwa zeitgleich mit dem Christentum kam diese philosphische Strömung auf, welche sich in parasitärer Weise verschiedener Religionen bediente, angefangen beim hellenistischen Polytheismus, über das Judentum bis hin zum Christenstum. Dabei wird die ursprüngliche jesuanisch-apostolische Lehre gnostisch umgedeutet und so wandelt sich eine lebensbejahende Religion in einer lebensverneinde Lehre.
Mein Freund konnte es einfach besser zusammenfassen:
Zitat von Logan5:
Besser gesagt, einige Gnostiker waren sogar davon überzeugt, Christen zu sein. Viele der apokryphen - also nicht in den kirchliche Kanon übernommene - Evangelien stammen aus gnostischen Traditionen. Diese Glaubensausrichtung war grob gesagt, von einem allzu wörtlich verstandenen Platonismus ausgehend (vielleicht ist das berühmte Höhlengleichnis bekannt) der Auffassung, die materielle Welt wäre im Prinzip ungewollt und falsch und müsste durch strikte Verneinung aller Materie und dessen, was sie hervorbringt - z.B. Sex - ausgelöscht werden, sodass nur noch das Immaterielle, Geistige und damit einzig Göttliche übrig bliebe.
Die in der Bibel gepriesene materielle Schöpfung wird also als "Fehler" gesehen, ja sogar als Scheinwelt (theologisch umgedeuteter Platonismus):
Zitat von Logan5:
Grundlegend geht es etwa um Folgendes: Die materielle Welt wird als unechte Scheinwelt betrachtet, die es zu überwinden gilt, um durch die Erkenntnis (griech.: Gnosis) der eigenen partiellen Göttlichkeit, in die höheren Sphären der wahren Welt - einer Welt des Lichts und des Geistes - zu gelangen. Meistens bedarf es zum Erlangen dieser Erkenntnis eines göttlichen Funkens, er sich in einer Erlösergestalt manifestiert, die dann allen Meschen, die ebenfalls Partikel des Göttlichen in sich tragen, aus ihrer Trance zu erwecken.
Im Streben nach der "Erkenntnis eines göttlichen Funkens" mag ein Gnositker einen streng-asketischen Lebenstil verfolgen.

In unserer Zeit schöpfen Esoteriker aus der Gnosis. Wenn von "Lichtenergie" und "Liebe" die Rede ist, sollte man hellhörig werden. Denn nicht alles ist Gold, was glänzt.

closs hat geschrieben:Verständnisfrage: Ist das Demiurgische nur eine Neben-Erscheinung der Gnosis oder fester Bestandteil? (Da wird es nämlich fundamental-theologisch).
Soweit ich die Ausführungen verstanden habe, ist die Lehre vom Demiurgen ein Kernelement der Gnosis, aber die Wendung "oder gar durch einen Unfall" lässt darauf schließen, dass es wohl mindestens zwei Varianten gibt.
Die materielle Welt wird als "Unfall", als "Fehler" interpretiert, von der man sich durch "Gnosis" (Erkenntis) befreien muss. Spirituelle Erkenntnis soll also zur Erlösung aus der sündigen Welt des Demiurgen führen.

Diese Lehre ist in wichtigen Lehren der auf dem Judentum basierenden, jesuanisch-apostolischen Lehre diametral entgegengesetzt. Jesus und die Apostel verkündeten keinen anderen Gott als den des Mose, den Schöpfergott der Genesis. Dort findet sich keine Spur von einem "zweitklassigen Handwerkergott", keine Spur davon, dass die materielle Schöpfung aufgrund ihrer Stofflichkeit verdorben sei.

Ein wesendlicher Unterschied ist, dass die Gnosis zwischen dem "Gott des AT" und dem "Vater-Gott des NT" unterscheidet. Es gilt sich durch "Gnosis" vom "Demiurgen des AT" zu befreien - ja der "Vater-Gott" der Gnostiker kennt diesen Gott noch nicht einmal.

