Wie ist Jesu Endzeitrede zu verstehen?

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Halman
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#1 Wie ist Jesu Endzeitrede zu verstehen?

Beitrag von Halman » Sa 16. Mai 2015, 20:37

:wave: im Rahmen der Parusieverzögerungs-Debatte, sowie anderer Dikussionen wurde auch häufiger auf Jesu Entzeitrede Bezug genommen.
Es geht um folgende Begebenheit: Am 11. Nisan 33 n .Chr. (drei Tage vor "Karfreitag") traten auf dem Ölberg nahe Jerusalem vier Jünger zu Jesus, doch lesen wir, wie Markus dies berichtet:
Zitat aus Mk 13:1-3:
1 Und als er aus dem Tempel heraustrat, sagt einer seiner Jünger zu ihm: Lehrer, sieh, was für Steine und was für Gebäude! 2 Und Jesus sprach zu ihm: Siehst du diese großen Gebäude? Hier wird nicht ein Stein auf dem anderen1 gelassen werden, der nicht abgebrochen werden wird. 3 Und als er auf dem Ölberg dem Tempel gegenübersaß, fragten ihn Petrus und Jakobus und Johannes und Andreas für sich allein:
Daraufhin beantworte Jesus ihnen diese Frage in seiner Entzeitrede, die von allen Synoptikern berichtet wird, so in
- Mk 13:4-37
- Mat 24:1-44 ff. bis Mat 25:46.
- Luk 21:5-36
Zur lukaischen Schilderung nahm ich in diesem Beitrag bezug.

Wie ist diese Entzeitrede zu verstehen? Offenbar spielte die nahe Zerstörung Jerusalems eine Rolle, aber auch das "nahe" [König]Reich (Himmelreich) Gottes. Die Teile von Jesu Worten, die sich auf Jerusalem und die Römer beziehen, sind so zutreffend, dass Historiker und Theologen, welche die historisch-kritische Exegese konsequent vertreten, [mehrheitlich] der Auffassung sind, dass die Evangelien nach der Zerstörung der jüdischen Hauptstadt, also ab 70 n. Chr., geschrieben wurden. Aber einige Aussagen erfüllten sich damals offenbar nicht und werden später in der Offenbarung des Johannes aufgegriffen und prophetisch vertieft. Deutet dies auf eine doppelte Erfüllung der jesuanischen Entzeitrede hin?
Ist es denn überhaupt legitim, in biblischen Texten eine doppelte oder gar mehrfache Bedeutung zu "erkennen"? - Nun, es kommt meiner Meinung nach darauf an, zwei Beispiele:
1. In Dtn 25:4 wird geboten, einen drischenen Ochsen nicht das Maul zu verbinden. Dies war eine ganz konkrete Weisung zum Tierschutz.
Doch Paulus erkennt darin noch eine tiefere, geistige Bedeutung, wie aus 1 Kor 9:9.10 f. hervorgeht.

2. In Gen 1:2.3 lässt Gott Licht in der Finsternis erstrahlen. Im Schöpfungsbericht bezieht sich dies vermutlich schlicht und einfach auf das Tageslicht, doch kann dies auch als Anspielung auf die Lichtlawine im Anfang des Universums interpretiert werden, auch wenn wir nur den Saum seines Kleides erahnen.
1. Die Entstehung der Welt mit dem Urknall und dem Ursprung der dafür nötigen Energie: das Wesentliche der biblischen Genesis als Vorwegnahme der Naturwissenschaft. Das göttliche "Es werde Licht" als dem Bewusstsein der damaligen Menschen angepasste Kurzformel für die Instabilität des Vakuums in der Quantengravitation, aus dem sich eine Lichtlawine und erst später die Materie als führender Energieträger entwickelt hat.
Beide Deutungen schließen einander nicht aus.
Paulus greift diese Worte in 2Kor 4.6 auf und wendet sie (ähnlich wie später "Johannes" in Joh 1:5) auf Jesus als das Licht an, welches in der Finsternis der Welt erstrahlte. Damit hätten wir in diesem Beispiel sogar schon drei Deutungen.

Mein Fazit daraus ist, dass biblische Texte durchaus doppelte oder gar mehrfache Bedeutungen aufweisen können, sofern man dies begründen kann.
Kann man dies auch auf die jesuanische Endzeitrede anwenden? Wie versteht ihr sie?

