Abraham kam aus Ur - aber aus welchem?

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PeB
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#1 Abraham kam aus Ur - aber aus welchem?

Beitrag von PeB » Di 15. Jan 2019, 12:45

Wir lesen in
1. Mose 11, 27-28 hat geschrieben:Dies ist das Geschlecht Terachs: Terach zeugte Abram, Nahor und Haran; und Haran zeugte Lot. Haran aber starb vor seinem Vater Terach in seinem Vaterland zu Ur in Chaldäa.
In der jüdisch-christlichen Tradition wird dieses Ur in Chaldäa klassischerweise mit der Stadt Ur im Süden des Zweistromlandes - einer Landschaft names Chaldäa - identifiziert.

Aber die wenigsten wissen, dass es zwei antike Landschaften mit dem Namen Chaldäa gab - und dass es ebenso zwei Lokalitäten gab, die sich mit Ur bezeichnen lassen.

Die zweite Landschaft namens Chaldäa befindet sich in Ostanatolien
rund um den Van-See und umfasst das spätere Urartäische Reich - auf akkadisch auch Uri genannt und wortverwand mit dem Namen des Berges Ararat. Das Gebiet zieht sich bis ins Urmia-Tal. Viele der dortigen antiken Siedlungen lauten auf -Ur- wie z.B. TeiÅ¡ebai URU, Rusai URU oder URU Ziuqinui. Das weist darauf hin, dass die Wortwurzel UR eng mit dieser Landschaft verbunden ist.

Denkbar wäre, dass die Identifikation des südbabylonischen Ur auf die Zeit des babylonischen Exils zurück zu führen ist, in der die Erinnerung an das "eigentliche Ur" verblasst war und man das babylonische Ur existent vor Augen hatte. Ein Hinweis darauf könnte sein, dass in Ur selbst Schrifttafeln gefunden wurden, auf denen verzeichnet ist, dass Nebukadnezar - babylonischer Herrscher während des Exils - den Wiederaufbau der Zikkurat in Ur beauftragt hatte.

Was spricht gegen das südbabylonische Ur als Geburtsstadt von Abraham?
Abram zieht mit seiner Familie laut 1. Mose 11, 31 von Ur aus nach Haran. Haran (heute: Harran) ist eine südtürkische Stadt an der Grenze zu Syrien.
Die Entfernung zwischen dem südbabylonischen Ur und dem südtürkischen Harran beträgt etwa 1600 km, während die Entfernung zwischen Chaldäa am Van-See und Harran lediglich knapp 500 km beträgt.
Das alleine ist noch kein starkes Argument.

Aber Abraham wandert im Laufe der Erzählung weiter nach Kanaan und schließlich nach Ägypten.
Die Route zwischen anatolischem Hochland und Ägypten entspricht einer logischen saisonalen Bewegung von Hirtennomaden, die im Sommer üblicherweise die kühlen Hochebenen im Norden und im Winter die milden Weidegründe im Süden aufsuchen. Die Route zwischen Van-See und Ägypten macht historisch als Nomadenroute einen Sinn.

Währenddessen erklärt sich eine Route von Südbabylonien bis zum 1600 km nordwestlich gelegenen Harran, um dann wieder nach Süden in Richtung Ägypten abzubiegen überhaupt nicht aus dem Kontext der Lebensumstände.

Weitere Gründe dafür, "Ur in Chaldäa" mit dem Van-See-Bereich zu identifizieren:
die gesamte biblische Abstammungsgeschichte spielt sich bis dahin - soweit identifizierbar - im ostanatolischen Raum ab; vom Garten Eden an, der im Quellbereich von Euphrat und Tigris angesiedelt wird bis zur Sintflut, nach der Noah mit der Arche am Berg Ararat anlandet. Danach - mit Abram - wird der Leser dann plötzlich ganz unvermittelt 1000 km nach Süden, zur Mündung von Euphrat und Tigris empfohlen.
Einzig die Geschichte vom Turmbau von Babel ist eingeschoben und könnte die Distanz erklären - allerdings sind hier keine biblischen Stammväter namentlich involviert, was zu erwarten wäre, wenn diese von Ostanatolien nach Südbabylonien gewandert wären.
Der Turmabu zu Babel ist nach meiner Eischätzung ein Einschub, der von einer anderen "Ecke der Welt" berichtet.
Es heißt hier lediglich
1. Mose 11,2 hat geschrieben:Als sie nun von Osten aufbrachen, fanden sie eine Ebene im Lande Schinar und wohnten daselbst
Mit "sie" sind hier die Menschen (nach der Sintflut) allgemein benannt und es wird kein Bezug auf irgendeinen Stammvater genommen.