Die gnostischen Schriften verkünden also eine völlig andere Lehre, als sie in den vorgnostischen Schriften des NT zu finden ist und ist damit unvereinbar mit dem Urchristentum. Laut jesuanisch-apostolischer Lehre ist der Gott des AT identisch mit dem Vater-Gott des NT: Jesus will nicht vom "Gott des AT" wegführen, hin zum Gnostiker-Gott, sondern er will zum Gott des AT zurückführen.
Das prophetische Buch Jesaja, welches auch als „fünftes Evangelium“ bezeichnet wird, lässt m. E. keinen Zweifel darüber zu, dass Jesu Vater-Gott der hebräische Gott des AT ist. Dies wird besonders in Jes 63:16 deutlich:
Du bist unser Vater, Jahwe!
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#4 Re: Was ist eigentlich die Gnosis? (Bibelforum)

Beitrag von closs » Di 5. Mai 2015, 23:21

Faszinierend finde ich, dass nach Deinen Erläuterungen ganz wichtige Motive des Christentums aufgenommen werden, die selbst heute im Christentum nach meiner Ansicht weitgehend falsch verstanden werden, gleichzeitig diese Motive verdreht interpretiert werden - eine sehr brillante Konstellation.

So ist es natürlich richtig, dass das Dasein insofern ein "Unfall" ist, dass es Folge des Sündenfalls ist - aber deshalb nicht lebens-fremd und freuden-fremd sein soll.

Es ist ebenfalls aus meiner Sicht richtig, dass der Mensch im Dasein der höheren geistigen Erkenntnis zuwenden soll - trotzdem ist der Satz, man werde nach dem Daseins-Tod erkennen, wie man bereits jetzt erkannt ist (vgl. 1.Kor. 13,12) nicht gnostisch gemeint.

Weiterhin ist das Motiv, dass Gott zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Selbst-Offenbarungen erscheinen kann, aus meiner Sicht richtig und wichtig - aber nicht in dem Sinne, dass "Gott des AT" und "Vater-Gott-des NT" unterschiedliche Wesen seien.

Es sticht wirklich ins Auge, wie "nahe dran" in einigen Fällen die Gnosis ist (anscheinend näher als viele Denominationen heute), UND dass sie diese Nähe falsch auslegt. - Hoch interessant - vielen Dank für Deine Ausführungen.

JackSparrow
Beiträge: 5501
Registriert: Mi 30. Okt 2013, 13:28

#5 Re: Was ist eigentlich die Gnosis?(Bibelforum)

Beitrag von JackSparrow » Di 5. Mai 2015, 23:55

Halman hat geschrieben:Die in der Bibel gepriesene materielle Schöpfung wird also als "Fehler" gesehen
Das machen Christen doch auch.

Im Streben nach der "Erkenntnis eines göttlichen Funkens" mag ein Gnositker einen streng-asketischen Lebenstil verfolgen.
Nach Erkenntnis strebten auch Adam und Eva. Dummerweise war Jaldabaoth, der böse Demiurg, auf die Menschen eifersüchtig (seine Eifersucht auf alles, was ihm ähnlich ist, gibt er in der Bibel bereitwillig zu), warf sie aus seinem "Garten" raus und nahm ihnen die Unsterblichkeit weg. Passt doch super.

lässt m. E. keinen Zweifel darüber zu, dass Jesu Vater-Gott der hebräische Gott des AT ist. Dies wird besonders in Jes 63:16 deutlich:
Du bist unser Vater, Jahwe!
Jesus lässt den Zweifel zu, dass diese Leute einen anderen Vater hatten als er: Ihr seid von dem Vater, dem Widerwirker, und wollt nach den Begierden eures Vaters handeln. Derselbe war ein Menschentöter von Anfang an und hat nicht in der Wahrheit gestanden, weil keine Wahrheit in ihm ist. Joh8:22

Rembremerding
Beiträge: 2984
Registriert: So 18. Aug 2013, 16:16

#6 Re: Was ist eigentlich die Gnosis?(Bibelforum)