Nun bin ich gespannt. :)
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

2Lena
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#2 Re: Wie ist Jesu Endzeitrede zu verstehen?

Beitrag von 2Lena » Sa 16. Mai 2015, 21:12

Halman hat geschrieben:Ist es denn überhaupt legitim, in biblischen Texten eine doppelte oder gar mehrfache Bedeutung zu "erkennen"?
Man kommt nicht umhin, die Dichtung ist darauf ausgelegt!
Z.B. bei "Kain siebenmal gerächt" kommt der Hinweis, das Wort "jekam" mit "mindestens" sieben Bedeutungen zu nehmen, die grammatikalisch vorliegen. Damit wird erklärt, was sich rächen wird, was hochkommen soll, was sich rächte, was an Erfahrung, Gewonnenes (kain) zustande kam, etc. Also sieben Grammtikformen mit jeweis drei Zeitverschiebungen sind damit zu rechnen.

Das Besondere an den biblischen Prophezeiungen ist, dass sie nicht nur in der damaligen Zeit "inspirierten und ganz große Aufregung gebracht hatten, da die Zerstörung des Tempels eintrat. Es war vorauszusehen, dass diese Art Kult nicht weiter gehen konnte, genau wie man heute weiß, Nylonstrümpfe haben ausgedient.

Sowohl Matth. 24 als auch Lukas 21, in denen Prophezeiungen vorkommen sind eingebettet in ganz andere Lehren. Dazu müssten wir Schritt für Schritt und Vers für Vers erst einmal die ganzen sprachlichen Folgen auseinanderbreiten und können dann erst den Schluss zum Inhalt bekommen.

closs
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#3 Re: Wie ist Jesu Entzeitrede zu verstehen?

Beitrag von closs » Sa 16. Mai 2015, 21:20

Kann es nicht sein, dass so viele Interpretations-Möglichkeiten enthalten sind, dass für jede heilsgeschichtliche Phase was dabei ist?

Rembremerding
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#4 Re: Wie ist Jesu Entzeitrede zu verstehen?

Beitrag von Rembremerding » Sa 16. Mai 2015, 21:56

Hallo @Halman :)

Es gab im Urchristentum eine Tradition, die von christlichen Mysterien sprach. Sie sind Teil einer innerchristlichen Gnosis, die ich bereits in einem anderen Thread erwähnte. Zum Mysterienort habe ich vor einiger Zeit andernorts einen Text verfasst:
Die Eleona-Kirche am Ölberg
Das griechische Wort für „Olivenhain“, „Ölberg“, „Ölgarten“ bedeutet in der lateinischen Form „Eleona“. Diese „Ölbergkirche“ lag tatsächlich auf dem Ölberg bei Jerusalem. Heute findet man das von Kaiser Konstantin und seiner Mutter Helena initiierte Bauwerk nicht mehr am Ölberg. Es ging, wie viele andere Kirchen im Hl. Land, beim Persereinfall 614 zu Grunde und wurde nie wieder aufgebaut.
Das Kloster der französischen Karmelitinnen steht heute am Platz der ehemaligen Eleona-Kirche. Dort befindet sich auch der Kreuzgang mit den vielen Steintafeln, welche mit dem „Vater unser“ in verschiedenen Sprachen beschriftet sind. Ausgrabungen im Jahr 1910 brachten Grundmauern der konstantinischen Kirche zu Tage und eine Höhle, über die sie errichtet wurde. Dabei handelte es sich um eine dreischiffige Basilika mit 70 Metern Länge. Eusebius deutet den Grund für dieses Bauwerk an, wenn er schreibt, dass die Höhle der Ort war, wo „der Erlöser des Universums in der Grotte selbst seine Anhänger in die geheimen Mysterien eingeweiht habe“. Es handelte sich also um eine heilige Höhle, in der christliche Mysterien vermittelt wurden.
Über die Art dieser Mysterien wird bereits in vorkonstantinischer Zeit berichtet. Am Ölberg existierte neben der Grotte in Getsemani eine weitere, verehrte Grotte, in der Jesus den Jüngern das Ende der Welt und den Untergang des Tempels in Jerusalem voraussagte. Die Grotte ist also jener Ort, der im 24. Kapitel des Matthäusevangeliums und im 13. Kapitel des Markusevangeliums Schauplatz der Endzeitrede des Herrn war. Auch die letzte Belehrung seiner Jünger vor der Himmelfahrt (Apg 1:7f.) soll hier stattgefunden haben. Die vorkonstantinischen Berichte bestätigen also die Hinweise des Eusebius über die Heiligkeit dieser Grotte am Ölberg.
Aus alten Zeugnissen kann man nicht ableiten, dass diese Grotte auch der Ort war, wo Jesus den Jüngern das „Vater unser“ lehrte. Die absinkende Bedeutung der Eleona-Kirche und letztendlich ihr verschwinden liegt wohl daran, dass in der späteren christlichen Tradition das Mysterium der Belehrung der Jünger durch Jesus über die Endzeit nicht mehr im Mittelpunkt der Lehre stand. Der Verlust der Anziehungskraft und Lebendigkeit dieser Lehre verursachte das Vergessen der Tradition, die in dieser Grotte ihren Anfang nahm.
Der vielschichtige Inhalt dieser Mysterien ist noch bekannt und auch deren Rituale. Sie sind gegen Ende des 4. Jh. aus der Glaubenspraxis der Christen verschwunden. Zu diesen Mysterien gehört übrigens auch die "Initiationszeit" des Herrn von 40 Tagen in der Wüste. Der Mithraskult hat einiges davon übernommen.
Servus :wave:
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Samantha

