Historisch-kritische Exegese und ihre Folgen - Teil II

Rund um Bibel und Glaube
Roland
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#101 Re: Historisch-kritische Exegese und ihre Folgen - Teil II

Beitrag von Roland » Sa 11. Mai 2019, 12:58

Thaddäus hat geschrieben:
Sa 11. Mai 2019, 09:44
Nein, Naturgesetze können nicht gelten und trotzdem willentlich aufgehoben werden. Wenn du das denkst, irrst du dich einfach, weil dir wissenschaftstheoretisches Basiswissen fehlt.
Das fehlt dir ganz offensichtlich.
Naturgesetze sind nur die beobachteten Regelmäßigkeiten in der Natur. Aus der Beobachtung, dass ein Apfel immer nach unten fällt, kann man die Wahrscheinlichkeit ableiten, dass ein Apfel das auch in 1000 Jahren tun wird. Man kann das aber nicht beweisen. Das ist das Problem der Induktion, wie ich es hier schonmal (im unteren Drittel) beschrieben habe. Auch wenn sich etwas immer und immer wieder wiederholt, ist damit nicht bewiesen, dass es unter bestimmten Umständen nicht anders sein kann. Dann z.B., wenn ein höheres Wesen eingreift.
Oder wie im Fall des Huhnes, das regelmäßig eine Ration Futter bekam, als der Bauer eingriff:

"Sie (die Wahrscheinlichkeitsüberlegung) kann niemals ganz zur Gewissheit werden, weil wir wissen, dass es trotz häufiger Wiederholungen manchmal zu guter Letzt doch noch eine Überraschung gibt: wie in dem Fall des Huhns, dem das Genick umgedreht wird." (Bertrand Russel "Probleme der Philosophie")
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Roland
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#102 Re: Historisch-kritische Exegese und ihre Folgen - Teil II

Beitrag von Roland » Sa 11. Mai 2019, 13:13

sven23 hat geschrieben:
Fr 10. Mai 2019, 16:05
Roland hat geschrieben:
So 5. Mai 2019, 11:54
HKM, wenn sie apriorifreie Geschichtswissenschaft ist, und Glaubensbekenntnisse schließen sich aus, richtig.
Genau das ist sie und so untersucht sie die Textquellen.
Dass sie dabei die Unverschämtheit besitzt, nicht von der Göttlichkeit Jesu auszugehen, macht sie in den Augen der Glaubensideologen verdächtig.
Apriorifreie Geschichtswissenschaft geht weder davon aus, dass Jesus göttlich war, noch darf sie die Unverschämtheit besitzen zu behaupten, dass er nicht göttlich war. Sie beschäftigt sich mit dem historisch Fassbaren. Sobald die Frage nach Gott ins Spiel kommt, muss sie schweigen.

sven23 hat geschrieben:
Fr 10. Mai 2019, 16:05
Roland hat geschrieben:
So 5. Mai 2019, 11:54
Du sagtest es ja selbst gerade. Apriotische Vorannahme: echte Prophezeiungen kann es nicht geben => Ergebnis: die Texte müssen gelogen sein. Belege? Fehlanzeige!
Tja, wenn man Bibelexegese auf dem Niveau "Aber dat steht doch da" betreibt, dann kann nichts brauchbares rauskommen. Dann bleibt es pure Glaubensideologie, und die gehört in die Kirche und nicht an die Unis.
Und umgekehrt, wenn man bei der Exegese eines Textes so vorgeht, dass man sagt: "mir egal, was in den Texten steht, die ich auslege; ich glaube das nicht und denke mir selbst was dazu aus", dann ist das auch pure Glaubensideologie.

Und ich sage: Das darf man gern machen, aber nicht behaupten, NUR DIESE Glaubensideologie gehöre an die Unis.
Wenn man das sagt, DANN ist man Dogmatiker. Ich bin da tolerant! Auf Grundlage beider Glaubensannahmen darf geforscht werden und das geschieht auch.