Beitrag von Rembremerding » Mi 6. Mai 2015, 06:39

Man muss gleichfalls beachten, dass sich die Gnosis nicht als kompakte Lehre darstellt. Unter persischen Einfluss entwickelte sich der Manichäismus, Strömungen aus der arabischen Welt schufen im späten Mittelalter in Europa das europäische Freimaurertum und die Rosenkreuzer. Katharer im 14. Jh. kannten die "Reinen", die sich Sex verweigerten, weil er die "böse" Materie weiterreicht. Im 19. Jahrhundert waren es vor allen Rudolf Steiner mit seiner Anthroposophischen Gesellschaft und zuvor die Theosophische Gesellschaft unter Madame Blavatsky (mit fernöstlichen Einflüssen), welche die Gnosis gesellschaftsfähig machten. Im Grunde sind heute etwa die harmlosen Rotarier oder der Lions Club die Rekrutierungsbüros der gnostischen Freimaurer, denn auf deren ideologischen Unterbau sind sie gegründet. Die Mitglieder wissen das oft gar nicht (deshalb findet man auch Kirchenpersonal unter ihnen).

Die Gnosis zeigt sich im Frühchristentum sehr dualistisch, sie ist eine philosophische Lehre und lässt gerade die Offenbarung Gottes in Jesus Christus als rein geistigen Vorgang gelten. Tatsächlich kann man später im Mittelalter schreiben, dass Jesu' Blut, als es am Kreuz in die Erde eindrang, die Erde "umgestaltete", der Christus zum Planetengeist der Erde wurde und die Menschen darauf auf eine höhere Entwicklungsstufe führte. Der an sich gnostische Mithraskult aus Persien übernahm sogar christliche Elemente in seine Mysterienschule, hier flossen also christliche Elemente in die Gnosis. Hellenisten sahen im Christentum übrigens am Anfang ebenso eine Mysterienschule. In Betfage und Bethanien im Hl. Land bei Jerusalem gibt es Höhlen, die als der Ort bezeichnet wird, in denen Jesus seinen Jüngern die Endzeitreden verkündete, quasi in seine "Mysterien" einweihte.

Die Entwicklungsstufen der gnostischen Mysterien gehen über 7 Durchläufe in 7 Perioden in 7 Epochen spiralförmig vonstatten, zuerst absteigend von reinem Geist in reine Materie, dann von der Materie aufsteigend zurück zum reinen Geist, nun aber voll bewusst und von der Ohnmacht zur Allmacht. In unzähligen Wiedergeburten kann die menschliche Seele sich selbst im Leben als "guter Mensch" erlösen, allein durch eine im Verstand zu erfassende Lehre und nicht durch den Erlöser Jesus Christus. Man erkennt darin auch fernöstliche, buddhistische Einflüsse.

Christentum und Gnosis zeigen sich tatsächlich äußerlich sehr ähnlich, sogar die Hl. Schrift wird voll anerkannt, aber eben gnostisch umgedeutet. Manchmal wissen Gnostiker gar nicht, dass sie eigentlich im Wortsinn keine Christen sind! Bei Juden entstand die Kabbala, Gnostiker haben ebenso eine eigene, anderen Religionen abgekupferte "Schöpfungslehre".
Priesterschaft, später in Aaron dargestellt, stand gegen Macht, später als Moses dargestellt. Es gab die Priesterlinie und die "Werklinie", die geistige Seite des Menschen und die materialistische. Beide standen gegeneinander (bis heute: Freimaurer gegen die Kirche oder Wissenschaft gegen Geisteswissenschaft/Kirche). Unter Salomon und unter Jesus (der Priester und "Werklinie" erstmals vereinte) gab es den Versuch beides zu vereinen. Jesus und Lazarus, Jesus und der Jüngling von Nain (Sohn der Witwe!) sind das gnostische Symbol dafür, dass es eine geistige Wiedergeburt geben kann.
Wichtige Unterschiede zwischen Gnosis und Christentum heute sind also: Wiedergeburt ja/nein, Jesus als Gott ja/nein, Jesus als Erlöser ja/nein, Gnade ja/nein, schematische, zu erlernende Lehre/persönlicher Gott.