#5 Re: Wie ist Jesu Endzeitrede zu verstehen?

Beitrag von Samantha » Sa 16. Mai 2015, 22:50

Halman hat geschrieben: - Mk 13:4-37
[...]

Wie ist diese Entzeitrede zu verstehen?
[...]
Mein Fazit daraus ist, dass biblische Texte durchaus doppelte oder gar mehrfache Bedeutungen aufweisen können, sofern man dies begründen kann.
Kann man dies auch auf die jesuanische Entzeitrede anwenden? Wie versteht ihr sie?
Aus Markus (s. o.) entnehme ich, dass Jesus sich gleichzeitig auf die damalige Zeit (Tempel, Judäa) und auf später bezog, da er "verkürzte Tage" und falsche Christusse erwähnte - auch sprach er in Gleichnissen. Die Verfinsterung der Sonne und des Mondes und die herabfallenden Sterne sind sicherlich auch nur ein Gleichnis - fragt sich nur, was er damit meinte.

Pluto
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#6 Re: Wie ist Jesu Endzeitrede zu verstehen?

Beitrag von Pluto » So 17. Mai 2015, 00:28

Halman hat geschrieben:Mein Fazit daraus ist, dass biblische Texte durchaus doppelte oder gar mehrfache Bedeutungen aufweisen können, sofern man dies begründen kann.
Damit habe ich so meine Probleme.

In der Mathematik gibt es auch nur eine Antwort auf die Frage wieviel ist 2+2. Sie kann nicht für den einen 3,5, für den Nächsten 4,5 und für den dritten 4 sein. Zwei Antworten sind falsch.

Du wirst sagen, die Bibel ist ein Text und keine Mathematik. Somit ist der Bibeltext für verschiedene Auslegungen offen.
Darauf erwidere ich aber, warum lässt Gott denn solche Interpretationen zu?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

2Lena
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#7 Re: Wie ist Jesu Endzeitrede zu verstehen?

Beitrag von 2Lena » So 17. Mai 2015, 00:32

Pluto hat geschrieben:...Bibeltext für verschiedene Auslegungen offen.
Darauf erwidere ich aber, warum lässt Gott denn solche Interpretationen zu?
Pluto, mit Zweideutigkeiten kommst du in Faschingsveranstaltungen ganz gut klar, nehme ich mal an. Das Problem der Bibel liegt in den Sprachverschiebungen, die eben das sprachliche Verständnis nicht mehr drin hat. Du kannst nicht ein "Spiegelei" zu einem "mirroregg" machen. Was die sich in England darunter vorstellen, wirkt wirklich komisch.


@Rembremberding

Danke für deine interessanten Hinweise zum Ölberg!
Die Nähe vom Kloster ist übrigens als "Hl.Ort" generell für viele feinsinnig Begabte spürbar. So etwas ist als eine "Funkverbindung" schwer beschreibbar.

Dein Rückschluss Mithraskult ist wohl nicht ganz vollständig, da du nicht auch die Kulturschnittstellen mitrechnest, auf die sich auch Jesus bezieht.