Nach meiner Vorstellung stammt Abraham demnach aus dem "urartäischen" Gebiet im ostanantolischen Chaldäa - wo seine Sippe seit Urzeiten beheimatet war - bevor er dann nach Süden über Harran nach Kanaan und Ägypten weiterreiste - auf dem üblichen Nomadenweg, der seit Generationen vermutlich bekannt war.

Ich glaube übrigens auch nicht, dass diese Deutung der biblischen Schilderung widersprechen würde, wenn sie auch der traditionellen Auslegung widerspricht.

Oder seht ihr das anders?

jose77
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#2 Re: Abraham kam aus Ur - aber aus welchem?

Beitrag von jose77 » Di 15. Jan 2019, 13:18

Schickte Abraham nicht seinen Knecht zu seiner Familie nach Mesopotamien?
Grüsse von Jose


Lass mich!...Ich muss mich da jetzt kurz reinsteigern

Helmuth
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#3 Re: Abraham kam aus Ur - aber aus welchem?

Beitrag von Helmuth » Di 15. Jan 2019, 13:20

PeB hat geschrieben:
Di 15. Jan 2019, 12:45
Oder seht ihr das anders?
Ich kann es nicht anders sehen, weil es brandneu ist, was du hier schreibst. Und erstaunlich.

Aber es klingt nachvollziehbar. 1 Mose 11,2 spricht dir sogar zu, in dem sie "von" Osten herzogen. Andere Übersetzungen schreiben "nach" Osten zogen. Der hebräische Urtext (biblehub) sagt aber "von" d.h. sie kamen aus dem Osten. Das spricht dann für deine Darstellung.

Nun es müssen sich alle Fakten decken. Also nicht Ur hier und Chaldäa dort. Das ist Voraussetzung. Und es scheint gegeben. Hast du das auf wissenschaftlicher Ebene schon mal vorgetragen? Oder würde man dich gleich steinigen? :D
Der Herr steht zu mir, deshalb fürchte ich mich nicht. Was kann ein Mensch mir anhaben?
Ps 118:6

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Travis
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#4 Re: Abraham kam aus Ur - aber aus welchem?

Beitrag von Travis » Di 15. Jan 2019, 13:33

PeB hat geschrieben:
Di 15. Jan 2019, 12:45
Aber die wenigsten wissen, dass es zwei antike Landschaften mit dem Namen Chaldäa gab - und dass es ebenso zwei Lokalitäten gab, die sich mit Ur bezeichnen lassen.
Gibt es Hinweise darauf, dass sich unter diesen Leuten auf solche befinden, welche das Zweistromland als Ausgangsort annehmen? Es wäre in jedem Fall interessant zu erfahren, weshalb das Zweistromland angenommen wird.
PeB hat geschrieben:
Di 15. Jan 2019, 12:45
Währenddessen erklärt sich eine Route von Südbabylonien bis zum 1600 km nordwestlich gelegenen Harran, um dann wieder nach Süden in Richtung Ägypten abzubiegen überhaupt nicht aus dem Kontext der Lebensumstände.
Spontan würde ich Lebensumstände nicht als Referenz für Abrahams Reise nehmen, schon wegen Gen 12,1-9 nicht. Erst in Gen 12,10ff werden Lebensumstände deutlich, wobei JHWHs Aufmerksamkeit offenkundig nicht nachgelassen hat, weshalb ich auch hier eher Gott als führenden "Umstand" annehmen würde.
Ich weiß, dass ich nicht einmal weiß das ich nichts weiß.

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ProfDrVonUndZu
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#5 Re: Abraham kam aus Ur - aber aus welchem?

Beitrag von ProfDrVonUndZu » Di 15. Jan 2019, 14:23

jose77 hat geschrieben:
Di 15. Jan 2019, 13:18
Schickte Abraham nicht seinen Knecht zu seiner Familie nach Mesopotamien?
Ja, Abrahams Verwandtschaft stammt aus Mesopotamien, von jenseits des großen Stromes (von Kanaan aus gesehen, siehe Josua 24,2). Mesopotamien bedeutet zwischen den Flüssen, der hebr. Name lautet Aram Neharim, was Anhöhe der Ströme bedeutet. Chaldäer ist nur eine allgemeine gr. Bezeichnung für eine Gesellschaft von Sterndeutern oder Astronomen. Der hebr. Name für die Chaldäer lautet Kaschdim, was wohl eine Eigennezeichnung des Volkes war.
"Viele, die leben, verdienen den Tod. Und manche, die sterben, verdienen das Leben. Kannst du es ihnen geben? Dann sei auch nicht so rasch mit einem Todesurteil bei der Hand." - Gandalf in J.R.R Tolkien - Herr der Ringe, Band 1

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#6 Re: Abraham kam aus Ur - aber aus welchem?