sven23 hat geschrieben:
Fr 10. Mai 2019, 16:05
Roland hat geschrieben:
So 5. Mai 2019, 11:54
sven23 hat geschrieben:
Sa 4. Mai 2019, 08:01
Find ich immer wieder ganz putztig, wenn man die explizite Abwesenheit von Glaubensbekenntnissen als Glaubensbekenntnis bezeichnet.
Damit sagst du, du WEIßT, dass das Handeln Gottes, über das die Bibel berichtet, nicht stattgefunden hat. Alles sei gelogen – und du glaubst das nicht, du weißt es!
Ganz im Gegensatz zu seriösen HKMlern wie Theißen, der klar sagt: alles Hypothesen, Wissenschaft kann nie sagen "so war es" sondern allenfalls "so könnte es gewesen sein".
Eben, auf Basis der Textquellen. Und mit wesentlich höherer Wahrscheinlichkeit als mit Glaubensbekenntnissen.
Ausgerechnet auf der Basis der Textquellen des NT ist deiner Meinung nach also die Wahrscheinlichkeit, dass das Glaubensbekenntnis des Atheismus die Wahrheit ist, höher als der Glaube an Gott? Ich empfehle dir nochmal dringend das NT einfach mal zu lesen!

sven23 hat geschrieben:
Fr 10. Mai 2019, 16:05
Roland hat geschrieben:
So 5. Mai 2019, 11:54
So, sagt er das.
Entweder sind, wie du sagst, die Quellen das Maß aller Dinge, oder all die erfundenen Jesusbilder, die mit den Quellen nicht mehr viel zu tun haben. Du musst dich schon entscheiden.
Entweder du folgst den Quellen oder den Erfindungen derer, die die Bibel auslegen, "als ob es Gott nicht gäbe". Aber beides ist Glaube.
Glaubensideologen haben das Problem, dass sie Mythen und Märchen nicht vom historischen Kern unterscheiden wollen. Für sie es eine Legende, die sie mit aller Gewalt glauben wollen.
"Das Maß aller Dinge", also die Quellen, bezeichnen sich aber selbst als Augenzeugenberichte. Sie sagen explizit aus, dass es sich nicht um Märchen handelt. Sie sagen: Wir sind gerade NICHT klugen Fabeln gefolgt sondern haben die Kraft und die Herrlichkeit Jesu selbst gesehen (vgl. 2. Petrus 1, 16).

Atheistische Glaubensideologen haben nun das Problem, dass sie den Texten mit aller Gewalt nicht glauben wollen, sondern ihrem Glauben folgen, wonach wir nicht das Ergebnis von Intelligenz, sondern eines Knalls und des Zufalls sind.

sven23 hat geschrieben:
Fr 10. Mai 2019, 16:05
Roland hat geschrieben:
So 5. Mai 2019, 11:54
sven23 hat geschrieben:
Fr 10. Mai 2019, 16:05

Genau, was aber nicht bedeutet, sie unkritisch als historische Tatsachenberichte zu lesen. Die Forschung zeichnet auch die Entwicklung der Texte im Laufe der Zeit nach. Glaubensideologen interessiert das nicht, es könnte ja ihre Glaubensideologie in Gefahr bringen.
Dann frag ich dich nochmal, wo ein einziger Beleg für eine Entwicklung der Texte zu finden ist.
Benenne doch mal ein Manuskript eines älteren Matthäus-Evangeliums, in dem Jesus z.B. noch als einfacher Wanderprediger bezeichnet wird - und zeige Belege, wie dann nach und nach eine "Vergottung" stattgefunden hat.
Da musst du schon selber Hausaufgaben machen, ….
M.a.W. du kannst es nicht. Kein Wunder, denn es gibt keinen solchen Beleg, sondern nur Hirngespinste, oder sagen wir es weniger polemisch mit Theißen: die Aura der Hypothesen.

Es wird auf Verdacht hin bestritten, dass die Schreiber der Texte ihre Leser nicht täuschen, sondern Historisches berichten wollten. Und das allein zu dem Zweck die Vorannahme zu bestätigen, die da lautet: Dieser Jesus DARF nicht der Sohn Gottes gewesen sein.
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sven23
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#103 Re: Historisch-kritische Exegese und ihre Folgen - Teil II

Beitrag von sven23 » Sa 11. Mai 2019, 13:15

Roland hat geschrieben:
Sa 11. Mai 2019, 12:58
Thaddäus hat geschrieben:
Sa 11. Mai 2019, 09:44
Nein, Naturgesetze können nicht gelten und trotzdem willentlich aufgehoben werden. Wenn du das denkst, irrst du dich einfach, weil dir wissenschaftstheoretisches Basiswissen fehlt.
Das fehlt dir ganz offensichtlich.
Naturgesetze sind nur die beobachteten Regelmäßigkeiten in der Natur. Aus der Beobachtung, dass ein Apfel immer nach unten fällt, kann man die Wahrscheinlichkeit ableiten, dass ein Apfel das auch in 1000 Jahren tun wird. Man kann das aber nicht beweisen. Das ist das Problem der Induktion, wie ich es hier schonmal (im unteren Drittel) beschrieben habe. Auch wenn sich etwas immer und immer wieder wiederholt, ist damit nicht bewiesen, dass es unter bestimmten Umständen nicht anders sein kann. Dann z.B., wenn ein höheres Wesen eingreift.
Oder wie im Fall des Huhnes, das regelmäßig eine Ration Futter bekam, als der Bauer eingriff:

"Sie (die Wahrscheinlichkeitsüberlegung) kann niemals ganz zur Gewissheit werden, weil wir wissen, dass es trotz häufiger Wiederholungen manchmal zu guter Letzt doch noch eine Überraschung gibt: wie in dem Fall des Huhns, dem das Genick umgedreht wird." (Bertrand Russel "Probleme der Philosophie")
Warum immer diese hinkenden Vergleiche?
Wahrscheinlichkeitsüberlegungen von Fütterungsgewohnheiten haben nichts mit Naturgesetzen zu tun. Völlig andere Baustelle.
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sven23
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#104 Re: Historisch-kritische Exegese und ihre Folgen - Teil II

Beitrag von sven23 » Sa 11. Mai 2019, 13:21

Roland hat geschrieben:
Sa 11. Mai 2019, 13:13
sven23 hat geschrieben:
Fr 10. Mai 2019, 16:05
Roland hat geschrieben:
So 5. Mai 2019, 11:54
HKM, wenn sie apriorifreie Geschichtswissenschaft ist, und Glaubensbekenntnisse schließen sich aus, richtig.
Genau das ist sie und so untersucht sie die Textquellen.
Dass sie dabei die Unverschämtheit besitzt, nicht von der Göttlichkeit Jesu auszugehen, macht sie in den Augen der Glaubensideologen verdächtig.
Apriorifreie Geschichtswissenschaft geht weder davon aus, dass Jesus göttlich war, noch darf sie die Unverschämtheit besitzen zu behaupten, dass er nicht göttlich war. Sie beschäftigt sich mit dem historisch Fassbaren. Sobald die Frage nach Gott ins Spiel kommt, muss sie schweigen.
Tut sie ja auch, mir ist keine Aussage über die Existenz von Göttern bekannt.
Trotzdem kann sie die Glaubenswelt des Wanderpredigers nachzeichnen und da gehört die Naherwartung nun mal zum zentralen Punkt seiner Verkündigung.

Roland hat geschrieben:
Sa 11. Mai 2019, 13:13
sven23 hat geschrieben:
Fr 10. Mai 2019, 16:05
Roland hat geschrieben:
So 5. Mai 2019, 11:54
Du sagtest es ja selbst gerade. Apriotische Vorannahme: echte Prophezeiungen kann es nicht geben => Ergebnis: die Texte müssen gelogen sein. Belege? Fehlanzeige!
Tja, wenn man Bibelexegese auf dem Niveau "Aber dat steht doch da" betreibt, dann kann nichts brauchbares rauskommen. Dann bleibt es pure Glaubensideologie, und die gehört in die Kirche und nicht an die Unis.
Und umgekehrt, wenn man bei der Exegese eines Textes so vorgeht, dass man sagt: "mir egal, was in den Texten steht, die ich auslege; ich glaube das nicht und denke mir selbst was dazu aus", dann ist das auch pure Glaubensideologie.
Außer den Glaubensideologen macht das ja auch keiner. :roll:


Roland hat geschrieben:
Sa 11. Mai 2019, 13:13
sven23 hat geschrieben:
Fr 10. Mai 2019, 16:05
Roland hat geschrieben:
So 5. Mai 2019, 11:54
Damit sagst du, du WEIßT, dass das Handeln Gottes, über das die Bibel berichtet, nicht stattgefunden hat. Alles sei gelogen – und du glaubst das nicht, du weißt es!
Ganz im Gegensatz zu seriösen HKMlern wie Theißen, der klar sagt: alles Hypothesen, Wissenschaft kann nie sagen "so war es" sondern allenfalls "so könnte es gewesen sein".
Eben, auf Basis der Textquellen. Und mit wesentlich höherer Wahrscheinlichkeit als mit Glaubensbekenntnissen.
Ausgerechnet auf der Basis der Textquellen des NT ist deiner Meinung nach also die Wahrscheinlichkeit, dass das Glaubensbekenntnis des Atheismus die Wahrheit ist, höher als der Glaube an Gott? Ich empfehle dir nochmal dringend das NT einfach mal zu lesen!
Eben, dann kommt der Roland um die Ecke und meint: abba dat steht doch da. :lol:

Roland hat geschrieben:
Sa 11. Mai 2019, 13:13
sven23 hat geschrieben:
Fr 10. Mai 2019, 16:05
Roland hat geschrieben:
So 5. Mai 2019, 11:54
So, sagt er das.
Entweder sind, wie du sagst, die Quellen das Maß aller Dinge, oder all die erfundenen Jesusbilder, die mit den Quellen nicht mehr viel zu tun haben. Du musst dich schon entscheiden.
Entweder du folgst den Quellen oder den Erfindungen derer, die die Bibel auslegen, "als ob es Gott nicht gäbe". Aber beides ist Glaube.
Glaubensideologen haben das Problem, dass sie Mythen und Märchen nicht vom historischen Kern unterscheiden wollen. Für sie es eine Legende, die sie mit aller Gewalt glauben wollen.
"Das Maß aller Dinge", also die Quellen, bezeichnen sich aber selbst als Augenzeugenberichte. Sie sagen explizit aus, dass es sich nicht um Märchen handelt. Sie sagen: Wir sind gerade NICHT klugen Fabeln gefolgt sondern haben die Kraft und die Herrlichkeit Jesu selbst gesehen (vgl. 2. Petrus 1, 16).
Das Mantra aller Glaubensideologen: abba dat steht doch da. :roll:
q.e.d.
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SilverBullet
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#105 Re: Historisch-kritische Exegese und ihre Folgen - Teil II

Beitrag von SilverBullet » Sa 11. Mai 2019, 13:29

“Roland“ hat geschrieben:Aus der Beobachtung, dass ein Apfel immer nach unten fällt, kann man die Wahrscheinlichkeit ableiten, dass ein Apfel das auch in 1000 Jahren tun wird. Man kann das aber nicht beweisen.
Das ist (aus meiner Sicht) korrekt, selbst die physikalischen Formalismen zur Beschreibung einer „Fallbewegeung“ enthalten keine Richtung und so musste schon so manch ein Physikprofessor erklären, dass eine 100% Wahrscheinlichkeit eines „ins Wasser springenden Schwimmers“ nicht bedeutet, dass es nicht auch anders sein (sprich: rückwärts ablaufen) könnte.
Eine geänderte Bewegungsrichtung bedeutet aber nicht notwendigerweise „das Brechen eines Naturgesetzes“.

Dennoch ist es an sich korrekt, dass die Behauptung eines „nicht-brechbaren Naturgesetzes“ nicht aufgestellt werden kann, solange man keinen Blickwinkel von aussen auf die Naturgesetze einnehmen kann – und genau das können wir nicht.

Letztlich geht es aber gar nicht um das Brechen von Naturgesetzen, sondern darum, dass es jemand behauptet, der diese Behauptung auch nur gehört haben kann, was sich fortsetzt, bis der jeweilige Vorgänger (sehr schnell) zu einem kompletten Unbekannten wird.
Ohne Anlass soll dann vom „Brechen der Naturgesetze“ ausgegangen werden.

“Roland“ hat geschrieben:wenn sich etwas immer und immer wieder wiederholt, ist damit nicht bewiesen, dass es unter bestimmten Umständen nicht anders sein kann. Dann z.B., wenn ein höheres Wesen eingreift.
Vorsicht, es gibt unterschiedliche Qualitäten von Schlussfolgerungen.
Wenn ein Mensch aus einem praktischen Erfahrungsbereich heraus ein Urteil abgibt à la „ein Apfel fällt nicht nach oben“, dann hat dies, auch wenn das Urteil nicht völlig berechtigt sein kann (fehlender Überblick), dennoch einen gewichtigen Hintergrund.

Der Hinweis „höheres Wesen greift ein“ ist hingegen eine vollständig waghalsige Behauptung, denn sie basiert auf maximaler Ahnungslosigkeit und setzt auf Suggestion. Wenn man genau nachschaut, trägt jedes Wort in dieser Behauptung zu einer vollständig unklaren Zusammenhangsmenge bei – so dass man am Ende nur fragen kann „wer, wo, wie, was, wann?“

Eine nicht ganz vorhandene Sicherheit sollte nicht dazu genutzt werden, plötzlich keinerlei Sicherheit in den Mittelpunkt zu stellen.