Servus :wave:
Dieser katholische User ist hier dauerhaft inaktiv

2Lena
Beiträge: 4723
Registriert: Mi 30. Okt 2013, 09:46

#7 Re: Was ist eigentlich die Gnosis? (Bibelforum)

Beitrag von 2Lena » Mi 6. Mai 2015, 08:46

Halman hat geschrieben:Das Wort selbst stammt aus dem Griechischen und bedeutet soviel wie "Erkenntnis".
für was ... mit welcher Methode
Halman hat geschrieben:Weisheit und Erkenntnis über das Wesen des Menschen,".
Dazwischen setz einfach die Methoden der Gemantrie (Ermittlung von Summen) die logischerweise aus den NT Texten und auch im AT nicht vorkommen. Rechne die hebräische Grammatik und Zahlensysteme ein, die ganz andere Aussagen haben.
Mittlerweile kennt ihr das ...
Lasst mal das "Gelernte" außen vor...

Man hat das Wissen doch nicht per "Hl. Geist" bekommen, auch nicht mit verdrehten und verschraubten Allegorien. Es wurden wieder und wieder Jahrtausende Gesetze erklärt. Die Realität war gepaart mit "Bilanzen" (Balancen) und "Gesetzen". Logisch ist ein Teil per "cloud" lieferbar. Ich habe allerdings Mühe auf diese Weise das BGB zu erfahren und bediene mich dann mit Internet oder Büchern.

Das ist Erkenntnis, die Gnosis und nicht ein "wischiwaschi" rumbrüllender Löwe... ein rotierender Club.

Weil die hebräische Art des Lesens von alten Texten nicht in Griechisch auszudrücken war, versuchte man "Bilder" zu schaffen:

Halman hat geschrieben:Auf etwas zu wörtlich genommener Grundlage des Höhlengleichnisses Platons ist die Gnosis ein sprudelnder Quell wild wuchernder, phantasievoller und teils überaus komplexer Schöpfungsmythen, deren Gemeinsamkeiten darin bestehen, die Welt als einen Ort zu identifizieren, der eigentlich nicht existieren dürfte und der die Harmonie der eigentlich Weltgestalt - nämlich einer rein geistigen, immateriellen Sphäre - massiv stört.".

Das ist gut gelernt, aber sagt rein gar nichts, falls man die Mythen und Lehren nicht kennt. Auch das mittelalterliche "wie oben so unten" löst sich in Rauch auf ... aber nicht die Bibel. Die schafft mit Erzählungen (historische Hinweise) und überarbeitete Gesetze und Balancen ein fortlaufend flexibles Gesetz. Da lernt man "lebendig".
Die Methoden, das herauszufischen, nennt man "Gnosis":
Erfahrung angewandt auf die heutige Zeit.

Läuteten dir da nicht die Alamglocken!
Ein interessantes Phänomen im Entstehen gnostischer Glaubensvorstellungen ist allerdings, dass es kaum Hinweise auf einen originären gnostischen Mythos gibt.

ODER HIER:
Nun verhält es sich so, dass Christentum und Gnosis in etwa zeitgleich auftreten und sich gegenseitig beeinflussen.

ODER HIER ([d]als man mit den Texten nicht mehr umgehen konnte[/d], nur die Übersetzung kannte)
Überhaupt kam bei vielen Christen, die in der Gnosis eine Verfälschung ihrer Lehre sahen, der Wunsch auf, sich von dieser zu distanzieren.

Oder die ganz, ganz passende Stelle, weil der weitere Zugang zum AT fehlte.
(Setze Kirchengeschichte und "Gnosis" mit Bibelverständnis, dann siehst du das Dilemma des Missverstehens ...)
So schnell, wie die Bewegung der gnostischen Glaubensvorstellungen im ersten Jahrhundert gekommen war, so schnell war sie dann zwei Jahrhunderte später nahezu komplett wieder verschwunden.
Das ist die Zeit, 2. Jahrhundert, wo man anfing mit Sekten, Häresien, AT abschaffen, Kämpfe ...
Kurz und gut, die Gnosis kam nicht mit.

Die waren zu faul Hebräisch zu lernen, damit sie das AT hätten verstehen können.


POLEMISCHER Natur?

Leider sind die meisten Quellen, die wir zu diesem Phänomen besitzen in den Schriften der Kirchenväter oder diversen pseudopaulinischen Briefen des NT zu finden und diese sind natürlich polemischer Natur, denn man will ja kein gutes Haar an der Konkurrenz lassen.
Polemik? Das ist doch die Methode, mit der bei der *Auslegung gedichtet wird.