Beitrag von PeB » Di 15. Jan 2019, 15:23

Helmuth hat geschrieben:
Di 15. Jan 2019, 13:20
Hast du das auf wissenschaftlicher Ebene schon mal vorgetragen? Oder würde man dich gleich steinigen? :D
Nein, du weißt: ich arbeite nicht mehr wissenschaftlich. Aber steinigen würden sie mich nicht. :)

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#7 Re: Abraham kam aus Ur - aber aus welchem?

Beitrag von PeB » Di 15. Jan 2019, 15:28

jose77 hat geschrieben:
Di 15. Jan 2019, 13:18
Schickte Abraham nicht seinen Knecht zu seiner Familie nach Mesopotamien?
Ja, aber Nahors (der Ort zu dem der Knecht geschickt wurde) liegt im nördlichen Mesopotamien - nicht im südlichen, wo sich Ur befindet. Also näher an Harran und Ostanatolien als am südlichen Ur.

PeB
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#8 Re: Abraham kam aus Ur - aber aus welchem?

Beitrag von PeB » Di 15. Jan 2019, 15:30

Travis hat geschrieben:
Di 15. Jan 2019, 13:33
PeB hat geschrieben:
Di 15. Jan 2019, 12:45
Aber die wenigsten wissen, dass es zwei antike Landschaften mit dem Namen Chaldäa gab - und dass es ebenso zwei Lokalitäten gab, die sich mit Ur bezeichnen lassen.
Gibt es Hinweise darauf, dass sich unter diesen Leuten auf solche befinden, welche das Zweistromland als Ausgangsort annehmen? Es wäre in jedem Fall interessant zu erfahren, weshalb das Zweistromland angenommen wird.
Verstehe die Frage nicht. Welche Leute?

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#9 Re: Abraham kam aus Ur - aber aus welchem?

Beitrag von PeB » Di 15. Jan 2019, 15:33

ProfDrVonUndZu hat geschrieben:
Di 15. Jan 2019, 14:23
jose77 hat geschrieben:
Di 15. Jan 2019, 13:18
Schickte Abraham nicht seinen Knecht zu seiner Familie nach Mesopotamien?
Er schickt aber seinen Knecht nach Nahors in Nordmesopotamien und nicht nach Ur in Südmesopotamien.

ProfDrVonUndZu hat geschrieben:
Di 15. Jan 2019, 14:23
Ja, Abrahams Verwandtschaft stammt aus Mesopotamien, von jenseits des großen Stromes (von Kanaan aus gesehen, siehe Josua 24,2).
Mesopotamien ist ein riesiges Gebiet - von der Südtürkei bis an den persischen Golf.

ProfDrVonUndZu hat geschrieben:
Di 15. Jan 2019, 14:23
Mesopotamien bedeutet zwischen den Flüssen, der hebr. Name lautet Aram Neharim, was Anhöhe der Ströme bedeutet. Chaldäer ist nur eine allgemeine gr. Bezeichnung für eine Gesellschaft von Sterndeutern oder Astronomen. Der hebr. Name für die Chaldäer lautet Kaschdim, was wohl eine Eigennezeichnung des Volkes war.
Zu allererst ein Name einer Bevölkerung - diese waren als Sterndeuter bekannt und danach wurden alle Sterndeuter erst Chaldäer genannt.

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Travis
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#10 Re: Abraham kam aus Ur - aber aus welchem?

Beitrag von Travis » Di 15. Jan 2019, 17:01

PeB hat geschrieben:
Di 15. Jan 2019, 15:30
Verstehe die Frage nicht. Welche Leute?
Du hattest folgendes geschrieben:
PeB hat geschrieben:
Di 15. Jan 2019, 12:45
Aber die wenigsten wissen, dass es zwei antike Landschaften mit dem Namen Chaldäa gab - und dass es ebenso zwei Lokalitäten gab, die sich mit Ur bezeichnen lassen.
Weshalb ich mich fragte, wer das wohl sei der da zu den "wenigsten" zu zählen ist. Leute die sich eh nicht damit auskennen? Leute die sich intensiv mit der Materie befasst haben? Die letztere Gruppe an Menschen ist es ja, bei denen die genannte Unkenntnis überraschen würde. Das die Verortung von Chaldäa kein Allgemeinwissen ist, dürfte klar sein.

Daher meine Frage, ob von den Fachleuten die sich mit dem Thema intensiv befasst haben und die vom Zweistromland ausgehen welche sind, die nachweislich NICHT wissen (wussten), dass es mehr als ein Chaläa gibt?
Ich weiß, dass ich nicht einmal weiß das ich nichts weiß.

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