@ Samantha

über die Verfinsterung der Sonne und des Mondes und herabfallende Sterne haben viele Seher gesprochen, u.a. auch bayerische wie Irlmaier, oder das prophetische Lied der "Linde" aus den ?20-er Jahren.

Jahenny eine franzöische Prophetin, beschrieb vor wohl schon über 200 Jahren die heutige Situation und erwähnt ebenso Tage und Nächte ohne Licht. Das Buch gibt es als Download, aber ich weiß nicht mehr wo. Natürlich gibt es jede Menge "verdrehter" Literatur, die außer Sensation und große Angstmache ohne Sinn nicht viel bieten.

R.F.
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#8 Re: Wie ist Jesu Endzeitrede zu verstehen?

Beitrag von R.F. » So 17. Mai 2015, 11:24

Samantha hat geschrieben: - - -
Die Verfinsterung der Sonne und des Mondes und die herabfallenden Sterne sind sicherlich auch nur ein Gleichnis - fragt sich nur, was er damit meinte.
Dazu die Parallele in Offenbarung 6,12-13 (Luther):

Und ich sah, dass es das sechste Siegel auftat, und siehe, da ward ein großes Erdbeben, und die Sonne ward schwarz wie ein härener Sack, und der Mond ward wie Blut;
und die Sterne des Himmels fielen auf die Erde, gleichwie ein Feigenbaum seine Feigen abwirft, wenn er von großem Wind bewegt wird.

Das ist durchaus wörtlich zu verstehen. Bevor die “Sterne” - selbstverständlich sind das Meteoritenschwärme oder ähnliches - auf der Erde einschlagen, verdunkeln sie das Licht von Sonne und Mond. Zwangsläufig sind auch die Sterne kurzzeitig nicht mehr sichtbar.

Es gab in der Geschichte ab und zu furchterregende Ereignisse kosmischen Ursprungs. Aber das oben beschriebene übersteigt Erfahrung und Vorstellungsvermögen des Menschen bei weitem. Das Geschehen ist übrigens nur der Auftakt für weitere Umwälzungen...

Salome23
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#9 Re: Wie ist Jesu Endzeitrede zu verstehen?

Beitrag von Salome23 » So 17. Mai 2015, 11:39

verdunkeln sie das Licht von Sonne und Mond....
Sowas ähnliches fand ja schon bei der Kreuzigung Jesus statt( gibt es hierzu eigentlich historische Hinweise?)

Lukas 23
44 Und es war schon um die sechste Stunde;
und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde,
45 da sich die Sonne verfinsterte; der Vorhang des Tempels aber riss mitten entzwei.
46 Und Jesus rief mit lauter Stimme und sprach: Vater, in deine Hände übergebe ich meinen Geist!


Um eine Sonnenfinsternis konnte es sich dabei nicht handeln, weil die keine 3 Stunden dauert ;)

Rembremerding
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#10 Re: Wie ist Jesu Endzeitrede zu verstehen?

Beitrag von Rembremerding » So 17. Mai 2015, 12:00

Salome23 hat geschrieben: Sowas ähnliches fand ja schon bei der Kreuzigung Jesus statt( gibt es hierzu eigentlich historische Hinweise?)

Zum Erdbeben ja in außerbiblischen Quellen:
Im Jerusalemer Talmud unter Joma fol. 43c. oder ähnlich im Babyl. Talmud unter fol. 39b findet man dazu etwas.
Dort wird von einem Rabbi Joachanan ben Sakkai berichtet, der eines Morgens im Tempel Dinge sah, die ihn erschreckten, weil er sie als Vorzeichen zum Ende des Heiligtums deutete. Neben anderen Dingen war es unheimlich, dass man die Tür des Tempels am Abend verschloß, am Morgen stand sie aber offen. Das spielt auf Sach 11, 1 an.
Josephus beschreibt dann im "Jüdischen Krieg" (VI, 5, 2-4) diesen Vorfall und gibt Augenzeugen an, die berichten, dass sich dies am "Fest der ungesäuerten Brote" ereignete.
Hieronymus wiederum schreibt in seiner Übersetzung zum Hebräer-Evangelium, dass die Oberschwelle zu jener Zeit entzweibrach, als Jesus starb und dadurch der Vorhang zerriß. Auch der Talmud sagt aus, dass sich dieses Geschehen "40 Jahre bevor das Haus zerstört wurde" ereignete, also im Jahr 30. In diesem Jahr wurde der Herr gekreuzigt.
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