Da wurde nicht "mit dem Schwert erwürgt", sondern
a) Ödes abgewürgt und b) Nobles hochgebracht.
Es fällt doch auf, dass mit dem Schwert nicht "gewürgt" wird.

Das ist doch ein Dilemma, dass man heute weder die Streitschriften noch die Kirchenväter *lesen kann.

P.S.@ Halman
Danke aber für den so kundig dargelegten Beitrag.
Ich hoffe, es gehen bei deinen Ausführungen endlich mal die klemmenden Schaltstellen auf!

Pluto
Administrator
Beiträge: 43975
Registriert: Mo 15. Apr 2013, 23:56
Wohnort: Deutschland

#8 Re: Was ist eigentlich die Gnosis? (Bibelforum)

Beitrag von Pluto » Mi 6. Mai 2015, 09:47

2Lena hat geschrieben:Dazwischen setz einfach die Methoden der Gemantrie (Ermittlung von Summen) die logischerweise aus den NT Texten und auch im AT nicht vorkommen. Rechne die hebräische Grammatik und Zahlensysteme ein, die ganz andere Aussagen haben.
Mittlerweile kennt ihr das ...
Lasst mal das "Gelernte" außen vor...
Nee, nee...
Gematrie ist nicht die Ermittlung von Summen, sondern reine Zahlenspielerei mit Hermeneutik, egal ob Bibelexegese oder eine andere Schrift. Nostradamus war ein Meister dieser "Kunst" — reine Wahrsagerei und Pseudowissenschaft.

2Lena hat geschrieben:P.S.@ Halman
Danke aber für den so kundig dargelegten Beitrag.
Dem kann ich hingegen voll und ganz zustimmen. :D
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Benutzeravatar
Vitella
Beiträge: 1578
Registriert: Mi 2. Okt 2013, 12:18

#9 Re: Was ist eigentlich die Gnosis? (Bibelforum)

Beitrag von Vitella » Mi 6. Mai 2015, 09:58

Halman hat geschrieben: :wave: in den Diskussionen rund um die Bibel wird hin und wieder auch kritisch die Zusammenstellung des Bibelkanons angesprochen. Dabei spielen häufig die "Apokryphen" bzw. Spätschriften zum NT eine Rolle, insbesondere die gnostischen Schriften.


Gnostiker gab es zu allen Zeiten, denn die Gnosis (die Erkenntnis Gottes) war eine Kraft, die sich jedem Menschen direkt mitteilt, unabhängig von religiösen Systemen und Überlieferungen.
mir gefallen die gnostischen Schriften besser als was in der Bibel steht.

http://de.wikipedia.org/wiki/Nag-Hammadi-Schriften
Die Nag-Hammadi-Schriften (auch als Nag-Hammadi-Bibliothek bekannt) sind eine Sammlung frühchristlicher Texte, die hauptsächlich der Gnosis zuzurechnen sind. Sie wurde im Dezember 1945 in der Nähe des kleinen ägyptischen Ortes Nag Hammadi von ansässigen Bauern gefunden. Die meisten dieser Schriften waren bis dahin gar nicht oder nur fragmentarisch bekannt. Dazu gehört insbesondere das Thomasevangelium.
  Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus,
der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen.
1 Petrus 5:10

 

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#10 Re: Was ist eigentlich die Gnosis? (Bibelforum)

Beitrag von closs » Mi 6. Mai 2015, 10:30

Vitella hat geschrieben:mir gefallen die gnostischen Schriften besser als was in der Bibel steht.
Deine Haltung kann ich gut nachvollziehen - vor allem die wörtliche Übersetzung als "Erkenntnis Gottes" ist sehr attraktiv. - Das Problem sind die ideologischen Hintergründe, die mit dem Namen "Gnosis" verbunden sind.

Vielleicht kann jemand die Frage beantworten, ob es eine reine, universale Version der Gnosis (im Sinne von "Erkenntnis Gottes") gab, bevor sie ideologisch (Demiurg, etc.) kontaminiert wurde.

Antworten