Arjuna hat geschrieben: ↑Sa 22. Feb 2020, 21:23
Die neuen Atheisten sind also nicht wirklich neu. Sie wiederholen nur die Argumente der Charvaka-Schule. Diese Diskussionen finden schon seit Jahrtausenden statt und werden auch in Zukunft stattfinden, solange menschliche Wesen dieses Universum bewohnen. Wobei ich mit Blick auf das alte Indien sagen muss: die Diskussionen haben schon mal auf einem höheren Niveau stattgefunden. Die Toleranz, Diskussionsfreude und Herzensgröße der Inder ist ein Vorbild für die gesamte Welt. Das sind die guten Früchte am göttlichen Baum der vedischen Kultur. Andernorts ist das leider nicht so selbstverständlich.
Ich denke nicht, dass die Argumente der Charvaka jetzt ein höheres Niveau hatten als die der besten westlichen materialistischen Philosophen – wobei natürlich vieles der Charvaka nicht überliefert ist. Das Niveau des Online-Atheismus wird von ihnen sicherlich erreicht… das ist jedoch keine Kunst.
Nun ist eine Sache ‘mittlerweile’ dazugekommen, wovon die Charvaka nichts wussten, nämlich die Evolution – die als nicht zielgerichtet (dysteleologisch) konzipiert wird. Ich find’ es gerade zu tragisch, dass der Populär-Atheismus des 21. Jahrhundert das so einfach
in höchster Verallgemeinerung (“alles Leben entwickelt sich dysteleologisch”) als bewiesen hinstellt, dann mit “die Welt ist dysteleologisch” gleichsetzt und schließlich locker-flockig daraus “Gott existiert nicht” folgert. Die Überzeugungskraft hiervon ist logischerweise
Null.
Denn es ist ja selbstverständlich, dass “Gott existiert nicht” eine sehr,
SEHR viel bescheidenere Behauptung ist als “Das gesamte Universum unterliegt einzig einer dysteleologischen, mechanistischen Entwicklung”. Man geht gerade umgekehrt vor als man sollte: Man schmuggelt die stärkere Behauptung in die Debatte ein und folgert dann aus ihr die schwächere.
Ich streite ja nicht ab, dass Darwin’s Theorie einen
Erklärungsgehalt hat; aber wie üblich gilt, dass die Fundamente und Grundbegriffe einer Wissenschaft das fragwürdigste an ihr sind – und Fitness und Selektion sind in der Tat äußerst fragwürdig (auch wenn’s nur sehr verstohlen zugeben wird).
Was sich Black und Scholes da in der Finanzmathematik ausgedacht haben, ist sicherlich auch halbwegs vernünftig und nicht weniger seriös (ja… Arbitrage ist im Vergleich zu “
Fitness” ein geradezu kristallklar definierter Begriff!). Seltsamerweise ist Kritik an der Finanzmathematik (“fundamental falsch”)
en vogue, während Evolutionsbiologie sakrosankt ist.
Glück für die Evolutionsbiologie, dass sie nicht wie die Finanzmathematik überprüfbare Aussagen für die Zukunft machen muss und es reicht, das Beobachtete im
Nachhinein zu erklären. Das vereinfacht die Sache natürlich enorm.
Jedenfalls leidet Evolutionsbiologie (wie Finanzmathematik) unter Schulenbildung (
1,
2,
3), inkompatiblen Ansätzen, schwammigen Definitionen, abgehobenen mathematischen Modellen und der Tendenz zu tautologischem Denken.
Nicht einmal bei den einfachsten Fragen, wie z. B. ob sich Menschen in zwei Geschlechter einteilen lassen, besteht Konsens (
Coyne und
Myers, zwei Evolutionsbiologen, zwei Antworten hierzu). Und die ideologische Motivation ist oft unübersehbar (hier: unterschiedliche politische Meinungen zu Trans-Personen).
Um’s abzukürzen: Mit Evolutionsbiologie den Materialismus belegen zu wollen hat für mich so viel Überzeugungskraft wie den Neoliberalismus mit Finanzmathematik zu “belegen”.
Und aus dem Materialismus den Atheismus zu folgern, das kann ich auch selber.
Die stärksten und klarsten Argumente gegen die Existenz Gottes kommen daher für mich von atheistischen aber
nicht-materialistischen indischen Philosophen (meistens Buddhisten). Deren Level an Argumentationsstärke erreicht man heutzutage wirklich nicht mehr.