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Thaddäus
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#106 Re: Historisch-kritische Exegese und ihre Folgen - Teil II

Beitrag von Thaddäus » Sa 11. Mai 2019, 13:46

Roland hat geschrieben:
Sa 11. Mai 2019, 12:58
Thaddäus hat geschrieben:
Sa 11. Mai 2019, 09:44
Nein, Naturgesetze können nicht gelten und trotzdem willentlich aufgehoben werden. Wenn du das denkst, irrst du dich einfach, weil dir wissenschaftstheoretisches Basiswissen fehlt.
Das fehlt dir ganz offensichtlich.
Naturgesetze sind nur die beobachteten Regelmäßigkeiten in der Natur. Aus der Beobachtung, dass ein Apfel immer nach unten fällt, kann man die Wahrscheinlichkeit ableiten, dass ein Apfel das auch in 1000 Jahren tun wird. Man kann das aber nicht beweisen. Das ist das Problem der Induktion,
Sorry, aber mit dieser Antwort muss ich meinen Vorwurf fehlenden wissenschaftstheoretischen Basiswissens auch auf dich ausweiten.
Die moderne Wissenschaftstheorie geht mit Sir Karl Poppers Logik der Forschung nicht mehr davon aus, dass man (natur-)wissenschaftliche
Theorien (wie die Theorie der Naturgesetze) verfizieren müsste, also als wahr erweisen, wie das noch der logische Atomismus und Positivismus Moritz Schlicks, Rudolf Carnaps und der von dir genannte Bertrand Russel vermutet haben.

Stattdessen müssen Theorien in sich konsistent, also widerspruchsfrei sein und Bedingungen angeben können, unter denen ihre Falschheit als erwiesen betrachtet werden muss. Dies ist für die Theorie der Naturgesetze z.B. dann der Fall, wenn TATSÄCHLICH konkret beobachtet würde, dass ein bekanntes Naturgesetz nicht mehr wirksam ist und sich damit keine Aussagen über zukünftig eintretende Ereignisse mehr machen ließen.
Und selbstverständlich muss eine Theorie auch erfolgreich sein, was bedeutet, dass mit möglichst wenig Annahmen möglichst viele beobachtete Ereignisse erklärt werden können müssen. Zudem müssen zukünftige Ereignisse nicht nur vorhergesagt werden können, sondern sie müssen auch tatsächlich eintreten (wie zuletzt die Relativitätstheorie messbare Gravitationswellen vorhergesagt hat, die vor kurzer Zeit zweifelsfrei tatsächlich gemessen wurden), wie das im Falle naturgesetzlicher Zusammenhänge insbesondere zutrifft.

Es müssen also lediglich die Bedinungen ihrer Falsifikation angegeben werden können. Bis zu ihrer Widerlegung oder der Ersetzung durch eine bessere, gilt eine konsistente Theorie, aus der korrekte Aussagen über zukünftige eintreffende Ereignisse abgeleitet werden können, als gültig und wahr.
Insbesondere kann eine solche Theorie nicht erschüttert werden durch metaphysische Spekulationen darüber, dass sie von einem supranatürlichen Wesen außer Kraft gesetzt werden KÖNNTE. Was lediglich sein KÖNNTE, spielt wissenschaftlich keinerlei Rolle und hat nur Bedeutung in deiner oder clossens ausufernder Phantasie. Nicht einmal, wenn tatsächlich beobachtet werden würde, dass ein Naturgesetz plötzlich nicht mehr gilt, wäre das ein Beleg dafür, dass ein supranatürliches Wesen dafür verantwortlich ist.
Supranatürliche Wesen spielen für Erklärungen natürlicher Ereignisse wissenschaftlich überhaupt keine Rolle, da sie als Wirkursache beliebiger Ereignisse grundsätzlich nicht identifizierbar sind.

Roland hat geschrieben:
Sa 11. Mai 2019, 12:58
Auch wenn sich etwas immer und immer wieder wiederholt, ist damit nicht bewiesen, dass es unter bestimmten Umständen nicht anders sein kann.
Wie erklärt, ist das kein Kriterium, da die Wiederholung eines Ereignisses keine Verifikation erbringt, aber umgekehrt das TATSÄCHLICHE ausbleiben der Wiederholung die Naturgesetzlichkeit widerlegen würde. Das TATSÄCHLICHE Ausbleiben, nicht das nur mögliche!

Roland hat geschrieben:
Sa 11. Mai 2019, 12:58
Dann z.B., wenn ein höheres Wesen eingreift.
Da es keinerlei Beweis oder auch nur wissenschaftliche ernst zu nehmenden Beleg dafür gibt, dass jemals in der Geschichte dieses Universums irgendein Gott irgendein Naturgesetz TATSÄCHLICH außer Kraft gesetzt hätte, gibt es keinerlei Grund dafür anzunehmen, die Theorie der ausnahmslosen Naturgesetzlichkeit wirkender Kräfte sei inkorrekt.

Roland hat geschrieben:
Sa 11. Mai 2019, 12:58
"Sie (die Wahrscheinlichkeitsüberlegung) kann niemals ganz zur Gewissheit werden, weil wir wissen, dass es trotz häufiger Wiederholungen manchmal zu guter Letzt doch noch eine Überraschung gibt: wie in dem Fall des Huhns, dem das Genick umgedreht wird." (Bertrand Russel "Problem der Philosophie")
Wie ansatzweise erklärt, hat Popper (und die moderne Wissenschaftstheorie) gezeigt, dass dies auch nicht nötig ist.

Roland
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#107 Re: Historisch-kritische Exegese und ihre Folgen - Teil II

Beitrag von Roland » Sa 11. Mai 2019, 14:18

Nur ein Satz, muss leider weg:

Thaddäus hat geschrieben:
Sa 11. Mai 2019, 13:46
Die moderne Wissenschaftstheorie geht mit Sir Karl Poppers Logik der Forschung nicht mehr davon aus, dass man (natur-)wissenschaftliche
Theorien (wie die Theorie der Naturgesetze) verfizieren müsste
Entscheidend in unserem Zusammenhang ist doch, dass Popper sagt, dass man es auch gernicht KANN!
Folglich sind deine Aussagen, dass Naturgesetze ganz sicher nie und nimmer gebrochen werden können, bloße Behauptungen. Man kann diese Aussage, nicht verifizieren. Da sind sich Popper und Russel einig.

Du formulierst letztlich ein Glaubenssatz.
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Thaddäus
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#108 Re: Historisch-kritische Exegese und ihre Folgen - Teil II

Beitrag von Thaddäus » Sa 11. Mai 2019, 14:40

Roland hat geschrieben:
Sa 11. Mai 2019, 14:18
Nur ein Satz, muss leider weg:

Thaddäus hat geschrieben:
Sa 11. Mai 2019, 13:46
Die moderne Wissenschaftstheorie geht mit Sir Karl Poppers Logik der Forschung nicht mehr davon aus, dass man (natur-)wissenschaftliche
Theorien (wie die Theorie der Naturgesetze) verfizieren müsste
Entscheidend in unserem Zusammenhang ist doch, dass Popper sagt, dass man es auch gernicht KANN!
Das ist nicht korrekt. Popper sagt nicht, dass man das grundsätzlich niemals kann. So kann man für einfache mathematische oder logische Kalküle ihre Vollständigkeit logisch beweisen (der Logiker Kurt Gödel hat das z.B. für die Aussagenlogik gemacht). Damit ist die Aussagenlogik als Kalkül (theoretisches Modell) vollständig verfiziert und als wahr erwiesen.
Manche naturwissenschaftliche Aussagen lassen sich ebenfalls im strengen Sinne beweisen also vollständig verfizieren.
Für die allermeisten Theorien gilt das aber nicht und Popper verdeutlicht mit wissenschaftstheoretischen Schlussfolgerungen - und das ist ja gerade seine besondere Leistung - dass eine Verifikation auch gar nicht nötig ist. Stattdessen ist die Möglichkeit der Falsifikation zwingend nötig, aber nicht die der Verifikation. Die wissenschftliche Anforderung der Verifikation ist falsch, die der zwingend notwendigen MÖGLICHKEIT der Falsifikation ist korrekt.

Roland hat geschrieben:
Sa 11. Mai 2019, 14:18
Folglich sind deine Aussagen, dass Naturgesetze ganz sicher nie und nimmer gebrochen werden können, bloße Behauptungen.
Nein, das ist keine Behauptung, sondern eine Tatsache! Du versehst es offenbar nicht.
Die Relativitätstheorie und die Evolutionstheorie sind selbstverständlich keine bloßen wissenschaftlichen "Behauptungen", sondern mittlerweile erwiesene Tatsachen.
Sie sind die beiden mit am besten belegten naturwissenschaftlichen (Groß-)Theorien in allen Naturwissenschaften. Eine Behauptung, die auf vielfache wissenschaftliche Weise belegt wird, ist keine Behauptung mehr, sondern eine Tatsache. Diesen Punkt begreift auch closs hartnäckig nicht bzw. nimmt ihn nicht zu Kenntnis, weil er dann natürlich seine fantastischen und bizarren Auffassungen aufgeben muss.

Dass Naturgesetze in der Natur wirken, ist ebenfalls keine Behauptung, sondern eine Tatsache, weil sie sogar noch besser bestätigt sind, als Relativitäts- und Evolutionstheorie.

Wenn du eine radikalskeptische Haltung einnehmen willst, dann ist die Konsequenz, dass es für dich ausschließlich behauptungen, aber niemals Tatsachen gibt. Diese Haltung ist aber offenkundig falsch und führt auch in die performative Selbstwidersprüchlichkeit, weil der Radikalskeptizist genau die Wahrheit für seinen Radikalskeptizismus beanspruchen muss, die er per eigener Aussage gerade ablehnt. Aus der Nummer kommt kein Radikalskeptizist heraus.

Roland hat geschrieben:
Sa 11. Mai 2019, 14:18
Du formulierst letztlich ein Glaubenssatz.
Nein, selbstverständlich nicht. Es sei denn du willst behaupten, dass es keine Tatsachen gibt und immer nur Glaubenssätze. dann aber widersprichst du dir letztlich selbst.

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Münek
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#109 Re: Historisch-kritische Exegese und ihre Folgen - Teil II

Beitrag von Münek » Sa 11. Mai 2019, 16:04

closs hat geschrieben:
Sa 11. Mai 2019, 09:44
Münek hat geschrieben:
Sa 11. Mai 2019, 00:25
Es ist doch Dein ständiges Credo seit Jahren, dass Jesus KEINE Naherwartung hatte.
"Naherwartung IN DEINEM SINNE" - auch Bergers und Ratzingers Credo ist, dass Jesus vom "nahen Himmelreich" sprach und damit was gemeint hat.
Ratzinger vertritt die Auffassung, Jesus sei mit dem von ihm als nahe bevorstehend verkündeten Reich Gottes identisch. Eine grotes-
ke Ansicht, wenn man sieht, wie viele biblische Aussagen in den Evangelien dagegen sprechen.

Berger widerspricht ihm vehement und meint noch dazu, der Dogmatiker Ratzinger hätte gut daran getan, sein Jesusbuch vor Druck-
legung einem gestandenen Exegeten zur Durchsicht vorzulegen.


closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:
Sa 11. Mai 2019, 00:25
Dass sich aber Jesus in seiner Naherwartung geirrt hat, darüber herrscht fast völliger Konsens.
Aber doch nur, wenn man ganz spezifische Vorannahmen hat - darum geht es doch.
Nein - Jesu Irrtum bestand darin, dass das von ihm verkündete Reich Gottes/Gottesherrschaft nicht gekommen ist.

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:
Sa 11. Mai 2019, 00:25
Das Ergebnis ist nicht irgendwelchen Vorannahmen geschuldet.
Doch - gerade das.
Nein - unsere Erde steht NICHT unter der von Jesus angekündigten Herrschaft Jahwes..

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:
Sa 11. Mai 2019, 00:25
Es ist doch MEIN ständiges Reden, dass in der Auslegung biblischer Texte die persönlichen Glaubensvorstellungen des Exegeten zwingend außen vor zu bleiben haben.
Richtig - so sollte es sein (und so war es auch zu "meiner Zeit")- aber dann ist der Satz "Jesus HATTE eine Naherwartung" nicht möglich, da dies eine Tatsachenbehauptung des Exegeten ist.
So steht es nun mal klipp und klar in den Evangelien.

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:
Sa 11. Mai 2019, 00:25
Die 10 Methodenschritte der HKM haben nun WIRKLICH nichts mit Jesu "Frohen Botschaft" zu tun, dass das Reich Gottes/die Königsherrschaft Gottes nahe herbei gekommen sei.
Irre ich mich, wenn ich denke, dass sie die Rechtfertigung für Sätze wie "Jesus hatte eine Naherwartung" sind?
Die Gottesreichs-Botschaft Jesu wird in der Tat als authentisch angesehen und nicht als Erfindung der Evangelisten.

closs hat geschrieben:Auf welcher Basis arbeitet den Theißen, wenn nicht auf diesen 10 Methodenschritten?
Wirf mal einen Blick in Theißens Buch "Der historische Jesus".

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:
Sa 11. Mai 2019, 02:52
Ein Geisterfahrer hebt das Gesetz nicht auf, sondern verstößt lediglich dagegen.
Jetzt sind wir wieder auf Korinthenkacker-Niveau.
Deine Aussage, ein Geisterfahrer hebe das Gesetz auf, ist nun mal grottenfalsch. Darauf wird man noch hinweisen dürfen.

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:
Sa 11. Mai 2019, 02:52
Glaubst Du wirklich, Du wüsstest, was Gott denkt und will?
Das ist nicht die Frage.
Doch. Wie sollte ein Mensch "theozentrisch" denken können, wenn er nicht weiß und nicht wissen kann, was ein Gott denkt und will?

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:
Sa 11. Mai 2019, 02:52
Wirklich anthropozentrisches Denken zeigt sich in dem Wahn-Glauben, die Welt (= das unendliche Universum) sei um des Menschen willen erschaffen worden.
Das ist ein anderer Ansatz. - MEINE Definition orientiert sich an der Frage: WER entscheidet letztlich: Gott oder Mensch?
Betrachtet man die Menschheitsgeschichte, kann es nur eine richtige Antwort geben: Natürlich der Mensch. Und ob Götter existieren, weiß ohnehin niemand.

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#110 Re: Historisch-kritische Exegese und ihre Folgen - Teil II

Beitrag von Thaddäus » Sa 11. Mai 2019, 19:01

closs hat geschrieben:
Sa 11. Mai 2019, 11:29
Thaddäus hat geschrieben:
Sa 11. Mai 2019, 11:08
Nein, wenn Gott Naturgesetze willkürlich außer Kraft setzen kann, dann gibt es keine Natur-Gesetze, sondern lediglich temporär als regelhaft erscheindende Naturzusammenhänge, die aber jederzeit auch anders sein könnten, nämlich immer dann, wenn es Gott gefällt.
Wie auch immer Du es Dir sprachlich zurechtlegen willst: Es ändert sich in diesem Fall nichts im Vergleich zu heute.
Ich betrachte das als deine argumentative Kapitulation.

closs hat geschrieben:
Sa 11. Mai 2019, 11:29
Du magst es nicht, wenn man sich nicht Deinen formalen Gesetzen unterwirfst, weil Du Dich dort sicher fühlen kannst. - Versuche "Denken" etwas universaler zu verstehen - und vergiss nicht: Sprache ist immer Chiffre und nie Inhalt an sich.
Dies sind tatsächlich interessante Punkte.
Zunächst: was du "deine formalen Gesetze" nennst, sind die unhintergehbaren Grundlagen jeden rationalen und im Idealfalle übrigens herrschaftsfreien Diskurses. Unhintergehbar ist das logisch konsistente und vernünftige schlussfolgernde Argumentieren deshalb, weil Diskurse sonst nicht rational sein können. Sind sie nicht in einem minimal grammatischen Sinne logisch-rational, könnte man sich nicht einmal darauf verständigen, wovon überhaupt die Rede ist. Noch viel weniger könnte man zu wahren Schlussfolgerungen und Ergebnissen kommen, denn die logischen Gesetze sind die formalen Gesetze des Wahrseins von Aussagen.
Herrschaftsfrei ist der ideale, rational-vernünftige Diskurs, weil es eben nicht darauf ankommt, WER ein Argument äußert, wie schön er ist, wie intelligent, wie reich oder wie mächtig. Einzig die logische Konsistenz und Stichhaltigkeit des Argumentes selbst gibt den Ausschlag dafür, ob aus Prämissen gezogene Schlussfolgerung korrekt und wahr sind oder nicht und damit eine Tatsache beschrieben wird oder nicht.

In der Tat gibt der rationale, vernünftig geführte Diskurs Sicherheit: nicht nur mir, sondern jedem. Nur durch ihn können wahre von falschen Aussagen unterschieden werden. Und die falschen sind zu verwerfen, wobei man wissenschaftstheoretisch stets damit rechnen muss, dass man trotz vernünftiger Schlussfolgerungen falsch liegen könnte. Aber falsch liegen zu können, bedeutet nicht, dass es keine Wahrheit gibt und man sich stets irrt.
Hat man etwas als wahr erkannt, hat man diese Wahrheit diskursiv zu beanspruchen und zu verteidigen und zwar genau so lange, bis man durch bessere Argumente und/oder empirische Tatsachen widerlegt wird. Dann hat man die widerlegte Einsicht fallen zu lassen und die bessere Theorie zu übernehmen.

Zuletzt: ich verstehe das Denken nicht lediglich als die Fähigkeit zu Logik und rationalem Diskurs. Ich bin vielmehr der Auffassung, dass Gedichte, Musik und bildende Kunst tiefe Wahrheiten transportieren und aufzeigen kann, wobei nicht ganz klar ist, wie Kunst das tut.
Zuletzt geändert von Thaddäus am Sa 11. Mai 2019, 19:08, insgesamt 1-mal geändert.

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